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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Vorläufer der Burschenschaft.
Von Moritz Busch.

Mit dieser Ueberschrift meine ich die Studentenorden, die sich im
vorigen Jahrhundert aus den Landsmannschaften der mitteldeutschen Hoch¬
schulen herausbildeten, zum Theil aber auch sich von Anfang an selbständig
neben diesen entwickelten. Wie weit ich berechtigt war, diese Bereine mit der
obengenannten Verbindung in Vergleich zu stellen, wird sich zeigen, und wir
Werden sehen, daß der Vergleich wenigstens nicht auf beiden Beinen hinkt.
Lahme er auf dem einen, so hat er das mit allen Vergleichen gemein, da
diese es immer nur mit Aehnlichem zu thun haben, und Aehnlichkett die
Verschiedenheit, selbst große und wesentliche Verschiedenheit, nicht ausschließt.

Die alte Universität kannte unsere Studentenverbindungen nicht. Sie
gliederte sich als bürgerliches Gemeinwesen nach Nationen, die aber einen
offiziellen Charakter trugen, Lehrer und Lernende einschlossen und jede ihren
besondern Besitz an Collegiatstellen und Bursen, ihre besonderen Berathungen
und Feste hatten, als lehrende Körperschaft aber nach den noch jetzt bestehenden
^er Facultäten. Die Nationen, deren es an den meisten Universitäten vier,
in Leipzig z. B. eine meißnische, eine sächsische, eine bayerische und eine polnische,
gab, hatten an der Spitze einen Senior, der stets aus den Magistern gewählt
wurde, welche in den Nationen überhaupt allein vollberechtigte Mitglieder
waren. Die Vorstände der Facultäten waren die Decane, deren vornehmster,
der philosophische, mit bestimmter Abwechselung aus einer der Nationen her¬
vorging. Derselbe vertrat die ganze Universität, sofern sie ein Lehrkörper
war, wogegen der Rector, der oberste Beamte der Gemeinschaft der Nationen,
den Vorsitz in allen das bürgerliche Leben, die Rechte und Einkünfte betreffen¬
den Instituten führte, den höchsten Richter repräsentirte und die auswärtigen
Angelegenheiten verwaltete. Vergleichen wir die alte Universität mit einem
alten Städtewesen, so können wir ungefähr sagen: der Rector war der erste,
der philosophische Decan der zweite Bürgermeister, die Nationen waren die
viertel, in welche die Stadt zerfiel, die Facultäten die Zünfte, die Magister¬
schaft entsprach der Vollbürgerschaft nach der einen, der Meisterschaft nach
der andern Seite, die Studenten endlich waren in der Gemeinde als einer


Grenzboten II. 1875. öl
Vorläufer der Burschenschaft.
Von Moritz Busch.

Mit dieser Ueberschrift meine ich die Studentenorden, die sich im
vorigen Jahrhundert aus den Landsmannschaften der mitteldeutschen Hoch¬
schulen herausbildeten, zum Theil aber auch sich von Anfang an selbständig
neben diesen entwickelten. Wie weit ich berechtigt war, diese Bereine mit der
obengenannten Verbindung in Vergleich zu stellen, wird sich zeigen, und wir
Werden sehen, daß der Vergleich wenigstens nicht auf beiden Beinen hinkt.
Lahme er auf dem einen, so hat er das mit allen Vergleichen gemein, da
diese es immer nur mit Aehnlichem zu thun haben, und Aehnlichkett die
Verschiedenheit, selbst große und wesentliche Verschiedenheit, nicht ausschließt.

