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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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das prächtigste Land für frühzeitige Möhren und Blumenkohl, das jemals
-- auch ein gutes Feld für Missionäre. Es giebt auf dem ganzen Erden¬
rund außerhalb der Sumpfdicktchte von Mittelafrika kein einziges solches
Missionsfeld. Und patriotisch ist es -- el der Tausend, man benannte ja
den Ort sogar nach dem Charakter des Congresses! -- O ich sage Dir, meine
Liebe, es ist eine gute Zeit im Anzüge, und sie wird vor der Thür sein,
bevor Du recht weißt, wie Du mit ihr daran bist. Die Eisenbahn bringt
Alles wieder in den Gang."

Die gute Frau ist damit getröstet. Aber Eschol Tellers hat wieder ein¬
mal die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Nicht lange, so trifft die Nach¬
richt ein, daß die Eisenbahngesellschaft sich anders besonnen hat und nicht
über Stores Landing, sondern über Hawkeye baut, und damit fällt sein
ganzes Kartenhaus mit seinen neunundvierzig Brücken, und er liegt aber¬
mals auf dem Rücken.




Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen.
1. Diedenhofen. Sierck.

Wir ziehen aus den Thoren von Metz nach Norden, dem Laufe der
Mosel entlang, die sich in schlanker Windung durch das Land ergießt. Sie
ist nicht tief und nur leichte Kähne mit malerischer Fracht beleben ihre Fluth.
Mit einmal greift ein stattlicher Arm hinaus ins Land; der Bau, den er
umschließt, sind die Festungswerke von Diedenhofen.

Auch das gesammte Gebiet, auf dem wir uns befinden, "Kreis" und
"Canton" trägt diesen Namen, ein Name durch welchen unwillkürlich noch
ein Anklang an karolingische Zeiten tönt. Es ist kein fesselnder Landstrich
im eigentlichen Sinne des Wortes; kein Bild von imposanten Formen, das
sich mächtig einprägt, tritt uns hier entgegen, sondern breit und hart liegt
der vielgestaltige Boden da und fordert strenge Arbeit von denen, die ihn
bebauen. An manchen Stellen vermag aller Fleiß ihm nur Eisen und Kohle
abzutrotzen, statt goldener Saat, die freudig emporblüht, an manchen Stellen
decken noch weite Wäldermasfen den Grund, wie der Vierherrenwald und der
Königswald bei Kattenhofen. Dazwischen aber ziehen die Höhen und von
so manchem Uferrand winken die Reben. Das Volk ist regsam und thätig,
es hält seine Heerden wohl in Acht und unter den Bauern bestehen Vereine,
um den Landbau zu heben.

Dies etwa ist die Physiognomie und das Gepräge des gesammten Kreises,


das prächtigste Land für frühzeitige Möhren und Blumenkohl, das jemals
— auch ein gutes Feld für Missionäre. Es giebt auf dem ganzen Erden¬
rund außerhalb der Sumpfdicktchte von Mittelafrika kein einziges solches
Missionsfeld. Und patriotisch ist es — el der Tausend, man benannte ja
den Ort sogar nach dem Charakter des Congresses! — O ich sage Dir, meine
Liebe, es ist eine gute Zeit im Anzüge, und sie wird vor der Thür sein,
bevor Du recht weißt, wie Du mit ihr daran bist. Die Eisenbahn bringt
Alles wieder in den Gang."

Die gute Frau ist damit getröstet. Aber Eschol Tellers hat wieder ein¬
mal die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Nicht lange, so trifft die Nach¬
richt ein, daß die Eisenbahngesellschaft sich anders besonnen hat und nicht
über Stores Landing, sondern über Hawkeye baut, und damit fällt sein
ganzes Kartenhaus mit seinen neunundvierzig Brücken, und er liegt aber¬
mals auf dem Rücken.




Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen.
1. Diedenhofen. Sierck.

