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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Literatur.

Transatlantische Streifzüge. Erlebnisse und Erfahrungen aus
Nordamerika von M. v. Versen. Leipzig, Duncker und Humblot. 1876.
Der Verfasser, preußischer Oberstleutnant und gegenwärtig Commandeur des
thüringischen Husarenregiments Ur. 12, hat uns schon ein vortreffliches Buch
über seine Abenteuer und Beobachtungen im Lager des paraguitischen Dic¬
tators Lopez, bet dem er anderthalb Jahre zubrachte, geliefert. Berichtete
er dort fast nur Neues und Selbsterlebtes, so ist das hier, wo er von Bue¬
nos Ayres über Rosario, Cordova und die Cordillerenkette nach Copiapo
und Lima, von da nach Californien und von dort nach den Staaten jenseits
der Rocky Mountains und des Mississippi geht, allerdings viel weniger der
Fall. Auch ist Einiges von seinen Mittheilungen, z. B. das, was er über
die Mormonen sagt, lückenhaft und zum Theil unrichtig. Vieles Andere da¬
gegen ist von Werth, namentlich enthalten seine Darstellung der Lage der
nach Westen gedrängten Indianer auf Seite 191 bis 211, seine Bemerkungen
über die Stellung der Frauen in der Union und namentlich im Territorium
Wyoming, wo sie dieselben politischen Rechte wie die Männer besitzen, ferner
seine Betrachtungen über die Lage, in welche die Südstaaten durch den großen
Bürgerkrieg versetzt worden sind, endlich die in mehreren Kapiteln sich sinden¬
den Berichte über Arbeiterverhältnisse und Auswanderer sehr interessante und
dankenswerthe Mittheilungen. Auch die Besuche, die der Verfasser den Städten
Se. Louis. Chicago, Washington, Philadelphia und Baltimore abstattete,
haben ihm Gelegenheit gegeben, theilweise Neues zu sagen. Von besonderem
Interesse ist sein Bericht über die große Militäraeademie in Westpoint,
die er auf seiner Reise von Albany nach Newyork besuchte, und da wir hier
das Urtheil eines Militärs vor uns haben, so geben wir aus diesem Abschnitt
einen Auszug.

Das Cadettenhaus oder die Kriegsschule der Vereinigten Staaten liegt
auf einem hohen Bergkamm an einer der schönsten Windungen des Hudson.
Sie nimmt ein kleines Plateau ein, welches parkartig gehalten auf einem nach
dem Strome aufspringenden Winkel liegt. Die Gebäude machen einen ange¬
nehmen Eindruck und sind solid gebaut. Die Lehrsäle, die Wohnräume, die
Bibliothek, die Eßanstalt. Alles hat sein besonderes Gebäude, jeder Professor,
jeder Officier sein hübsches Haus mit Garten. Ein Stall mit 1S0 Pferden
nebst Reitbahn zeigt, daß die Republik für die Anstalt reichlich gesorgt hat.
Ungefähr 280 Cadetten können Aufnahme finden, eine für die nur 30.000
Mann zählende Armee der Vereinigten Staaten sehr hohe Zahl. 40 bis 30
gehen alljährlich mit der Verpflichtung, mindestens acht Jahre zu dienen, zu


Literatur.

Transatlantische Streifzüge. Erlebnisse und Erfahrungen aus
Nordamerika von M. v. Versen. Leipzig, Duncker und Humblot. 1876.
Der Verfasser, preußischer Oberstleutnant und gegenwärtig Commandeur des
thüringischen Husarenregiments Ur. 12, hat uns schon ein vortreffliches Buch
über seine Abenteuer und Beobachtungen im Lager des paraguitischen Dic¬
tators Lopez, bet dem er anderthalb Jahre zubrachte, geliefert. Berichtete
er dort fast nur Neues und Selbsterlebtes, so ist das hier, wo er von Bue¬
nos Ayres über Rosario, Cordova und die Cordillerenkette nach Copiapo
und Lima, von da nach Californien und von dort nach den Staaten jenseits
der Rocky Mountains und des Mississippi geht, allerdings viel weniger der
Fall. Auch ist Einiges von seinen Mittheilungen, z. B. das, was er über
die Mormonen sagt, lückenhaft und zum Theil unrichtig. Vieles Andere da¬
gegen ist von Werth, namentlich enthalten seine Darstellung der Lage der
nach Westen gedrängten Indianer auf Seite 191 bis 211, seine Bemerkungen
über die Stellung der Frauen in der Union und namentlich im Territorium
Wyoming, wo sie dieselben politischen Rechte wie die Männer besitzen, ferner
seine Betrachtungen über die Lage, in welche die Südstaaten durch den großen
Bürgerkrieg versetzt worden sind, endlich die in mehreren Kapiteln sich sinden¬
den Berichte über Arbeiterverhältnisse und Auswanderer sehr interessante und
dankenswerthe Mittheilungen. Auch die Besuche, die der Verfasser den Städten
Se. Louis. Chicago, Washington, Philadelphia und Baltimore abstattete,
haben ihm Gelegenheit gegeben, theilweise Neues zu sagen. Von besonderem
Interesse ist sein Bericht über die große Militäraeademie in Westpoint,
die er auf seiner Reise von Albany nach Newyork besuchte, und da wir hier
das Urtheil eines Militärs vor uns haben, so geben wir aus diesem Abschnitt
einen Auszug.

