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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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rascher orientirt, als alle anderen aus demselben traurigen Anlaß erschienenen
Schriften.




Die Heljeimstatuten der Tempelherren.

Der im Frühjahr d. I. plötzlich verstorbene, besonders auf dein Gebiete
der freimaurerischen Literatur sehr verdiente oldenburgische Oberbibliothekar
v. Merzdorf (geb, in Leipzig 1812, seit 1841 an der Bibliothek in Olden¬
burg thätig) hat seine letzten Lebenstage der Vollendung einer Schrift gewidmet,
die soeben im Schwetschke'schen Verlage zu Halle erschienen ist und viel¬
faches Interesse erregen wird. Diese Schrift veröffentlicht zum ersten M'lie
die Geheimstatnten des Ordens der Tempelherren, uach der Abschrift eines vor¬
geblich im Vatikanischen Archiv bei den Untersuchungsakten über den Templer¬
orden befindlichen Originales Manuskriptes). Den Text dieser merkwürdigen
Urkunde gibt Merzdorf lateinisch und deutsch. Er bietet uns aber auch genaue
Nachrichten über seiue Bezugsquelle. Die Abschrift, die er benützt hat, erhielt er
von der großen Loge zu Hamburg. Sie ist ein Theil des Nachlasses des im Jahr
1819/20 in Petersburg verstorbenen russischen Staatsrathes und Direktors des
Cadettenhauses Bober und hat bis in die Mitte der sechziger Jahre in Kisten
verpackt in Petersburg gestanden. Erst seit dieser Zeit ist sie mit dem übrigen
Bober'schen Nachlaß nach Hamburg gelaugt. Die Handschrift selbst zeigt eine
geübte Schreiberhand der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, nicht die
eines Gelehrten. Auch einige Schreibfehler dieses Manuskriptes weisen darauf
hin, daß ein Ungelehrter das von Merzdorf benützte Manuskript geschrieben
habe. Am Rande finden sich dagegen überall die Nachweise der Archivstücke
des Vatikans, von denen diese Abschrift genommen ist. Es wird da versichert,
daß das Original in den Untersuchungsakten gegen die Tempelherren als Cod.
15. 24. 31. 32. liege und daß die Abschrift im Vatikanischen Archiv
selbst genommen sei.

Diese Behauptung beruht nach den mit großem Scharfsinn unternommenen
Forschungen Merzdorf's aller Wahrscheinlichkeit nach in Wahrheit. Sogar die
Person desjenigen, der dem Vatikanischen Archiv das lange geahnte, doch nie¬
mals noch veröffentlichte Geheimniß dieser Statuten entlockt und es über
Kopenhagen und Stockholm uach Petersburg in die Hände Bober's gebracht
hat, stellt Merzdorf bis zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit fest-
Es ist dieß der gelehrte,, vorsichtige und einer Fälschung schlechthin unfähige


rascher orientirt, als alle anderen aus demselben traurigen Anlaß erschienenen
Schriften.




Die Heljeimstatuten der Tempelherren.

Der im Frühjahr d. I. plötzlich verstorbene, besonders auf dein Gebiete
der freimaurerischen Literatur sehr verdiente oldenburgische Oberbibliothekar
v. Merzdorf (geb, in Leipzig 1812, seit 1841 an der Bibliothek in Olden¬
burg thätig) hat seine letzten Lebenstage der Vollendung einer Schrift gewidmet,
die soeben im Schwetschke'schen Verlage zu Halle erschienen ist und viel¬
faches Interesse erregen wird. Diese Schrift veröffentlicht zum ersten M'lie
die Geheimstatnten des Ordens der Tempelherren, uach der Abschrift eines vor¬
geblich im Vatikanischen Archiv bei den Untersuchungsakten über den Templer¬
orden befindlichen Originales Manuskriptes). Den Text dieser merkwürdigen
Urkunde gibt Merzdorf lateinisch und deutsch. Er bietet uns aber auch genaue
Nachrichten über seiue Bezugsquelle. Die Abschrift, die er benützt hat, erhielt er
von der großen Loge zu Hamburg. Sie ist ein Theil des Nachlasses des im Jahr
1819/20 in Petersburg verstorbenen russischen Staatsrathes und Direktors des
Cadettenhauses Bober und hat bis in die Mitte der sechziger Jahre in Kisten
verpackt in Petersburg gestanden. Erst seit dieser Zeit ist sie mit dem übrigen
Bober'schen Nachlaß nach Hamburg gelaugt. Die Handschrift selbst zeigt eine
geübte Schreiberhand der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, nicht die
eines Gelehrten. Auch einige Schreibfehler dieses Manuskriptes weisen darauf
hin, daß ein Ungelehrter das von Merzdorf benützte Manuskript geschrieben
habe. Am Rande finden sich dagegen überall die Nachweise der Archivstücke
des Vatikans, von denen diese Abschrift genommen ist. Es wird da versichert,
daß das Original in den Untersuchungsakten gegen die Tempelherren als Cod.
15. 24. 31. 32. liege und daß die Abschrift im Vatikanischen Archiv
selbst genommen sei.

