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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Italienische Keiseöilder
von Karl Stieler. 2. Mailand.

Nicht in seiner äußern Erscheinung, aber seinem innern Werthe nach
zählt Mailand zu den bedeutendsten Charakteren Italiens; es ist mehr als
Phrase, wenn man es die "moralische Hauptstadt" des Landes nennt. Was
mußte nicht Alles geschehen in Thaten und Leiden, bis endlich das Vaterland
geeinigt war, und wenn auch die Begeisterung für diesen Wunsch das ganze
Volk durchfluthete, der Löwenantheil an der Arbeit fiel doch dem Norden
zu. Hier vor Allem, in Piemont und bei den Lombarden, war jener nüchterne
strenge Geist, der zum Wollen auch die That fügt, den keine Noth des Er-
duldens schreckt, und im Erdulden wenigstens ist keine andere Stadt mit Mai¬
land vergleichbar. 48 mal ist es belagert worden, und 28 mal ward es er¬
stürmt , so oft die Wogen des Krieges sich über die Lombardische Ebene er¬
gossen, schlugen sie brandend an seine Mauern, wie ein Fels aus dem Meere
ragt Mailand aus der stürmischen Geschichte des Mittelalters. Aber neben
all dieser Kampfeslust, neben jenem männlichen Trotz, der recht eigentlich die
Signatur der Stadt war, blühte doch immer in unerschöpflicher Fülle Kunst
und Wissenschaft, Reichthum und Minnedienst, ja es entstand sogar im Scherz
die Sage, der Name Mailand sei die "Stadt der Malter".

So gingen 2 Jahrtausende im Sturm über dies kühne Haupt der Lom¬
barden hin und wir glauben es kaum, daß dieselbe Stadt, in der wir die
weißen Soldaten Radetzky's sahen, die 1839 begeistert rief: "Vittoriv Emma¬
nuel"" zweihundert Jahre vor Christus schon von den Römern belagert ward,
daß Theodosius hier Hof hielt und Attila hier sengte. Furchtbarer aber, als
sie Alle, war das Strafgericht Barbarossa's, dessen Gattin hier so tiefe
Schmach erduldet, daß er schwur die Stadt dem Boden gleich zu machen.
Mit eisernen Hacken wurden damals die Gebäude niedergerissen und Feuer
an ihr Gebälk gelegt; erst auf den Trümmern Mailands sah der Kaiser
seine Sühne. Zwei Jahrhunderte später finden wir die Viscontis im Voll¬
besitze der Stadt, die Mittel, mit welchen sie ihre Herrschaft befestigten, waren
dieselben, die jeder Gebieter Italiens damals übte, dieselben wie sie Macchiavell
im Principe berühmt gemacht; nur daß sie der eine kühner als der andere
zu gebrauchen wußte.

Grausame Zeiten, voll Blut und Gewaltthat mußten vergehen, ehe das
Geschlecht der Sforza das Herzogthum gewann. Sie kamen aus niedrigem,
ja bäuerlichen Stamme, aber der Gründer ihrer Würde besaß doch wenigstens
persönlichen Muth und zeigte, was der Glaube an einen hohen Beruf ver¬
mag, bis seine Enkel wieder in den Fluch der alten Tradition versanken.


Italienische Keiseöilder
von Karl Stieler. 2. Mailand.

Nicht in seiner äußern Erscheinung, aber seinem innern Werthe nach
zählt Mailand zu den bedeutendsten Charakteren Italiens; es ist mehr als
Phrase, wenn man es die „moralische Hauptstadt" des Landes nennt. Was
mußte nicht Alles geschehen in Thaten und Leiden, bis endlich das Vaterland
geeinigt war, und wenn auch die Begeisterung für diesen Wunsch das ganze
Volk durchfluthete, der Löwenantheil an der Arbeit fiel doch dem Norden
zu. Hier vor Allem, in Piemont und bei den Lombarden, war jener nüchterne
strenge Geist, der zum Wollen auch die That fügt, den keine Noth des Er-
duldens schreckt, und im Erdulden wenigstens ist keine andere Stadt mit Mai¬
land vergleichbar. 48 mal ist es belagert worden, und 28 mal ward es er¬
stürmt , so oft die Wogen des Krieges sich über die Lombardische Ebene er¬
gossen, schlugen sie brandend an seine Mauern, wie ein Fels aus dem Meere
ragt Mailand aus der stürmischen Geschichte des Mittelalters. Aber neben
all dieser Kampfeslust, neben jenem männlichen Trotz, der recht eigentlich die
Signatur der Stadt war, blühte doch immer in unerschöpflicher Fülle Kunst
und Wissenschaft, Reichthum und Minnedienst, ja es entstand sogar im Scherz
die Sage, der Name Mailand sei die „Stadt der Malter".

