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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Im Abgeordnetenhause ist in der Mitternachtsstunde vom Sonnabend zum
Sonntag die zweite Berathung des Etats endlich zum Abschluß gebracht. Von
"Berathung des Etats" kann hier freilich kaum noch gesprochen werden; die
ganze Woche wurde in Anspruch genommen durch ein endloses Quereliren der
Ultramontanen, wozu der Kultusetat lediglich als Vorwand diente. -- Die
Angriffsweise dieser Herren kennt nachgerade keine Schranken mehr. Herr
Windthorst benutzte das gerichtliche Einschreiten gegen einen Geistlichen wegen
Absolutionsverweigernng, um einen stellvertretenden Landrath indirekt als
"ruchlosen Gesellen" zu bezeichnen, und der Pfarrer Dauzenberg rief grade
heraus: "Die Behörden haben alle Scham verloren." Die wirklichen sachlichen
und nützlichen Momente der Etatsdebatte wurden auf diese Weise ganz bei
Seite gedrängt. Indeß sind doch einige wichtige Beschlüsse durchgesetzt worden;
so namentlich die Forderung gesetzlicher Regelung der Altersznlagen und des
Pensionswesens der Elementarlehrer. --Definitiv angenommen wurde der Ge¬
setzentwurf wegen Theilung der Provinz Preußen, außerdem eine Anleihe für
Wasser- und Eiseubahubauzwecke bewilligt. Durch eine Jnterpellation eines
Abgeordneten polnischer Nationalität wurde eine überaus unerquickliche Zeuguiß-
zwcmgsaffaire ans Licht gezogen, die im Reichstage ohne Zweifel aufs neue
zur Sprache gebracht werden wird.

Das Herrenhaus hat eine Borlage betreffend die Unterbringung ver¬
wahrloster Kinder in Erziehungs- und Bessernngshüusern unter Hinzufügung
mehrerer erheblicher Verbesserungen durchberatheu. Leider scheint es, als ob
die Regierung den Gesetzentwurf an der vom Herrenhause beschlossenen Her¬
anziehung des Staates zur Theilnahme an der Aufbringung der Kosten
X- ?- scheitern lassen wollte.




Z)le Versteigerung der Kupferstich Sammlung Lipljart.

Zu den werthvollsten Kupferstich-Sammlungen, welche in den letzten Jahr¬
zehnten in Leipzig, dem größten Kupferstichmarkte der Welt, zur Versteigerung
gekommen sind, gehört diejenige des Herrn K. E. v. Liphart in Florenz,
eines bekannten, sehr feinen Kunstkenners und eifrigen Sammlers. Derselbe
legte den Grund dieser Sammlung im Jahre 1836 in Leipziger Kunstanktionen
und vermehrte und verbesserte sie dann während seines längeren Aufenthaltes in
Bonn, Berlin, Paris, in den Niederlanden, in Rußland und Italien. Da ^


Im Abgeordnetenhause ist in der Mitternachtsstunde vom Sonnabend zum
Sonntag die zweite Berathung des Etats endlich zum Abschluß gebracht. Von
„Berathung des Etats" kann hier freilich kaum noch gesprochen werden; die
ganze Woche wurde in Anspruch genommen durch ein endloses Quereliren der
Ultramontanen, wozu der Kultusetat lediglich als Vorwand diente. — Die
Angriffsweise dieser Herren kennt nachgerade keine Schranken mehr. Herr
Windthorst benutzte das gerichtliche Einschreiten gegen einen Geistlichen wegen
Absolutionsverweigernng, um einen stellvertretenden Landrath indirekt als
„ruchlosen Gesellen" zu bezeichnen, und der Pfarrer Dauzenberg rief grade
heraus: „Die Behörden haben alle Scham verloren." Die wirklichen sachlichen
und nützlichen Momente der Etatsdebatte wurden auf diese Weise ganz bei
Seite gedrängt. Indeß sind doch einige wichtige Beschlüsse durchgesetzt worden;
so namentlich die Forderung gesetzlicher Regelung der Altersznlagen und des
Pensionswesens der Elementarlehrer. —Definitiv angenommen wurde der Ge¬
setzentwurf wegen Theilung der Provinz Preußen, außerdem eine Anleihe für
Wasser- und Eiseubahubauzwecke bewilligt. Durch eine Jnterpellation eines
Abgeordneten polnischer Nationalität wurde eine überaus unerquickliche Zeuguiß-
zwcmgsaffaire ans Licht gezogen, die im Reichstage ohne Zweifel aufs neue
zur Sprache gebracht werden wird.

