Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.An römisches Mchterteben. Der Winter hat dieses Jahr ziemlich scharf auf seine Hoheitsrechte ge¬ Grenzlioten II, 1857. 26
An römisches Mchterteben. Der Winter hat dieses Jahr ziemlich scharf auf seine Hoheitsrechte ge¬ Grenzlioten II, 1857. 26
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An römisches Mchterteben.
Der Winter hat dieses Jahr ziemlich scharf auf seine Hoheitsrechte ge¬
pocht, er war empfindlich kalt, an Schnee und Eis hatten wir Ueberfluß,
mehr als uns lieb war und dennoch verzweifelten und verzagten' wir nicht,
denn der strenge mürrische Herr hat doch auch wieder seine guten Eigen¬
schaften: aus der Oede der Natur, die er draußen, in Feld und Wald zu
schaffen geruht hat, erblühen an den verschiedensten Stellen, wo nur Men¬
schen wohnen, die grünen Oasen der Geselligkeit, und mancher möchte
diese nicht gegen alle Reize der schöneren Jahreszeiten vertauschen. In der
That, die Geselligkeit ist ein Zauberstab, welcher uns über jedes unheimliche
fröstelnde Gefühl, über jeden unangenehmen und schmerzlichen Eindruck weg¬
zuheben und in ein trautes Heim zu versetzen vermag, wo liebe Stimmen uns
umtönen, und die Klänge der Muttersprache zwischen uns und unsern Be¬
kannten jeden Augenblick die Brücke bilden, auf der unser kostbarster Vorrath
von Gedanken und Empfindungen in aller Gemüthlichkeit und zollfrei sich
hinüber und herüber bewegen kann. Am meisten weiß dieses Glück zu schätzen,
wer es für längere Zeit entbehren mußte; danken wir unserm guten Stern,
wenn er uns vor Entbehrung bewahrt, und bemitleiden wir aus tiefster
Seele den Unglücklichen, den ein herbes Geschick aus seiner gewohnten Um¬
gebung hinauswarf an fremde und einsame Gestade, bedauern wir ihn um
so tiefer, je mehr seine,Natur am geselligen Leben ihr Genüge und ihren
Genuß fand. Einen solchen Unglücklichen will ich meinen Lesern vorführen.
Seine Klagen sind zwar längst verhallt, jede Spur seiner körperlichen Existenz
seit aber und aber hundert Jahren verwischt und verweht, und kein Freund
braucht sich um die Linderung der trostlosen Lage des armen Verbannten
mehr zu bekümmern; aber wir können mit Hülfe einer sehr erlaubten, keines¬
wegs schwarzen Kunst, den Geist des Verstorbenen citiren, wir können ihn
Zwingen Rede zu stehen über sein Leben und können dieses sozusagen Schritt
für Schritt verfolgen, vom Augenblicke der Verbannung an bis kurz vor
seinem Erlöschen. Und zwar ertheilt er uns Kunde mit ganz denselben
Worten und Seufzern, welche damals seiner Brust entströmten, denn diese
alle sind von ihm selber aufgezeichnet, als das Vermächtniß seiner Verbannung
Grenzlioten II, 1857. 26
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