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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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augenblicklich mit viel Umsicht und Einsicht in seinem Leibblatt und kommt
zu dem Schlüsse, daß die Erweiterung trotz der enormen Kosten denn doch
nicht so übel sei. Das meinen so ziemlich alle Pfahlbürger von Straßburg.
Seitens der Verwaltung wird indessen an der Ausführung des einmal ge¬
faßten Projectes rüstig weiter gearbeitet. Man wird jetzt bald mit den
Expropriationen beginnen. Und das dürfte wohl kein leichtes Stück Arbeit
s ein.




Line Stimme gegen die Berliner Kochschule für Musik.*)

Die deutsche Broschürenliteratur hat seit Riegel's Angriff auf Lübke kein so
widerwärtiges Pamphlet auszuweisen gehabt, wie diese Schrift. Der Inhalt
derselben läßt sich kurz dahin zusammenfassen: Die neugegründete Hochschule
für Musik in Berlin ist ein nichtsnutziges Institut aus folgenden drei Grün¬
den: 1) Sie ist überflüssig, denn es giebt Privatinstitute genug in Berlin,
die denselben Zweck verfolgen. 2) Wenn der Staat ein solches Institut
gründen wollte, so mußte er selbstverständlich lauter Berliner, aber nicht aus¬
wärtige Kräfte zu Lehrern berufen. 3) Vor allen Dingen -- und darum
dreht sich bei weitem der größte Theil der ganzen Schrift -- mußte als
Professor der Musikgeschichte nicht Spitta, sondern der neubackne "Dr. pdil."
der Leipziger Universität, August Reißmann, Verfasser so und so vieler epoche¬
machender musikwissenschaftlicher Werke, angestellt werden. Also von Anfang
bis zu Ende der unverblümteste Ausdruck des gewöhnlichsten persönlichen Neides.
Und dann zum Schlüsse die nette Aufforderung an das preußische Abgeord¬
netenhaus, die für die musikalische Hochschule provisorisch bewilligten Geld¬
mittel wieder zurückzuziehen.

Die Schrift würde gänzlich bedeutungslos sein, wenn sie nicht zugleich
ein Symptom des nun Gott sei Dank auch in der Musikwissenschaft ent¬
brennenden Kampfes zwischen Wissenschaftlichkeit und Dilettantismus wäre.
Reißmann's unreife Wuth kehrt sich gegen Spitta's seit 1873 zur Hälfte
vorliegende Bachbiographie. Aus diesem Buche reißt er etwa 15 Stellen aus
dem Zusammenhange heraus und bemüht sich mit kläglicher Lustigkeit, sie
lächerlich zu machen. Wer hierbei einzig und allein dem Fluche der Lächer¬
lichkett verfällt, liegt auf der Hand. Spitta's Buch ist über derartige schüler¬
hafte Angriffe hoch erhaben -- eine Kritik kann man das doch nicht nennen.



") Die königliche Hochschule für Musik in Berlin beleuchtet von Dr. A. Reißmann. Ber¬
lin. Guttentag 1876.

augenblicklich mit viel Umsicht und Einsicht in seinem Leibblatt und kommt
zu dem Schlüsse, daß die Erweiterung trotz der enormen Kosten denn doch
nicht so übel sei. Das meinen so ziemlich alle Pfahlbürger von Straßburg.
Seitens der Verwaltung wird indessen an der Ausführung des einmal ge¬
faßten Projectes rüstig weiter gearbeitet. Man wird jetzt bald mit den
Expropriationen beginnen. Und das dürfte wohl kein leichtes Stück Arbeit
s ein.




Line Stimme gegen die Berliner Kochschule für Musik.*)

Die deutsche Broschürenliteratur hat seit Riegel's Angriff auf Lübke kein so
widerwärtiges Pamphlet auszuweisen gehabt, wie diese Schrift. Der Inhalt
derselben läßt sich kurz dahin zusammenfassen: Die neugegründete Hochschule
für Musik in Berlin ist ein nichtsnutziges Institut aus folgenden drei Grün¬
den: 1) Sie ist überflüssig, denn es giebt Privatinstitute genug in Berlin,
die denselben Zweck verfolgen. 2) Wenn der Staat ein solches Institut
gründen wollte, so mußte er selbstverständlich lauter Berliner, aber nicht aus¬
wärtige Kräfte zu Lehrern berufen. 3) Vor allen Dingen — und darum
dreht sich bei weitem der größte Theil der ganzen Schrift — mußte als
Professor der Musikgeschichte nicht Spitta, sondern der neubackne „Dr. pdil."
der Leipziger Universität, August Reißmann, Verfasser so und so vieler epoche¬
machender musikwissenschaftlicher Werke, angestellt werden. Also von Anfang
bis zu Ende der unverblümteste Ausdruck des gewöhnlichsten persönlichen Neides.
Und dann zum Schlüsse die nette Aufforderung an das preußische Abgeord¬
netenhaus, die für die musikalische Hochschule provisorisch bewilligten Geld¬
mittel wieder zurückzuziehen.

Die Schrift würde gänzlich bedeutungslos sein, wenn sie nicht zugleich
ein Symptom des nun Gott sei Dank auch in der Musikwissenschaft ent¬
brennenden Kampfes zwischen Wissenschaftlichkeit und Dilettantismus wäre.
Reißmann's unreife Wuth kehrt sich gegen Spitta's seit 1873 zur Hälfte
vorliegende Bachbiographie. Aus diesem Buche reißt er etwa 15 Stellen aus
dem Zusammenhange heraus und bemüht sich mit kläglicher Lustigkeit, sie
lächerlich zu machen. Wer hierbei einzig und allein dem Fluche der Lächer¬
lichkett verfällt, liegt auf der Hand. Spitta's Buch ist über derartige schüler¬
hafte Angriffe hoch erhaben — eine Kritik kann man das doch nicht nennen.



") Die königliche Hochschule für Musik in Berlin beleuchtet von Dr. A. Reißmann. Ber¬
lin. Guttentag 1876.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/520>, abgerufen am 22.07.2024.