Das Herrenhaus hat eine Borlage betreffend die Unterbringung ver¬
wahrloster Kinder in Erziehungs- und Bessernngshüusern unter Hinzufügung
mehrerer erheblicher Verbesserungen durchberatheu. Leider scheint es, als ob
die Regierung den Gesetzentwurf an der vom Herrenhause beschlossenen Her¬
anziehung des Staates zur Theilnahme an der Aufbringung der Kosten
X- ?- scheitern lassen wollte.




Z)le Versteigerung der Kupferstich Sammlung Lipljart.

Zu den werthvollsten Kupferstich-Sammlungen, welche in den letzten Jahr¬
zehnten in Leipzig, dem größten Kupferstichmarkte der Welt, zur Versteigerung
gekommen sind, gehört diejenige des Herrn K. E. v. Liphart in Florenz,
eines bekannten, sehr feinen Kunstkenners und eifrigen Sammlers. Derselbe
legte den Grund dieser Sammlung im Jahre 1836 in Leipziger Kunstanktionen
und vermehrte und verbesserte sie dann während seines längeren Aufenthaltes in
Bonn, Berlin, Paris, in den Niederlanden, in Rußland und Italien. Da ^


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[0402] Im Abgeordnetenhause ist in der Mitternachtsstunde vom Sonnabend zum Sonntag die zweite Berathung des Etats endlich zum Abschluß gebracht. Von „Berathung des Etats" kann hier freilich kaum noch gesprochen werden; die ganze Woche wurde in Anspruch genommen durch ein endloses Quereliren der Ultramontanen, wozu der Kultusetat lediglich als Vorwand diente. — Die Angriffsweise dieser Herren kennt nachgerade keine Schranken mehr. Herr Windthorst benutzte das gerichtliche Einschreiten gegen einen Geistlichen wegen Absolutionsverweigernng, um einen stellvertretenden Landrath indirekt als „ruchlosen Gesellen" zu bezeichnen, und der Pfarrer Dauzenberg rief grade heraus: „Die Behörden haben alle Scham verloren." Die wirklichen sachlichen und nützlichen Momente der Etatsdebatte wurden auf diese Weise ganz bei Seite gedrängt. Indeß sind doch einige wichtige Beschlüsse durchgesetzt worden; so namentlich die Forderung gesetzlicher Regelung der Altersznlagen und des Pensionswesens der Elementarlehrer. —Definitiv angenommen wurde der Ge¬ setzentwurf wegen Theilung der Provinz Preußen, außerdem eine Anleihe für Wasser- und Eiseubahubauzwecke bewilligt. Durch eine Jnterpellation eines Abgeordneten polnischer Nationalität wurde eine überaus unerquickliche Zeuguiß- zwcmgsaffaire ans Licht gezogen, die im Reichstage ohne Zweifel aufs neue zur Sprache gebracht werden wird. Das Herrenhaus hat eine Borlage betreffend die Unterbringung ver¬ wahrloster Kinder in Erziehungs- und Bessernngshüusern unter Hinzufügung mehrerer erheblicher Verbesserungen durchberatheu. Leider scheint es, als ob die Regierung den Gesetzentwurf an der vom Herrenhause beschlossenen Her¬ anziehung des Staates zur Theilnahme an der Aufbringung der Kosten X- ?- scheitern lassen wollte. Z)le Versteigerung der Kupferstich Sammlung Lipljart. Zu den werthvollsten Kupferstich-Sammlungen, welche in den letzten Jahr¬ zehnten in Leipzig, dem größten Kupferstichmarkte der Welt, zur Versteigerung gekommen sind, gehört diejenige des Herrn K. E. v. Liphart in Florenz, eines bekannten, sehr feinen Kunstkenners und eifrigen Sammlers. Derselbe legte den Grund dieser Sammlung im Jahre 1836 in Leipziger Kunstanktionen und vermehrte und verbesserte sie dann während seines längeren Aufenthaltes in Bonn, Berlin, Paris, in den Niederlanden, in Rußland und Italien. Da ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/402>, abgerufen am 03.07.2024.