Wir ziehen aus den Thoren von Metz nach Norden, dem Laufe der
Mosel entlang, die sich in schlanker Windung durch das Land ergießt. Sie
ist nicht tief und nur leichte Kähne mit malerischer Fracht beleben ihre Fluth.
Mit einmal greift ein stattlicher Arm hinaus ins Land; der Bau, den er
umschließt, sind die Festungswerke von Diedenhofen.

Auch das gesammte Gebiet, auf dem wir uns befinden, „Kreis" und
„Canton" trägt diesen Namen, ein Name durch welchen unwillkürlich noch
ein Anklang an karolingische Zeiten tönt. Es ist kein fesselnder Landstrich
im eigentlichen Sinne des Wortes; kein Bild von imposanten Formen, das
sich mächtig einprägt, tritt uns hier entgegen, sondern breit und hart liegt
der vielgestaltige Boden da und fordert strenge Arbeit von denen, die ihn
bebauen. An manchen Stellen vermag aller Fleiß ihm nur Eisen und Kohle
abzutrotzen, statt goldener Saat, die freudig emporblüht, an manchen Stellen
decken noch weite Wäldermasfen den Grund, wie der Vierherrenwald und der
Königswald bei Kattenhofen. Dazwischen aber ziehen die Höhen und von
so manchem Uferrand winken die Reben. Das Volk ist regsam und thätig,
es hält seine Heerden wohl in Acht und unter den Bauern bestehen Vereine,
um den Landbau zu heben.

Dies etwa ist die Physiognomie und das Gepräge des gesammten Kreises,


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[0355] das prächtigste Land für frühzeitige Möhren und Blumenkohl, das jemals — auch ein gutes Feld für Missionäre. Es giebt auf dem ganzen Erden¬ rund außerhalb der Sumpfdicktchte von Mittelafrika kein einziges solches Missionsfeld. Und patriotisch ist es — el der Tausend, man benannte ja den Ort sogar nach dem Charakter des Congresses! — O ich sage Dir, meine Liebe, es ist eine gute Zeit im Anzüge, und sie wird vor der Thür sein, bevor Du recht weißt, wie Du mit ihr daran bist. Die Eisenbahn bringt Alles wieder in den Gang." Die gute Frau ist damit getröstet. Aber Eschol Tellers hat wieder ein¬ mal die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Nicht lange, so trifft die Nach¬ richt ein, daß die Eisenbahngesellschaft sich anders besonnen hat und nicht über Stores Landing, sondern über Hawkeye baut, und damit fällt sein ganzes Kartenhaus mit seinen neunundvierzig Brücken, und er liegt aber¬ mals auf dem Rücken. Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen. 1. Diedenhofen. Sierck. Wir ziehen aus den Thoren von Metz nach Norden, dem Laufe der Mosel entlang, die sich in schlanker Windung durch das Land ergießt. Sie ist nicht tief und nur leichte Kähne mit malerischer Fracht beleben ihre Fluth. Mit einmal greift ein stattlicher Arm hinaus ins Land; der Bau, den er umschließt, sind die Festungswerke von Diedenhofen. Auch das gesammte Gebiet, auf dem wir uns befinden, „Kreis" und „Canton" trägt diesen Namen, ein Name durch welchen unwillkürlich noch ein Anklang an karolingische Zeiten tönt. Es ist kein fesselnder Landstrich im eigentlichen Sinne des Wortes; kein Bild von imposanten Formen, das sich mächtig einprägt, tritt uns hier entgegen, sondern breit und hart liegt der vielgestaltige Boden da und fordert strenge Arbeit von denen, die ihn bebauen. An manchen Stellen vermag aller Fleiß ihm nur Eisen und Kohle abzutrotzen, statt goldener Saat, die freudig emporblüht, an manchen Stellen decken noch weite Wäldermasfen den Grund, wie der Vierherrenwald und der Königswald bei Kattenhofen. Dazwischen aber ziehen die Höhen und von so manchem Uferrand winken die Reben. Das Volk ist regsam und thätig, es hält seine Heerden wohl in Acht und unter den Bauern bestehen Vereine, um den Landbau zu heben. Dies etwa ist die Physiognomie und das Gepräge des gesammten Kreises,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/355>, abgerufen am 22.07.2024.