Die alte Universität kannte unsere Studentenverbindungen nicht. Sie
gliederte sich als bürgerliches Gemeinwesen nach Nationen, die aber einen
offiziellen Charakter trugen, Lehrer und Lernende einschlossen und jede ihren
besondern Besitz an Collegiatstellen und Bursen, ihre besonderen Berathungen
und Feste hatten, als lehrende Körperschaft aber nach den noch jetzt bestehenden
^er Facultäten. Die Nationen, deren es an den meisten Universitäten vier,
in Leipzig z. B. eine meißnische, eine sächsische, eine bayerische und eine polnische,
gab, hatten an der Spitze einen Senior, der stets aus den Magistern gewählt
wurde, welche in den Nationen überhaupt allein vollberechtigte Mitglieder
waren. Die Vorstände der Facultäten waren die Decane, deren vornehmster,
der philosophische, mit bestimmter Abwechselung aus einer der Nationen her¬
vorging. Derselbe vertrat die ganze Universität, sofern sie ein Lehrkörper
war, wogegen der Rector, der oberste Beamte der Gemeinschaft der Nationen,
den Vorsitz in allen das bürgerliche Leben, die Rechte und Einkünfte betreffen¬
den Instituten führte, den höchsten Richter repräsentirte und die auswärtigen
Angelegenheiten verwaltete. Vergleichen wir die alte Universität mit einem
alten Städtewesen, so können wir ungefähr sagen: der Rector war der erste,
der philosophische Decan der zweite Bürgermeister, die Nationen waren die
viertel, in welche die Stadt zerfiel, die Facultäten die Zünfte, die Magister¬
schaft entsprach der Vollbürgerschaft nach der einen, der Meisterschaft nach
der andern Seite, die Studenten endlich waren in der Gemeinde als einer


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[0405] Vorläufer der Burschenschaft. Von Moritz Busch. Mit dieser Ueberschrift meine ich die Studentenorden, die sich im vorigen Jahrhundert aus den Landsmannschaften der mitteldeutschen Hoch¬ schulen herausbildeten, zum Theil aber auch sich von Anfang an selbständig neben diesen entwickelten. Wie weit ich berechtigt war, diese Bereine mit der obengenannten Verbindung in Vergleich zu stellen, wird sich zeigen, und wir Werden sehen, daß der Vergleich wenigstens nicht auf beiden Beinen hinkt. Lahme er auf dem einen, so hat er das mit allen Vergleichen gemein, da diese es immer nur mit Aehnlichem zu thun haben, und Aehnlichkett die Verschiedenheit, selbst große und wesentliche Verschiedenheit, nicht ausschließt. Die alte Universität kannte unsere Studentenverbindungen nicht. Sie gliederte sich als bürgerliches Gemeinwesen nach Nationen, die aber einen offiziellen Charakter trugen, Lehrer und Lernende einschlossen und jede ihren besondern Besitz an Collegiatstellen und Bursen, ihre besonderen Berathungen und Feste hatten, als lehrende Körperschaft aber nach den noch jetzt bestehenden ^er Facultäten. Die Nationen, deren es an den meisten Universitäten vier, in Leipzig z. B. eine meißnische, eine sächsische, eine bayerische und eine polnische, gab, hatten an der Spitze einen Senior, der stets aus den Magistern gewählt wurde, welche in den Nationen überhaupt allein vollberechtigte Mitglieder waren. Die Vorstände der Facultäten waren die Decane, deren vornehmster, der philosophische, mit bestimmter Abwechselung aus einer der Nationen her¬ vorging. Derselbe vertrat die ganze Universität, sofern sie ein Lehrkörper war, wogegen der Rector, der oberste Beamte der Gemeinschaft der Nationen, den Vorsitz in allen das bürgerliche Leben, die Rechte und Einkünfte betreffen¬ den Instituten führte, den höchsten Richter repräsentirte und die auswärtigen Angelegenheiten verwaltete. Vergleichen wir die alte Universität mit einem alten Städtewesen, so können wir ungefähr sagen: der Rector war der erste, der philosophische Decan der zweite Bürgermeister, die Nationen waren die viertel, in welche die Stadt zerfiel, die Facultäten die Zünfte, die Magister¬ schaft entsprach der Vollbürgerschaft nach der einen, der Meisterschaft nach der andern Seite, die Studenten endlich waren in der Gemeinde als einer Grenzboten II. 1875. öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/405>, abgerufen am 05.02.2025.