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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Die Thronrede, mit welcher der Minister des Innern von Sick die soeben
zusammengetretene Ständeversammlung im Auftrag des Königs eröffnet hat,
war dießmal in einem auffallend bureaukratischen, an die Erlaßform erinnern¬
den Ton abgefaßt. Wiederholt wird den Ständen darin rasches Arbeiten
anempfohlen, eine Empfehlung bezw. ein Befehl, der allerdings eine gewisse
innere Berechtigung hat. Besteht doch dieser Landtag zum größten Theil aus
Königlichen und von der Regierung gänzlich abhängigen Gemeindebeamten,
welche den ständischen Beruf mehr oder weniger vom Standpunkt des Geld¬
erwerbs betrachten und den Landtag je länger je lieber versammelt sehen.
Die Negierung aber hat als erste Vorlage die Erhöhung nicht nur der Diäten
der einzelnen Abgeordneten sondern auch der Gehalte der Präsidenten, des¬
jenigen der Abgeordnetenkammer auf 10,000, des Präsidenten des Herren-
Hauses auf 16.000 M. beantragt. Auch die Gehalte der Mitglieder des
ständischen Ausschusses (eine Sinecure sonder Gleichen!) sollen erhöht werden.
Man ersieht daraus, wie wohl die Regierung es mit den Abgeordneten meint,
wie ängstlich sie darüber wacht, daß es an lohnenden Zielen für strebsame
Abgeordnete nicht fehlt. Für die zahlreichen Beamten in der Kammer han¬
delt es sich thatsächlich um eine doppelte Diätenerhöhung, indem fast gleich¬
zeitig die bis zum Ministerium Mittnacht streng aufrecht erhaltene, in den
letzten Jahren allerdings mit Unterscheidung der Personen zur Anwendung
gebrachte Verbindlichkeit der Beamten zur Bezahlung ihrer Stellvertreter aus
den Diäten in Abgang gekommen ist. Da nun die Hälfte unserer derzeitigen
Ständemitglieder in Stuttgart domicilirt ist, und bei uns, abweichend von
dem in Bayern geltenden Recht auch die in Stuttgart wohnenden Mitglieder
Diäten beziehen, so sind die Stuttgarter Beamten längst gewöhnt, den Abge¬
ordnetenberuf als eine Besoldungserhöhung zu betrachten, die sich in ver¬
schiedenen Gradationen abstuft, je nachdem es einem Abgeordneten gelingt,
durch geeignete Transactionen mit der Negierung und den Standesherren
auch noch den Gehalt eines Ausschußmitglieds mit den Diäten zu vereinigen.
Der Geldpunkt war schon im alten Herzogthum Württemberg, wo der stän¬
dische Ausschuß die "geheime Truhe" verwaltete, die partis Kouteuse unseres
Verfafsungslebens. Auch jetzt kann man sich von den hergebrachten Anschau¬
ungen nicht trennen. So wurde bet der letzten, wie wir früher berichtet haben,
kaum der Rede werthen Verfassungsrevision auch die Bestimmung der Reichs¬
verfassung A. 21 über den Erwerb von Staatsämtern und das Vorrücken in
solchen durch Abgeordnete in das württembergische Verfassungsrecht neu ein¬
geführt. Aber Niemandem fällt es ein, diese Vorschrift zur Anwendung zu


Die Thronrede, mit welcher der Minister des Innern von Sick die soeben
zusammengetretene Ständeversammlung im Auftrag des Königs eröffnet hat,
war dießmal in einem auffallend bureaukratischen, an die Erlaßform erinnern¬
den Ton abgefaßt. Wiederholt wird den Ständen darin rasches Arbeiten
anempfohlen, eine Empfehlung bezw. ein Befehl, der allerdings eine gewisse
innere Berechtigung hat. Besteht doch dieser Landtag zum größten Theil aus
Königlichen und von der Regierung gänzlich abhängigen Gemeindebeamten,
welche den ständischen Beruf mehr oder weniger vom Standpunkt des Geld¬
erwerbs betrachten und den Landtag je länger je lieber versammelt sehen.
Die Negierung aber hat als erste Vorlage die Erhöhung nicht nur der Diäten
der einzelnen Abgeordneten sondern auch der Gehalte der Präsidenten, des¬
jenigen der Abgeordnetenkammer auf 10,000, des Präsidenten des Herren-
Hauses auf 16.000 M. beantragt. Auch die Gehalte der Mitglieder des
ständischen Ausschusses (eine Sinecure sonder Gleichen!) sollen erhöht werden.
