Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Gunsten einer nur auf das Vernichten gerichteten Tendenz keinerlei Aussicht
hatten, jemals viele Anhänger zu gewinnen. Unter Czar Nikolaus hätte
man sie trotzdem, als sie entdeckt wurden, gehangen oder todtgeknutet.
Unter dem Kaiser Alexander strafte man sie mit Recht nur als halbe Mond¬
süchtige.

Die Gesellschaft umfaßte Leute von den verschiedensten Lebensstellungen.
Der leitende Geist war ein gewisser Netschajeff, der, als man die Polizei sich
auf der Spur sah, ins Ausland entfloh. Der nächste Schuldige nach ihm
war Dolgow, der Sohn eines Staatsraths. Die andern Theilnehmer, unter
denen noch Rippona, der Sohn eines Offiziers, und ein Fürst Tscherkesoff
hervorragten, gehörten meist der Studentenschaft der Petrowsky-Universität
an. Ihre Pläne wurden den Anhängern der Bewegung insgeheim durch ein
Blatt bekannt gemacht, welches den Titel "Von den Vereinigten an die
Einzelnstehenden" führte und die Russen zur Revolte gegen die Negierung
aufrief. Trotzdem waren die Urtheile, welche gegen diese Hansnarren¬
verschwörung schließlich ergingen, ungemein mild. Das strengste, gegen
den Fürsten Tscherkesoff gefällt, beraubte diesen seiner Titel und Adelsvor¬
rechte und verwies ihn auf fünf Jahre nach der Provinz Tomsk. Die übri¬
gen Verschwornen steckte man ins Gefängniß, einige auf ein Jahr, andere
auf etliche Monate, die am wenigsten gravirten nur auf drei Wochen.


Moritz Busch.


Kuh Schwaben.

Die projectirte Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich beschäftigt
in diesem Augenblick auch in Württemberg das öffentliche Interesse. Wir
haben schon wiederholt Gelegenheit gehabt, den Einfluß zu schildern, welchen
bisher der ausschließliche Betrieb sämmtlicher Bahnen und auch der Staat
nicht nur auf die Finanzen, sondern auf die ganze innere Politik unseres
Landes ausübte. Mit um so größerer Spannung sieht man daher jetzt einer
Entwicklung entgegen, welche zwar zur Zeit noch da und dort, in der öffent¬
lichen Meinung wie bei den Regierungen mit Schwierigkeiten zu kämpfen
haben wird, welcher aber -- Jeder mit unseren Verhältnissen näher Vertraute
muß dieß zugeben -- der Sieg in einer nahen Zukunft sicher ist. Zunächst
leuchtet ein, daß der Uebergang der Bahnen auf das Reich vom Standpunkt
^es Terfassungsrechts die einfachste Lösung der vielfachen Schwierigkeiten ent-


zu Gunsten einer nur auf das Vernichten gerichteten Tendenz keinerlei Aussicht
hatten, jemals viele Anhänger zu gewinnen. Unter Czar Nikolaus hätte
man sie trotzdem, als sie entdeckt wurden, gehangen oder todtgeknutet.
Unter dem Kaiser Alexander strafte man sie mit Recht nur als halbe Mond¬
süchtige.

Die Gesellschaft umfaßte Leute von den verschiedensten Lebensstellungen.
Der leitende Geist war ein gewisser Netschajeff, der, als man die Polizei sich
auf der Spur sah, ins Ausland entfloh. Der nächste Schuldige nach ihm
war Dolgow, der Sohn eines Staatsraths. Die andern Theilnehmer, unter
denen noch Rippona, der Sohn eines Offiziers, und ein Fürst Tscherkesoff
hervorragten, gehörten meist der Studentenschaft der Petrowsky-Universität
an. Ihre Pläne wurden den Anhängern der Bewegung insgeheim durch ein
Blatt bekannt gemacht, welches den Titel „Von den Vereinigten an die
Einzelnstehenden" führte und die Russen zur Revolte gegen die Negierung
aufrief. Trotzdem waren die Urtheile, welche gegen diese Hansnarren¬
verschwörung schließlich ergingen, ungemein mild. Das strengste, gegen
den Fürsten Tscherkesoff gefällt, beraubte diesen seiner Titel und Adelsvor¬
rechte und verwies ihn auf fünf Jahre nach der Provinz Tomsk. Die übri¬
gen Verschwornen steckte man ins Gefängniß, einige auf ein Jahr, andere
auf etliche Monate, die am wenigsten gravirten nur auf drei Wochen.


