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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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wir drei Tage auswärts genußvoll schön verlebt hatten, an diesem Abend
wohl erhalten, in unser einziges Rom zurück, wo wir mit erneuerten Kräften
unsere Arbeiten fortsetzen, und ich nun die Genüsse, die mir diese Reise gab,
in der Unterhaltung mit Ihnen theuerste Freundinn auf das schönste wieder¬
holt habe. Nehmen Sie meine lange Epistel gütig auf und theilen Sie sie
meiner guten Ncmnette, die ich durch Sie herzlich küsse, vorzüglich mit, da
ich weiß, daß es ihr einzigen Genuß gewähren kann. Grüßen Sie alle die
sich meiner erinnern wollen, vorzüglich aber küssen Sie Ihren lieben Mann
und l. Familie, und erfreuen Sie recht bald wieder einmal mit Nachrichten
von Ihnen

Ihrenaufrichtigen Freund


Haller.


Lin neuer amerikanischer Novellist.

Amerikanische Novellisten. 1. Band. Ein leidenschaftlicher Erdenpilger und andere
Erzählungen von Henry James jun. Leipzig, Fr. W. Grunow. 1876.

In der Kritik geht doch nichts über die Kraftworte. So sagten wir
uns, als wir vor Kurzem in der Berliner "Volkszeitung- durch Zufall --
denn wir lesen das "Organ für Jedermann aus dem Volke" selbstverständlich
sonst nicht -- auf die Rubrik "Literarisches" stießen und hier einigen Zeilen
begegneten, die eine Beurtheilung der obengenannten Novellensammlung sein
wollten. Die angesehensten englischen und amerikanischen Zeitschriften hatten
sich über dieselbe sehr günstig ausgesprochen und das Buch als eine ungewöhn¬
liche Erscheinung behandelt. Das Blatt der weisen Thebaner an der Spree
dagegen "sah nicht ein, wozu es der Mühe verlohnt, solchen Schund zu über¬
setzen, wie ihn da James zusammengeschmiert hat". Der Verfasser erschien
ihm als "Papierkorb-Candidat", seine Erzählungen sind "aller Poesie baar",
und "die ödeste Langeweile gähnt uns aus ihnen an". Wir wagten uns
trotz dieser Warnung an die Lectüre des Buches, und unsre Unerschrockenheit
wurde belohnt, indem wir die Bekanntschaft eines eigenthümlichen, zwar nicht
allenthalben gesunden, namentlich in der Wahl selner sujets bisweilen fehl-
greifenden, aber selbst in Verirrungen noch bedeutenden Talentes machten,
das ein Seelenkenner ersten Ranges, voll Feingefühl und ein Meister in der
Wiedergabe von Stimmungen und in der Schilderung von Landschaften ist.


wir drei Tage auswärts genußvoll schön verlebt hatten, an diesem Abend
wohl erhalten, in unser einziges Rom zurück, wo wir mit erneuerten Kräften
unsere Arbeiten fortsetzen, und ich nun die Genüsse, die mir diese Reise gab,
in der Unterhaltung mit Ihnen theuerste Freundinn auf das schönste wieder¬
holt habe. Nehmen Sie meine lange Epistel gütig auf und theilen Sie sie
meiner guten Ncmnette, die ich durch Sie herzlich küsse, vorzüglich mit, da
ich weiß, daß es ihr einzigen Genuß gewähren kann. Grüßen Sie alle die
sich meiner erinnern wollen, vorzüglich aber küssen Sie Ihren lieben Mann
und l. Familie, und erfreuen Sie recht bald wieder einmal mit Nachrichten
von Ihnen

Ihrenaufrichtigen Freund


Haller.


Lin neuer amerikanischer Novellist.

Amerikanische Novellisten. 1. Band. Ein leidenschaftlicher Erdenpilger und andere
Erzählungen von Henry James jun. Leipzig, Fr. W. Grunow. 1876.

