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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Literatur.
Die Landschaft in der Kunst der alten Völker. Eine Geschichte der Vor¬
stufen und Anfänge der Landschaftsmalerei von Karl Woerrmann. München,
Theodor Ackermann, 1876.

Die Möglichkeit der Landschaftsmalerei im eigentlichen Sinne fällt mehr
als die Möglichkeit anderer Gemälde mit der Ausbildung des malerischen
Prinzips in der Malerei der Völker zusammen. Nur da, wo die letztere die
höchste Stufe ihres technischen Könnens erreicht hat, kann sie vollendete Land¬
schaftsbilder zu Stande bringen; denn gerade das seelische Element, welches
wir in die Landschaft hineinlegen, liegt in denjenigen Erscheinungen, die nur
durch die höchste Technik zu erreichen sind. Mit andern Worten: die Stim¬
mung, der Dämmerschein des Geistes, liegt vorzüglich in den Lichteffecten,
dann in der Abstufung des Colorits, in der durch richtige Farbenperspective
bedingten Haltung und in der Zusammenstimmung der Farbentöne, die gleich
denen der Musik ihr Moll und Dur haben können, und es gehört eine sehr
große Beherrschung der Farben dazu, um solche Effecte zu erzielen. Wir
dürfen daher nicht erwarten, eine eigentliche Landschaftsmalerei bei Völkern
zu finden, deren Malerei in der Behandlung der Farben noch keinen hohen
Grad erreicht hat, was keineswegs ausschließt, daß dieselben Völker Figuren¬
gemälde von hoher künstlerischer und ethischer Bedeutung aufzuweisen haben
können; denn diese Bedeutung kann sich hier schon in den Umrissen aus¬
sprechen. Man muß aber weitergehen und sagen, es kann ein Volk oder
eine Epoche sich im Vollbesitze jenes malerischen Princip befinden und es doch
zu keiner selbständigen Landschaftsmalerei bringen, d. h. zu keiner solchen, die,
statt zu den hauptsächlichen figürlichen Scenen einen ansprechenden Hinter¬
grund zu bilden, die Landschaft, ein bestimmtes Stück Natur, zur Hauptsache
macht und die Figuren zur Staffage herabdrückt. Eine solche wirkliche Land¬
schaftsmalerei wird sich nur bei Völkern und in Zeiten entwickeln, deren
Naturanschauung weder eine nur religiöse geblieben^, noch zur reinen Natur¬
wissenschaft geworden ist.

Von diesen Grundgedanken ausgehend, kommt der Verfasser des mit
außerordentlichem Fleiße gearbeiteten, mit einer großen Masse von Beispielen
ausgestatteten Werkes, dem zu besserem Verständnisse auch eine Anzahl Litho¬
graphien altgriechischer, kampanischer und orientalischer Landschaftsbilder bei¬
gegeben sind, zu folgenden Ergebnissen.

Die chinesische und japanische Landschaftsmalerei, die der campanischen
ähnlich ist, ist wesentlich decorativ, und ihr fehlen landschaftliche Geschlossen¬
heit und Verwerthung der Licht- und Schattenwirkungen sowie fast alle


Literatur.
Die Landschaft in der Kunst der alten Völker. Eine Geschichte der Vor¬
stufen und Anfänge der Landschaftsmalerei von Karl Woerrmann. München,
Theodor Ackermann, 1876.

Die Möglichkeit der Landschaftsmalerei im eigentlichen Sinne fällt mehr
als die Möglichkeit anderer Gemälde mit der Ausbildung des malerischen
Prinzips in der Malerei der Völker zusammen. Nur da, wo die letztere die
höchste Stufe ihres technischen Könnens erreicht hat, kann sie vollendete Land¬
schaftsbilder zu Stande bringen; denn gerade das seelische Element, welches
wir in die Landschaft hineinlegen, liegt in denjenigen Erscheinungen, die nur
durch die höchste Technik zu erreichen sind. Mit andern Worten: die Stim¬
mung, der Dämmerschein des Geistes, liegt vorzüglich in den Lichteffecten,
dann in der Abstufung des Colorits, in der durch richtige Farbenperspective
bedingten Haltung und in der Zusammenstimmung der Farbentöne, die gleich
denen der Musik ihr Moll und Dur haben können, und es gehört eine sehr
große Beherrschung der Farben dazu, um solche Effecte zu erzielen. Wir
dürfen daher nicht erwarten, eine eigentliche Landschaftsmalerei bei Völkern
zu finden, deren Malerei in der Behandlung der Farben noch keinen hohen
Grad erreicht hat, was keineswegs ausschließt, daß dieselben Völker Figuren¬
gemälde von hoher künstlerischer und ethischer Bedeutung aufzuweisen haben
können; denn diese Bedeutung kann sich hier schon in den Umrissen aus¬
sprechen. Man muß aber weitergehen und sagen, es kann ein Volk oder
eine Epoche sich im Vollbesitze jenes malerischen Princip befinden und es doch
zu keiner selbständigen Landschaftsmalerei bringen, d. h. zu keiner solchen, die,
statt zu den hauptsächlichen figürlichen Scenen einen ansprechenden Hinter¬
grund zu bilden, die Landschaft, ein bestimmtes Stück Natur, zur Hauptsache
macht und die Figuren zur Staffage herabdrückt. Eine solche wirkliche Land¬
schaftsmalerei wird sich nur bei Völkern und in Zeiten entwickeln, deren
Naturanschauung weder eine nur religiöse geblieben^, noch zur reinen Natur¬
wissenschaft geworden ist.