Diese Behauptung beruht nach den mit großem Scharfsinn unternommenen
Forschungen Merzdorf's aller Wahrscheinlichkeit nach in Wahrheit. Sogar die
Person desjenigen, der dem Vatikanischen Archiv das lange geahnte, doch nie¬
mals noch veröffentlichte Geheimniß dieser Statuten entlockt und es über
Kopenhagen und Stockholm uach Petersburg in die Hände Bober's gebracht
hat, stellt Merzdorf bis zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit fest-
Es ist dieß der gelehrte,, vorsichtige und einer Fälschung schlechthin unfähige


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[0120] rascher orientirt, als alle anderen aus demselben traurigen Anlaß erschienenen Schriften. Die Heljeimstatuten der Tempelherren. Der im Frühjahr d. I. plötzlich verstorbene, besonders auf dein Gebiete der freimaurerischen Literatur sehr verdiente oldenburgische Oberbibliothekar v. Merzdorf (geb, in Leipzig 1812, seit 1841 an der Bibliothek in Olden¬ burg thätig) hat seine letzten Lebenstage der Vollendung einer Schrift gewidmet, die soeben im Schwetschke'schen Verlage zu Halle erschienen ist und viel¬ faches Interesse erregen wird. Diese Schrift veröffentlicht zum ersten M'lie die Geheimstatnten des Ordens der Tempelherren, uach der Abschrift eines vor¬ geblich im Vatikanischen Archiv bei den Untersuchungsakten über den Templer¬ orden befindlichen Originales Manuskriptes). Den Text dieser merkwürdigen Urkunde gibt Merzdorf lateinisch und deutsch. Er bietet uns aber auch genaue Nachrichten über seiue Bezugsquelle. Die Abschrift, die er benützt hat, erhielt er von der großen Loge zu Hamburg. Sie ist ein Theil des Nachlasses des im Jahr 1819/20 in Petersburg verstorbenen russischen Staatsrathes und Direktors des Cadettenhauses Bober und hat bis in die Mitte der sechziger Jahre in Kisten verpackt in Petersburg gestanden. Erst seit dieser Zeit ist sie mit dem übrigen Bober'schen Nachlaß nach Hamburg gelaugt. Die Handschrift selbst zeigt eine geübte Schreiberhand der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, nicht die eines Gelehrten. Auch einige Schreibfehler dieses Manuskriptes weisen darauf hin, daß ein Ungelehrter das von Merzdorf benützte Manuskript geschrieben habe. Am Rande finden sich dagegen überall die Nachweise der Archivstücke des Vatikans, von denen diese Abschrift genommen ist. Es wird da versichert, daß das Original in den Untersuchungsakten gegen die Tempelherren als Cod. 15. 24. 31. 32. liege und daß die Abschrift im Vatikanischen Archiv selbst genommen sei. Diese Behauptung beruht nach den mit großem Scharfsinn unternommenen Forschungen Merzdorf's aller Wahrscheinlichkeit nach in Wahrheit. Sogar die Person desjenigen, der dem Vatikanischen Archiv das lange geahnte, doch nie¬ mals noch veröffentlichte Geheimniß dieser Statuten entlockt und es über Kopenhagen und Stockholm uach Petersburg in die Hände Bober's gebracht hat, stellt Merzdorf bis zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit fest- Es ist dieß der gelehrte,, vorsichtige und einer Fälschung schlechthin unfähige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/120>, abgerufen am 22.07.2024.