In der Kritik geht doch nichts über die Kraftworte. So sagten wir
uns, als wir vor Kurzem in der Berliner „Volkszeitung- durch Zufall —
denn wir lesen das „Organ für Jedermann aus dem Volke" selbstverständlich
sonst nicht — auf die Rubrik „Literarisches" stießen und hier einigen Zeilen
begegneten, die eine Beurtheilung der obengenannten Novellensammlung sein
wollten. Die angesehensten englischen und amerikanischen Zeitschriften hatten
sich über dieselbe sehr günstig ausgesprochen und das Buch als eine ungewöhn¬
liche Erscheinung behandelt. Das Blatt der weisen Thebaner an der Spree
dagegen „sah nicht ein, wozu es der Mühe verlohnt, solchen Schund zu über¬
setzen, wie ihn da James zusammengeschmiert hat". Der Verfasser erschien
ihm als „Papierkorb-Candidat", seine Erzählungen sind „aller Poesie baar",
und „die ödeste Langeweile gähnt uns aus ihnen an". Wir wagten uns
trotz dieser Warnung an die Lectüre des Buches, und unsre Unerschrockenheit
wurde belohnt, indem wir die Bekanntschaft eines eigenthümlichen, zwar nicht
allenthalben gesunden, namentlich in der Wahl selner sujets bisweilen fehl-
greifenden, aber selbst in Verirrungen noch bedeutenden Talentes machten,
das ein Seelenkenner ersten Ranges, voll Feingefühl und ein Meister in der
Wiedergabe von Stimmungen und in der Schilderung von Landschaften ist.


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[0259] wir drei Tage auswärts genußvoll schön verlebt hatten, an diesem Abend wohl erhalten, in unser einziges Rom zurück, wo wir mit erneuerten Kräften unsere Arbeiten fortsetzen, und ich nun die Genüsse, die mir diese Reise gab, in der Unterhaltung mit Ihnen theuerste Freundinn auf das schönste wieder¬ holt habe. Nehmen Sie meine lange Epistel gütig auf und theilen Sie sie meiner guten Ncmnette, die ich durch Sie herzlich küsse, vorzüglich mit, da ich weiß, daß es ihr einzigen Genuß gewähren kann. Grüßen Sie alle die sich meiner erinnern wollen, vorzüglich aber küssen Sie Ihren lieben Mann und l. Familie, und erfreuen Sie recht bald wieder einmal mit Nachrichten von Ihnen Ihrenaufrichtigen Freund Haller. Lin neuer amerikanischer Novellist. Amerikanische Novellisten. 1. Band. Ein leidenschaftlicher Erdenpilger und andere Erzählungen von Henry James jun. Leipzig, Fr. W. Grunow. 1876. In der Kritik geht doch nichts über die Kraftworte. So sagten wir uns, als wir vor Kurzem in der Berliner „Volkszeitung- durch Zufall — denn wir lesen das „Organ für Jedermann aus dem Volke" selbstverständlich sonst nicht — auf die Rubrik „Literarisches" stießen und hier einigen Zeilen begegneten, die eine Beurtheilung der obengenannten Novellensammlung sein wollten. Die angesehensten englischen und amerikanischen Zeitschriften hatten sich über dieselbe sehr günstig ausgesprochen und das Buch als eine ungewöhn¬ liche Erscheinung behandelt. Das Blatt der weisen Thebaner an der Spree dagegen „sah nicht ein, wozu es der Mühe verlohnt, solchen Schund zu über¬ setzen, wie ihn da James zusammengeschmiert hat". Der Verfasser erschien ihm als „Papierkorb-Candidat", seine Erzählungen sind „aller Poesie baar", und „die ödeste Langeweile gähnt uns aus ihnen an". Wir wagten uns trotz dieser Warnung an die Lectüre des Buches, und unsre Unerschrockenheit wurde belohnt, indem wir die Bekanntschaft eines eigenthümlichen, zwar nicht allenthalben gesunden, namentlich in der Wahl selner sujets bisweilen fehl- greifenden, aber selbst in Verirrungen noch bedeutenden Talentes machten, das ein Seelenkenner ersten Ranges, voll Feingefühl und ein Meister in der Wiedergabe von Stimmungen und in der Schilderung von Landschaften ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/259>, abgerufen am 22.07.2024.