Moritz Busch.


Kuh Schwaben.

Die projectirte Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich beschäftigt
in diesem Augenblick auch in Württemberg das öffentliche Interesse. Wir
haben schon wiederholt Gelegenheit gehabt, den Einfluß zu schildern, welchen
bisher der ausschließliche Betrieb sämmtlicher Bahnen und auch der Staat
nicht nur auf die Finanzen, sondern auf die ganze innere Politik unseres
Landes ausübte. Mit um so größerer Spannung sieht man daher jetzt einer
Entwicklung entgegen, welche zwar zur Zeit noch da und dort, in der öffent¬
lichen Meinung wie bei den Regierungen mit Schwierigkeiten zu kämpfen
haben wird, welcher aber — Jeder mit unseren Verhältnissen näher Vertraute
muß dieß zugeben — der Sieg in einer nahen Zukunft sicher ist. Zunächst
leuchtet ein, daß der Uebergang der Bahnen auf das Reich vom Standpunkt
^es Terfassungsrechts die einfachste Lösung der vielfachen Schwierigkeiten ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135132"/>
          <p xml:id="ID_198" prev="#ID_197"> zu Gunsten einer nur auf das Vernichten gerichteten Tendenz keinerlei Aussicht<lb/>
hatten, jemals viele Anhänger zu gewinnen. Unter Czar Nikolaus hätte<lb/>
man sie trotzdem, als sie entdeckt wurden, gehangen oder todtgeknutet.<lb/>
Unter dem Kaiser Alexander strafte man sie mit Recht nur als halbe Mond¬<lb/>
süchtige.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_199"> Die Gesellschaft umfaßte Leute von den verschiedensten Lebensstellungen.<lb/>
Der leitende Geist war ein gewisser Netschajeff, der, als man die Polizei sich<lb/>
auf der Spur sah, ins Ausland entfloh. Der nächste Schuldige nach ihm<lb/>
war Dolgow, der Sohn eines Staatsraths. Die andern Theilnehmer, unter<lb/>
denen noch Rippona, der Sohn eines Offiziers, und ein Fürst Tscherkesoff<lb/>
hervorragten, gehörten meist der Studentenschaft der Petrowsky-Universität<lb/>
an. Ihre Pläne wurden den Anhängern der Bewegung insgeheim durch ein<lb/>
Blatt bekannt gemacht, welches den Titel &#x201E;Von den Vereinigten an die<lb/>
Einzelnstehenden" führte und die Russen zur Revolte gegen die Negierung<lb/>
aufrief. Trotzdem waren die Urtheile, welche gegen diese Hansnarren¬<lb/>
verschwörung schließlich ergingen, ungemein mild. Das strengste, gegen<lb/>
den Fürsten Tscherkesoff gefällt, beraubte diesen seiner Titel und Adelsvor¬<lb/>
rechte und verwies ihn auf fünf Jahre nach der Provinz Tomsk. Die übri¬<lb/>
gen Verschwornen steckte man ins Gefängniß, einige auf ein Jahr, andere<lb/>
auf etliche Monate, die am wenigsten gravirten nur auf drei Wochen.</p><lb/>
          <note type="byline"> Moritz Busch.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kuh Schwaben.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_200" next="#ID_201"> Die projectirte Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich beschäftigt<lb/>
in diesem Augenblick auch in Württemberg das öffentliche Interesse. Wir<lb/>
haben schon wiederholt Gelegenheit gehabt, den Einfluß zu schildern, welchen<lb/>
bisher der ausschließliche Betrieb sämmtlicher Bahnen und auch der Staat<lb/>