So gingen 2 Jahrtausende im Sturm über dies kühne Haupt der Lom¬
barden hin und wir glauben es kaum, daß dieselbe Stadt, in der wir die
weißen Soldaten Radetzky's sahen, die 1839 begeistert rief: „Vittoriv Emma¬
nuel«" zweihundert Jahre vor Christus schon von den Römern belagert ward,
daß Theodosius hier Hof hielt und Attila hier sengte. Furchtbarer aber, als
sie Alle, war das Strafgericht Barbarossa's, dessen Gattin hier so tiefe
Schmach erduldet, daß er schwur die Stadt dem Boden gleich zu machen.
Mit eisernen Hacken wurden damals die Gebäude niedergerissen und Feuer
an ihr Gebälk gelegt; erst auf den Trümmern Mailands sah der Kaiser
seine Sühne. Zwei Jahrhunderte später finden wir die Viscontis im Voll¬
besitze der Stadt, die Mittel, mit welchen sie ihre Herrschaft befestigten, waren
dieselben, die jeder Gebieter Italiens damals übte, dieselben wie sie Macchiavell
im Principe berühmt gemacht; nur daß sie der eine kühner als der andere
zu gebrauchen wußte.

Grausame Zeiten, voll Blut und Gewaltthat mußten vergehen, ehe das
Geschlecht der Sforza das Herzogthum gewann. Sie kamen aus niedrigem,
ja bäuerlichen Stamme, aber der Gründer ihrer Würde besaß doch wenigstens
persönlichen Muth und zeigte, was der Glaube an einen hohen Beruf ver¬
mag, bis seine Enkel wieder in den Fluch der alten Tradition versanken.


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[0149] Italienische Keiseöilder von Karl Stieler. 2. Mailand. Nicht in seiner äußern Erscheinung, aber seinem innern Werthe nach zählt Mailand zu den bedeutendsten Charakteren Italiens; es ist mehr als Phrase, wenn man es die „moralische Hauptstadt" des Landes nennt. Was mußte nicht Alles geschehen in Thaten und Leiden, bis endlich das Vaterland geeinigt war, und wenn auch die Begeisterung für diesen Wunsch das ganze Volk durchfluthete, der Löwenantheil an der Arbeit fiel doch dem Norden zu. Hier vor Allem, in Piemont und bei den Lombarden, war jener nüchterne strenge Geist, der zum Wollen auch die That fügt, den keine Noth des Er- duldens schreckt, und im Erdulden wenigstens ist keine andere Stadt mit Mai¬ land vergleichbar. 48 mal ist es belagert worden, und 28 mal ward es er¬ stürmt , so oft die Wogen des Krieges sich über die Lombardische Ebene er¬ gossen, schlugen sie brandend an seine Mauern, wie ein Fels aus dem Meere ragt Mailand aus der stürmischen Geschichte des Mittelalters. Aber neben all dieser Kampfeslust, neben jenem männlichen Trotz, der recht eigentlich die Signatur der Stadt war, blühte doch immer in unerschöpflicher Fülle Kunst und Wissenschaft, Reichthum und Minnedienst, ja es entstand sogar im Scherz die Sage, der Name Mailand sei die „Stadt der Malter". So gingen 2 Jahrtausende im Sturm über dies kühne Haupt der Lom¬ barden hin und wir glauben es kaum, daß dieselbe Stadt, in der wir die weißen Soldaten Radetzky's sahen, die 1839 begeistert rief: „Vittoriv Emma¬ nuel«" zweihundert Jahre vor Christus schon von den Römern belagert ward, daß Theodosius hier Hof hielt und Attila hier sengte. Furchtbarer aber, als sie Alle, war das Strafgericht Barbarossa's, dessen Gattin hier so tiefe Schmach erduldet, daß er schwur die Stadt dem Boden gleich zu machen. Mit eisernen Hacken wurden damals die Gebäude niedergerissen und Feuer an ihr Gebälk gelegt; erst auf den Trümmern Mailands sah der Kaiser seine Sühne. Zwei Jahrhunderte später finden wir die Viscontis im Voll¬ besitze der Stadt, die Mittel, mit welchen sie ihre Herrschaft befestigten, waren dieselben, die jeder Gebieter Italiens damals übte, dieselben wie sie Macchiavell im Principe berühmt gemacht; nur daß sie der eine kühner als der andere zu gebrauchen wußte. Grausame Zeiten, voll Blut und Gewaltthat mußten vergehen, ehe das Geschlecht der Sforza das Herzogthum gewann. Sie kamen aus niedrigem, ja bäuerlichen Stamme, aber der Gründer ihrer Würde besaß doch wenigstens persönlichen Muth und zeigte, was der Glaube an einen hohen Beruf ver¬ mag, bis seine Enkel wieder in den Fluch der alten Tradition versanken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/149>, abgerufen am 03.07.2024.