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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Tonne will in Sicht. Der Kapitän und Steuermann sahen einander ver¬
wundert an. Sollten sie sich geirrt und verrechnet haben? Aber das war
doch Wangerooge, die Wassertiefe, der Kompaß stimmt, und das war doch
unzweifelhaft die Weser. Irgend etwas Ungewöhnliches mußte sich ereignet
haben, denn noch immer war kein Segel in Sicht. Aber dort in der Jade
lagen mehrere große Schiffe unter Dampf. Also dort hinein. Die Germania
grüßte die deutsche Flagge und bald ertönte auf ihre Frage der Ruf: "Es
ist Krieg mit Frankreich, Napoleon gefangen, Frankreich Republik, unsre
Heere stehen vor Paris." Und dann: "Hansa im Eis zertrümmert, Mann¬
schaft gerettet." Die Germaniamänner glaubten zu träumen und standen
starr vor Erstaunen ob so gewaltiger und herzergreifender Nachrichten. Erst
als vom "König Wilhelm" aus Hunderten von deutschen Kehlen ein don¬
nerndes Hurrah ihnen entgegen tönte, fanden sie ihre Sprache wieder und
antworteten aus voller Brust: Hurrah. Hurrah! -- Kapitänlieutenant Stenzel
kam an Bord, bewillkommnete die Nordpolfahrer auf deutschem Boden und
theilte ihnen die großen Ereignisse der letzten Wochen im Zusammenhang mit.
Die deutsche Flotte gab ihnen Dampfer und Lootsen für die Weser; am
elften September Abends 6 Uhr liefen sie wohlbehalten in Bremerhafen ein,
wo sie schon am andern Morgen die Freude hatten, die Herren vom Bremer
Comite! und einen Theil ihrer Kameraden von der Hansa zu begrüßen.




Mus VI. und die Iranzosen.
i.
Von S. Sugenheim.

Armen adeligen Familien des Kirchenstaates hat um dem Glücke nach¬
zuhelfen, öfters auch um sich des Bettels zu erwehren, gewöhnlich kein anderer
Weg offen gestanden, als der Dienst der Kirche, in welchem selbst bei den
bescheidensten Kenntnissen leichtes Fortkommen zu hoffen ist, wenn man es
nur versteht, in die Gunst eines vornehmen und einflußreichen Würdenträgers
sich einzunisten. Darum hatte auch Giovanni Angelo Braschi (geb.
27. Decbr. 1717) aus einer zwar gräflichen, aber blutarmen Familie Cesena's,
als er achtzehn Lenze zählte, zum Eintritt in den Priesterstand sich bequemt,
obwohl die Reize einer römischen Jungfrau ihn mit so mächtigem Zauber
gefesselt, daß er bereits um ihre Hand angehalten hatte. Sie gab ihm auch
keinen Korb, aber er, der mitleidlose Vater, ein geachteter römischer Bürger,


Tonne will in Sicht. Der Kapitän und Steuermann sahen einander ver¬
wundert an. Sollten sie sich geirrt und verrechnet haben? Aber das war
doch Wangerooge, die Wassertiefe, der Kompaß stimmt, und das war doch
unzweifelhaft die Weser. Irgend etwas Ungewöhnliches mußte sich ereignet
haben, denn noch immer war kein Segel in Sicht. Aber dort in der Jade
lagen mehrere große Schiffe unter Dampf. Also dort hinein. Die Germania
grüßte die deutsche Flagge und bald ertönte auf ihre Frage der Ruf: „Es
ist Krieg mit Frankreich, Napoleon gefangen, Frankreich Republik, unsre
Heere stehen vor Paris." Und dann: „Hansa im Eis zertrümmert, Mann¬
schaft gerettet." Die Germaniamänner glaubten zu träumen und standen
starr vor Erstaunen ob so gewaltiger und herzergreifender Nachrichten. Erst
als vom „König Wilhelm" aus Hunderten von deutschen Kehlen ein don¬
nerndes Hurrah ihnen entgegen tönte, fanden sie ihre Sprache wieder und
antworteten aus voller Brust: Hurrah. Hurrah! — Kapitänlieutenant Stenzel
kam an Bord, bewillkommnete die Nordpolfahrer auf deutschem Boden und
theilte ihnen die großen Ereignisse der letzten Wochen im Zusammenhang mit.
Die deutsche Flotte gab ihnen Dampfer und Lootsen für die Weser; am
elften September Abends 6 Uhr liefen sie wohlbehalten in Bremerhafen ein,
wo sie schon am andern Morgen die Freude hatten, die Herren vom Bremer
Comite! und einen Theil ihrer Kameraden von der Hansa zu begrüßen.




