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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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und dem ersten Offizier das über 900 Meter hohe Kap bestiegen, um sich
über die Lage des Eises und den bestmöglichen Weg durch den Pack die
nöthige Einsicht zu verschaffen. Die Aussichten nach Ostnord und Südost
zeigten sich günstig. Ueberall zeigte sich das Packeis lose genug, um bequem
hindurchsteuern zu können. So war denn Alles zur Rückreise nach Europa
bereit. Am 16. August Morgens konnte der nothdürftig reparirte Kessel
wieder geheizt werden. Aber sobald Dampfdruck da war, fingen wieder
mehrere Röhren an zu lecken, und es wurde immer fraglicher, ob derselbe
überhaupt weiter benutzt werden könnte. Am 17. August Mittags nach
wenigen Stunden östlicher Dampffahrt dasselbe Schicksal. Die Germania
ankerte im Eise; ein dichter Nebel zog herauf, und verschleierte allmählich das
zwölf Seemeilen entfernte Kap und die ganze Küste von Grönland. Für
immer entschwand sie den Blicken der Germaniamänner. Die Maschine wurde
in der Nacht nothdürftig ausgebessert, doch hatte der Maschinist kein Ver¬
trauen mehr in die Dauerhaftigkeit der Reparaturen; auch wurde es immer
gefährlicher, dem Kessel, dessen untere Platte bereits bedeutende Risse zeigte,
noch einen Dampfdruck aufzuerlegen. Dennoch wurde der Versuch noch drei¬
mal gewagt, am 19. und am 21. August. Am 19. wurde sogar unter dem
Aechzen und Stöhnen des ganzen Schiffes versucht, mit voller Dampfkraft
den Durchpaß durch das immer dichtere Packeis zu erzwingen. Aber das
Feuer ging aus. Und am 21. überzeugte der Kapitän, nach dem letzten
Versuch, das Schiff mit Dampf aus dem Eise herauszuarbeiten, sich selbst,
daß es mit der Dampfkraft zu Ende sei, und daß der übrige Theil der Reise
allein unter Segel werde zurückgelegt werden müssen. Dazu war indessen
vorläufig auch Wind und Wetter nicht angethan.

Im höchsten Maße trostlos verliefen die nächsten drei Tage: wenige
Schritte Fahrt mit dem Segel, oder Warpen längs des Eises, kunstvolle
Drehungen des Schiffes, um die drohenden Flarden und Schollen zu umgehen
vollkommen zusammengepacktes geschlossenes Eis, schlichte See ohne jegliche
Dünung, so daß der Ocean noch recht fern schien, nicht selten die Gefahr
vom Eise völlig besetzt zu werden; dazu die aufreibende unausgesetzte Arbeit
für Offiziere und Mannschaft. Am Abend des 23. August endlich verzog
sich der Nebel; der Wind lief nordöstlich bei steigendem Barometer. Seit der
Abfahrt von der Küste das erste Mal ein klarer Horizont und ein freier
Ueberblick über die Umgebung. Am 24. August, 2 Uhr Morgens blies
eine den Wünschen der Schwergeprüften höchst günstige Brise aus Nordost,
die sofort zum Segeln benutzt wurde, in der jetzt ganz bestimmten Hoffnung
den Eiszirkel nunmehr bald vollends durchbrechen zu können. Sie mußten
immer weiter südwärts durch das Eis, das sie oft mit Gewalt durchbrechen
mußten. Nach Osten immer noch kein Ausweg. Da kam eine herrliche Brise


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und dem ersten Offizier das über 900 Meter hohe Kap bestiegen, um sich
über die Lage des Eises und den bestmöglichen Weg durch den Pack die
nöthige Einsicht zu verschaffen. Die Aussichten nach Ostnord und Südost
zeigten sich günstig. Ueberall zeigte sich das Packeis lose genug, um bequem
hindurchsteuern zu können. So war denn Alles zur Rückreise nach Europa
bereit. Am 16. August Morgens konnte der nothdürftig reparirte Kessel
wieder geheizt werden. Aber sobald Dampfdruck da war, fingen wieder
mehrere Röhren an zu lecken, und es wurde immer fraglicher, ob derselbe
überhaupt weiter benutzt werden könnte. Am 17. August Mittags nach
wenigen Stunden östlicher Dampffahrt dasselbe Schicksal. Die Germania
ankerte im Eise; ein dichter Nebel zog herauf, und verschleierte allmählich das
zwölf Seemeilen entfernte Kap und die ganze Küste von Grönland. Für
immer entschwand sie den Blicken der Germaniamänner. Die Maschine wurde
in der Nacht nothdürftig ausgebessert, doch hatte der Maschinist kein Ver¬
trauen mehr in die Dauerhaftigkeit der Reparaturen; auch wurde es immer
gefährlicher, dem Kessel, dessen untere Platte bereits bedeutende Risse zeigte,
noch einen Dampfdruck aufzuerlegen. Dennoch wurde der Versuch noch drei¬
mal gewagt, am 19. und am 21. August. Am 19. wurde sogar unter dem
Aechzen und Stöhnen des ganzen Schiffes versucht, mit voller Dampfkraft
den Durchpaß durch das immer dichtere Packeis zu erzwingen. Aber das
Feuer ging aus. Und am 21. überzeugte der Kapitän, nach dem letzten
Versuch, das Schiff mit Dampf aus dem Eise herauszuarbeiten, sich selbst,
daß es mit der Dampfkraft zu Ende sei, und daß der übrige Theil der Reise
allein unter Segel werde zurückgelegt werden müssen. Dazu war indessen
vorläufig auch Wind und Wetter nicht angethan.

Im höchsten Maße trostlos verliefen die nächsten drei Tage: wenige
Schritte Fahrt mit dem Segel, oder Warpen längs des Eises, kunstvolle
Drehungen des Schiffes, um die drohenden Flarden und Schollen zu umgehen
vollkommen zusammengepacktes geschlossenes Eis, schlichte See ohne jegliche
Dünung, so daß der Ocean noch recht fern schien, nicht selten die Gefahr
vom Eise völlig besetzt zu werden; dazu die aufreibende unausgesetzte Arbeit
für Offiziere und Mannschaft. Am Abend des 23. August endlich verzog
sich der Nebel; der Wind lief nordöstlich bei steigendem Barometer. Seit der
Abfahrt von der Küste das erste Mal ein klarer Horizont und ein freier
Ueberblick über die Umgebung. Am 24. August, 2 Uhr Morgens blies
eine den Wünschen der Schwergeprüften höchst günstige Brise aus Nordost,
die sofort zum Segeln benutzt wurde, in der jetzt ganz bestimmten Hoffnung
den Eiszirkel nunmehr bald vollends durchbrechen zu können. Sie mußten
immer weiter südwärts durch das Eis, das sie oft mit Gewalt durchbrechen
mußten. Nach Osten immer noch kein Ausweg. Da kam eine herrliche Brise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/384>, abgerufen am 03.07.2024.