Das Cadettenhaus oder die Kriegsschule der Vereinigten Staaten liegt
auf einem hohen Bergkamm an einer der schönsten Windungen des Hudson.
Sie nimmt ein kleines Plateau ein, welches parkartig gehalten auf einem nach
dem Strome aufspringenden Winkel liegt. Die Gebäude machen einen ange¬
nehmen Eindruck und sind solid gebaut. Die Lehrsäle, die Wohnräume, die
Bibliothek, die Eßanstalt. Alles hat sein besonderes Gebäude, jeder Professor,
jeder Officier sein hübsches Haus mit Garten. Ein Stall mit 1S0 Pferden
nebst Reitbahn zeigt, daß die Republik für die Anstalt reichlich gesorgt hat.
Ungefähr 280 Cadetten können Aufnahme finden, eine für die nur 30.000
Mann zählende Armee der Vereinigten Staaten sehr hohe Zahl. 40 bis 30
gehen alljährlich mit der Verpflichtung, mindestens acht Jahre zu dienen, zu


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[0285] Literatur. Transatlantische Streifzüge. Erlebnisse und Erfahrungen aus Nordamerika von M. v. Versen. Leipzig, Duncker und Humblot. 1876. Der Verfasser, preußischer Oberstleutnant und gegenwärtig Commandeur des thüringischen Husarenregiments Ur. 12, hat uns schon ein vortreffliches Buch über seine Abenteuer und Beobachtungen im Lager des paraguitischen Dic¬ tators Lopez, bet dem er anderthalb Jahre zubrachte, geliefert. Berichtete er dort fast nur Neues und Selbsterlebtes, so ist das hier, wo er von Bue¬ nos Ayres über Rosario, Cordova und die Cordillerenkette nach Copiapo und Lima, von da nach Californien und von dort nach den Staaten jenseits der Rocky Mountains und des Mississippi geht, allerdings viel weniger der Fall. Auch ist Einiges von seinen Mittheilungen, z. B. das, was er über die Mormonen sagt, lückenhaft und zum Theil unrichtig. Vieles Andere da¬ gegen ist von Werth, namentlich enthalten seine Darstellung der Lage der nach Westen gedrängten Indianer auf Seite 191 bis 211, seine Bemerkungen über die Stellung der Frauen in der Union und namentlich im Territorium Wyoming, wo sie dieselben politischen Rechte wie die Männer besitzen, ferner seine Betrachtungen über die Lage, in welche die Südstaaten durch den großen Bürgerkrieg versetzt worden sind, endlich die in mehreren Kapiteln sich sinden¬ den Berichte über Arbeiterverhältnisse und Auswanderer sehr interessante und dankenswerthe Mittheilungen. Auch die Besuche, die der Verfasser den Städten Se. Louis. Chicago, Washington, Philadelphia und Baltimore abstattete, haben ihm Gelegenheit gegeben, theilweise Neues zu sagen. Von besonderem Interesse ist sein Bericht über die große Militäraeademie in Westpoint, die er auf seiner Reise von Albany nach Newyork besuchte, und da wir hier das Urtheil eines Militärs vor uns haben, so geben wir aus diesem Abschnitt einen Auszug. Das Cadettenhaus oder die Kriegsschule der Vereinigten Staaten liegt auf einem hohen Bergkamm an einer der schönsten Windungen des Hudson. Sie nimmt ein kleines Plateau ein, welches parkartig gehalten auf einem nach dem Strome aufspringenden Winkel liegt. Die Gebäude machen einen ange¬ nehmen Eindruck und sind solid gebaut. Die Lehrsäle, die Wohnräume, die Bibliothek, die Eßanstalt. Alles hat sein besonderes Gebäude, jeder Professor, jeder Officier sein hübsches Haus mit Garten. Ein Stall mit 1S0 Pferden nebst Reitbahn zeigt, daß die Republik für die Anstalt reichlich gesorgt hat. Ungefähr 280 Cadetten können Aufnahme finden, eine für die nur 30.000 Mann zählende Armee der Vereinigten Staaten sehr hohe Zahl. 40 bis 30 gehen alljährlich mit der Verpflichtung, mindestens acht Jahre zu dienen, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/285>, abgerufen am 22.07.2024.