Man ersieht daraus, wie wohl die Regierung es mit den Abgeordneten meint,
wie ängstlich sie darüber wacht, daß es an lohnenden Zielen für strebsame
Abgeordnete nicht fehlt. Für die zahlreichen Beamten in der Kammer han¬
delt es sich thatsächlich um eine doppelte Diätenerhöhung, indem fast gleich¬
zeitig die bis zum Ministerium Mittnacht streng aufrecht erhaltene, in den
letzten Jahren allerdings mit Unterscheidung der Personen zur Anwendung
gebrachte Verbindlichkeit der Beamten zur Bezahlung ihrer Stellvertreter aus
den Diäten in Abgang gekommen ist. Da nun die Hälfte unserer derzeitigen
Ständemitglieder in Stuttgart domicilirt ist, und bei uns, abweichend von
dem in Bayern geltenden Recht auch die in Stuttgart wohnenden Mitglieder
Diäten beziehen, so sind die Stuttgarter Beamten längst gewöhnt, den Abge¬
ordnetenberuf als eine Besoldungserhöhung zu betrachten, die sich in ver¬
schiedenen Gradationen abstuft, je nachdem es einem Abgeordneten gelingt,
durch geeignete Transactionen mit der Negierung und den Standesherren
auch noch den Gehalt eines Ausschußmitglieds mit den Diäten zu vereinigen.
Der Geldpunkt war schon im alten Herzogthum Württemberg, wo der stän¬
dische Ausschuß die „geheime Truhe" verwaltete, die partis Kouteuse unseres
Verfafsungslebens. Auch jetzt kann man sich von den hergebrachten Anschau¬
ungen nicht trennen. So wurde bet der letzten, wie wir früher berichtet haben,
kaum der Rede werthen Verfassungsrevision auch die Bestimmung der Reichs¬
verfassung A. 21 über den Erwerb von Staatsämtern und das Vorrücken in
solchen durch Abgeordnete in das württembergische Verfassungsrecht neu ein¬
geführt. Aber Niemandem fällt es ein, diese Vorschrift zur Anwendung zu


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[0506] Die Thronrede, mit welcher der Minister des Innern von Sick die soeben zusammengetretene Ständeversammlung im Auftrag des Königs eröffnet hat, war dießmal in einem auffallend bureaukratischen, an die Erlaßform erinnern¬ den Ton abgefaßt. Wiederholt wird den Ständen darin rasches Arbeiten anempfohlen, eine Empfehlung bezw. ein Befehl, der allerdings eine gewisse innere Berechtigung hat. Besteht doch dieser Landtag zum größten Theil aus Königlichen und von der Regierung gänzlich abhängigen Gemeindebeamten, welche den ständischen Beruf mehr oder weniger vom Standpunkt des Geld¬ erwerbs betrachten und den Landtag je länger je lieber versammelt sehen. Die Negierung aber hat als erste Vorlage die Erhöhung nicht nur der Diäten der einzelnen Abgeordneten sondern auch der Gehalte der Präsidenten, des¬ jenigen der Abgeordnetenkammer auf 10,000, des Präsidenten des Herren- Hauses auf 16.000 M. beantragt. Auch die Gehalte der Mitglieder des ständischen Ausschusses (eine Sinecure sonder Gleichen!) sollen erhöht werden. Man ersieht daraus, wie wohl die Regierung es mit den Abgeordneten meint, wie ängstlich sie darüber wacht, daß es an lohnenden Zielen für strebsame Abgeordnete nicht fehlt. Für die zahlreichen Beamten in der Kammer han¬ delt es sich thatsächlich um eine doppelte Diätenerhöhung, indem fast gleich¬ zeitig die bis zum Ministerium Mittnacht streng aufrecht erhaltene, in den letzten Jahren allerdings mit Unterscheidung der Personen zur Anwendung gebrachte Verbindlichkeit der Beamten zur Bezahlung ihrer Stellvertreter aus den Diäten in Abgang gekommen ist. Da nun die Hälfte unserer derzeitigen Ständemitglieder in Stuttgart domicilirt ist, und bei uns, abweichend von dem in Bayern geltenden Recht auch die in Stuttgart wohnenden Mitglieder Diäten beziehen, so sind die Stuttgarter Beamten längst gewöhnt, den Abge¬ ordnetenberuf als eine Besoldungserhöhung zu betrachten, die sich in ver¬ schiedenen Gradationen abstuft, je nachdem es einem Abgeordneten gelingt, durch geeignete Transactionen mit der Negierung und den Standesherren auch noch den Gehalt eines Ausschußmitglieds mit den Diäten zu vereinigen. Der Geldpunkt war schon im alten Herzogthum Württemberg, wo der stän¬ dische Ausschuß die „geheime Truhe" verwaltete, die partis Kouteuse unseres Verfafsungslebens. Auch jetzt kann man sich von den hergebrachten Anschau¬ ungen nicht trennen. So wurde bet der letzten, wie wir früher berichtet haben, kaum der Rede werthen Verfassungsrevision auch die Bestimmung der Reichs¬ verfassung A. 21 über den Erwerb von Staatsämtern und das Vorrücken in solchen durch Abgeordnete in das württembergische Verfassungsrecht neu ein¬ geführt. Aber Niemandem fällt es ein, diese Vorschrift zur Anwendung zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/506>, abgerufen am 22.07.2024.