nicht nur auf die Finanzen, sondern auf die ganze innere Politik unseres<lb/>
Landes ausübte. Mit um so größerer Spannung sieht man daher jetzt einer<lb/>
Entwicklung entgegen, welche zwar zur Zeit noch da und dort, in der öffent¬<lb/>
lichen Meinung wie bei den Regierungen mit Schwierigkeiten zu kämpfen<lb/>
haben wird, welcher aber &#x2014; Jeder mit unseren Verhältnissen näher Vertraute<lb/>
muß dieß zugeben &#x2014; der Sieg in einer nahen Zukunft sicher ist. Zunächst<lb/>
leuchtet ein, daß der Uebergang der Bahnen auf das Reich vom Standpunkt<lb/>
^es Terfassungsrechts die einfachste Lösung der vielfachen Schwierigkeiten ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] zu Gunsten einer nur auf das Vernichten gerichteten Tendenz keinerlei Aussicht hatten, jemals viele Anhänger zu gewinnen. Unter Czar Nikolaus hätte man sie trotzdem, als sie entdeckt wurden, gehangen oder todtgeknutet. Unter dem Kaiser Alexander strafte man sie mit Recht nur als halbe Mond¬ süchtige. Die Gesellschaft umfaßte Leute von den verschiedensten Lebensstellungen. Der leitende Geist war ein gewisser Netschajeff, der, als man die Polizei sich auf der Spur sah, ins Ausland entfloh. Der nächste Schuldige nach ihm war Dolgow, der Sohn eines Staatsraths. Die andern Theilnehmer, unter denen noch Rippona, der Sohn eines Offiziers, und ein Fürst Tscherkesoff hervorragten, gehörten meist der Studentenschaft der Petrowsky-Universität an. Ihre Pläne wurden den Anhängern der Bewegung insgeheim durch ein Blatt bekannt gemacht, welches den Titel „Von den Vereinigten an die Einzelnstehenden" führte und die Russen zur Revolte gegen die Negierung aufrief. Trotzdem waren die Urtheile, welche gegen diese Hansnarren¬ verschwörung schließlich ergingen, ungemein mild. Das strengste, gegen den Fürsten Tscherkesoff gefällt, beraubte diesen seiner Titel und Adelsvor¬ rechte und verwies ihn auf fünf Jahre nach der Provinz Tomsk. Die übri¬ gen Verschwornen steckte man ins Gefängniß, einige auf ein Jahr, andere auf etliche Monate, die am wenigsten gravirten nur auf drei Wochen. Moritz Busch. Kuh Schwaben. Die projectirte Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich beschäftigt in diesem Augenblick auch in Württemberg das öffentliche Interesse. Wir haben schon wiederholt Gelegenheit gehabt, den Einfluß zu schildern, welchen bisher der ausschließliche Betrieb sämmtlicher Bahnen und auch der Staat nicht nur auf die Finanzen, sondern auf die ganze innere Politik unseres Landes ausübte. Mit um so größerer Spannung sieht man daher jetzt einer Entwicklung entgegen, welche zwar zur Zeit noch da und dort, in der öffent¬ lichen Meinung wie bei den Regierungen mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, welcher aber — Jeder mit unseren Verhältnissen näher Vertraute muß dieß zugeben — der Sieg in einer nahen Zukunft sicher ist. Zunächst leuchtet ein, daß der Uebergang der Bahnen auf das Reich vom Standpunkt ^es Terfassungsrechts die einfachste Lösung der vielfachen Schwierigkeiten ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/79>, abgerufen am 22.07.2024.