Von diesen Grundgedanken ausgehend, kommt der Verfasser des mit
außerordentlichem Fleiße gearbeiteten, mit einer großen Masse von Beispielen
ausgestatteten Werkes, dem zu besserem Verständnisse auch eine Anzahl Litho¬
graphien altgriechischer, kampanischer und orientalischer Landschaftsbilder bei¬
gegeben sind, zu folgenden Ergebnissen.

Die chinesische und japanische Landschaftsmalerei, die der campanischen
ähnlich ist, ist wesentlich decorativ, und ihr fehlen landschaftliche Geschlossen¬
heit und Verwerthung der Licht- und Schattenwirkungen sowie fast alle


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[0398] Literatur. Die Landschaft in der Kunst der alten Völker. Eine Geschichte der Vor¬ stufen und Anfänge der Landschaftsmalerei von Karl Woerrmann. München, Theodor Ackermann, 1876. Die Möglichkeit der Landschaftsmalerei im eigentlichen Sinne fällt mehr als die Möglichkeit anderer Gemälde mit der Ausbildung des malerischen Prinzips in der Malerei der Völker zusammen. Nur da, wo die letztere die höchste Stufe ihres technischen Könnens erreicht hat, kann sie vollendete Land¬ schaftsbilder zu Stande bringen; denn gerade das seelische Element, welches wir in die Landschaft hineinlegen, liegt in denjenigen Erscheinungen, die nur durch die höchste Technik zu erreichen sind. Mit andern Worten: die Stim¬ mung, der Dämmerschein des Geistes, liegt vorzüglich in den Lichteffecten, dann in der Abstufung des Colorits, in der durch richtige Farbenperspective bedingten Haltung und in der Zusammenstimmung der Farbentöne, die gleich denen der Musik ihr Moll und Dur haben können, und es gehört eine sehr große Beherrschung der Farben dazu, um solche Effecte zu erzielen. Wir dürfen daher nicht erwarten, eine eigentliche Landschaftsmalerei bei Völkern zu finden, deren Malerei in der Behandlung der Farben noch keinen hohen Grad erreicht hat, was keineswegs ausschließt, daß dieselben Völker Figuren¬ gemälde von hoher künstlerischer und ethischer Bedeutung aufzuweisen haben können; denn diese Bedeutung kann sich hier schon in den Umrissen aus¬ sprechen. Man muß aber weitergehen und sagen, es kann ein Volk oder eine Epoche sich im Vollbesitze jenes malerischen Princip befinden und es doch zu keiner selbständigen Landschaftsmalerei bringen, d. h. zu keiner solchen, die, statt zu den hauptsächlichen figürlichen Scenen einen ansprechenden Hinter¬ grund zu bilden, die Landschaft, ein bestimmtes Stück Natur, zur Hauptsache macht und die Figuren zur Staffage herabdrückt. Eine solche wirkliche Land¬ schaftsmalerei wird sich nur bei Völkern und in Zeiten entwickeln, deren Naturanschauung weder eine nur religiöse geblieben^, noch zur reinen Natur¬ wissenschaft geworden ist. Von diesen Grundgedanken ausgehend, kommt der Verfasser des mit außerordentlichem Fleiße gearbeiteten, mit einer großen Masse von Beispielen ausgestatteten Werkes, dem zu besserem Verständnisse auch eine Anzahl Litho¬ graphien altgriechischer, kampanischer und orientalischer Landschaftsbilder bei¬ gegeben sind, zu folgenden Ergebnissen. Die chinesische und japanische Landschaftsmalerei, die der campanischen ähnlich ist, ist wesentlich decorativ, und ihr fehlen landschaftliche Geschlossen¬ heit und Verwerthung der Licht- und Schattenwirkungen sowie fast alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/398>, abgerufen am 27.11.2024.