Mus VI. und die Iranzosen.
i.
Von S. Sugenheim.

Armen adeligen Familien des Kirchenstaates hat um dem Glücke nach¬
zuhelfen, öfters auch um sich des Bettels zu erwehren, gewöhnlich kein anderer
Weg offen gestanden, als der Dienst der Kirche, in welchem selbst bei den
bescheidensten Kenntnissen leichtes Fortkommen zu hoffen ist, wenn man es
nur versteht, in die Gunst eines vornehmen und einflußreichen Würdenträgers
sich einzunisten. Darum hatte auch Giovanni Angelo Braschi (geb.
27. Decbr. 1717) aus einer zwar gräflichen, aber blutarmen Familie Cesena's,
als er achtzehn Lenze zählte, zum Eintritt in den Priesterstand sich bequemt,
obwohl die Reize einer römischen Jungfrau ihn mit so mächtigem Zauber
gefesselt, daß er bereits um ihre Hand angehalten hatte. Sie gab ihm auch
keinen Korb, aber er, der mitleidlose Vater, ein geachteter römischer Bürger,


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[0386] Tonne will in Sicht. Der Kapitän und Steuermann sahen einander ver¬ wundert an. Sollten sie sich geirrt und verrechnet haben? Aber das war doch Wangerooge, die Wassertiefe, der Kompaß stimmt, und das war doch unzweifelhaft die Weser. Irgend etwas Ungewöhnliches mußte sich ereignet haben, denn noch immer war kein Segel in Sicht. Aber dort in der Jade lagen mehrere große Schiffe unter Dampf. Also dort hinein. Die Germania grüßte die deutsche Flagge und bald ertönte auf ihre Frage der Ruf: „Es ist Krieg mit Frankreich, Napoleon gefangen, Frankreich Republik, unsre Heere stehen vor Paris." Und dann: „Hansa im Eis zertrümmert, Mann¬ schaft gerettet." Die Germaniamänner glaubten zu träumen und standen starr vor Erstaunen ob so gewaltiger und herzergreifender Nachrichten. Erst als vom „König Wilhelm" aus Hunderten von deutschen Kehlen ein don¬ nerndes Hurrah ihnen entgegen tönte, fanden sie ihre Sprache wieder und antworteten aus voller Brust: Hurrah. Hurrah! — Kapitänlieutenant Stenzel kam an Bord, bewillkommnete die Nordpolfahrer auf deutschem Boden und theilte ihnen die großen Ereignisse der letzten Wochen im Zusammenhang mit. Die deutsche Flotte gab ihnen Dampfer und Lootsen für die Weser; am elften September Abends 6 Uhr liefen sie wohlbehalten in Bremerhafen ein, wo sie schon am andern Morgen die Freude hatten, die Herren vom Bremer Comite! und einen Theil ihrer Kameraden von der Hansa zu begrüßen. Mus VI. und die Iranzosen. i. Von S. Sugenheim. Armen adeligen Familien des Kirchenstaates hat um dem Glücke nach¬ zuhelfen, öfters auch um sich des Bettels zu erwehren, gewöhnlich kein anderer Weg offen gestanden, als der Dienst der Kirche, in welchem selbst bei den bescheidensten Kenntnissen leichtes Fortkommen zu hoffen ist, wenn man es nur versteht, in die Gunst eines vornehmen und einflußreichen Würdenträgers sich einzunisten. Darum hatte auch Giovanni Angelo Braschi (geb. 27. Decbr. 1717) aus einer zwar gräflichen, aber blutarmen Familie Cesena's, als er achtzehn Lenze zählte, zum Eintritt in den Priesterstand sich bequemt, obwohl die Reize einer römischen Jungfrau ihn mit so mächtigem Zauber gefesselt, daß er bereits um ihre Hand angehalten hatte. Sie gab ihm auch keinen Korb, aber er, der mitleidlose Vater, ein geachteter römischer Bürger,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/386>, abgerufen am 22.07.2024.