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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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wird der Gedanke von einem Einfalle der Nüssen zur Chimäre werden.
Dann sagen wir: keine russischen Rüstungen, die an der Newa und Wolga
betrieben werden müssen, können gegen ein so entferntes, 200 Millionen See¬
len zählendes Reich etwas ausrichten, wenn dessen Bewohner von gut eng¬
lischen Gesinnungen erfüllt sind, Ist es den Briten möglich, die Hindus da¬
von zu überzeugen, daß die englische Herrschaft ihren Interessen entspricht,
so ist es gewiß, daß kein russischer Angriff auf Indien gemacht werden kann.
England strebt auch dahin; mit welchem Erfolge muß indessen erst die Zeit
lehren; zu Engländern wird es die Hindus freilich niemals machen können,
das lehrt uns die Ethnographie; aber es hat entschieden Indiens Reich¬
thum vermehrt, es hat die Lage des niederen Volks verbessert, Industrien und
bewundernswerthe Verkehrseinrichtungen geschaffen. Die Zahl der Einwohner
hebt sich, und Ruhe und Sicherheit herrschen gegenwärtig im Lande. Dem
gegenüber ist aber hervorzuheben, daß die Engländer die Neigung einzelner
Bevölkerungsklassen zu Intriguen und Verschwörungen noch keineswegs aus¬
gerottet haben und Complotte zum Umsturz der englischen Regierung werden
noch heute gesponnen, von Hindus wie Mohammedanern, bald gährt es hier,
bald da. Indessen, da England über den großen Aufstand Herr geworden,
wird es auch in Zukunft die Ruhe in Indien bewahren können. Wie jetzt
die Dinge in Indien liegen, ist dort ein anderes Regiment als das britische
nicht denkbar und wie ein russisches Reich, dem Indien, Afghanistan, Persien,
die Mongolei u. s. w. angehörten, von der Newa aus regiert werden sollte,
vermögen wir uns nicht vorzustellen. Eine solche Blase müßte bald platzen.
England selbst ist bestrebt, seine Colonien immer selbständiger zu stellen;
Australien wie Canada, schon fast ganz auf sich angewiesen, werden mit der
Zeit ganz frei werden.

Weltreiche im Sinne des alten Rom, Herrschaft eines einzelnen kleinen
Stammes über zahlreiche andere mündige Völker, verträgt unsere Zeit nicht
mehr. In der Beschränkung bewährt sich auch hier der Meister, und Ru߬
land wird -- im eigenen Interesse -- seinen Baum nicht in den Himmel
wachsen lassen.



Aichard Wagner's "Aing des Nibelungen".
ii.
Der Stoff.

Dieselbe Beschränkung, die wir uns auflegen mußten, um dem Haupt¬
werke Wagner's gegenüber nicht ausführlich über die künstlerische Persönlichkeit
des Urhebers zu sprechen, müssen wir uns auch auflegen gegenüber dem Stoff


wird der Gedanke von einem Einfalle der Nüssen zur Chimäre werden.
Dann sagen wir: keine russischen Rüstungen, die an der Newa und Wolga
betrieben werden müssen, können gegen ein so entferntes, 200 Millionen See¬
len zählendes Reich etwas ausrichten, wenn dessen Bewohner von gut eng¬
lischen Gesinnungen erfüllt sind, Ist es den Briten möglich, die Hindus da¬
von zu überzeugen, daß die englische Herrschaft ihren Interessen entspricht,
so ist es gewiß, daß kein russischer Angriff auf Indien gemacht werden kann.
England strebt auch dahin; mit welchem Erfolge muß indessen erst die Zeit
lehren; zu Engländern wird es die Hindus freilich niemals machen können,
das lehrt uns die Ethnographie; aber es hat entschieden Indiens Reich¬
thum vermehrt, es hat die Lage des niederen Volks verbessert, Industrien und
bewundernswerthe Verkehrseinrichtungen geschaffen. Die Zahl der Einwohner
hebt sich, und Ruhe und Sicherheit herrschen gegenwärtig im Lande. Dem
gegenüber ist aber hervorzuheben, daß die Engländer die Neigung einzelner
Bevölkerungsklassen zu Intriguen und Verschwörungen noch keineswegs aus¬
gerottet haben und Complotte zum Umsturz der englischen Regierung werden
noch heute gesponnen, von Hindus wie Mohammedanern, bald gährt es hier,
bald da. Indessen, da England über den großen Aufstand Herr geworden,
wird es auch in Zukunft die Ruhe in Indien bewahren können. Wie jetzt
die Dinge in Indien liegen, ist dort ein anderes Regiment als das britische
nicht denkbar und wie ein russisches Reich, dem Indien, Afghanistan, Persien,
die Mongolei u. s. w. angehörten, von der Newa aus regiert werden sollte,
vermögen wir uns nicht vorzustellen. Eine solche Blase müßte bald platzen.
England selbst ist bestrebt, seine Colonien immer selbständiger zu stellen;
Australien wie Canada, schon fast ganz auf sich angewiesen, werden mit der
Zeit ganz frei werden.

Weltreiche im Sinne des alten Rom, Herrschaft eines einzelnen kleinen
Stammes über zahlreiche andere mündige Völker, verträgt unsere Zeit nicht
mehr. In der Beschränkung bewährt sich auch hier der Meister, und Ru߬
land wird — im eigenen Interesse — seinen Baum nicht in den Himmel
wachsen lassen.



Aichard Wagner's „Aing des Nibelungen".
ii.
Der Stoff.

Dieselbe Beschränkung, die wir uns auflegen mußten, um dem Haupt¬
werke Wagner's gegenüber nicht ausführlich über die künstlerische Persönlichkeit
des Urhebers zu sprechen, müssen wir uns auch auflegen gegenüber dem Stoff


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[0416] wird der Gedanke von einem Einfalle der Nüssen zur Chimäre werden. Dann sagen wir: keine russischen Rüstungen, die an der Newa und Wolga betrieben werden müssen, können gegen ein so entferntes, 200 Millionen See¬ len zählendes Reich etwas ausrichten, wenn dessen Bewohner von gut eng¬ lischen Gesinnungen erfüllt sind, Ist es den Briten möglich, die Hindus da¬ von zu überzeugen, daß die englische Herrschaft ihren Interessen entspricht, so ist es gewiß, daß kein russischer Angriff auf Indien gemacht werden kann. England strebt auch dahin; mit welchem Erfolge muß indessen erst die Zeit lehren; zu Engländern wird es die Hindus freilich niemals machen können, das lehrt uns die Ethnographie; aber es hat entschieden Indiens Reich¬ thum vermehrt, es hat die Lage des niederen Volks verbessert, Industrien und bewundernswerthe Verkehrseinrichtungen geschaffen. Die Zahl der Einwohner hebt sich, und Ruhe und Sicherheit herrschen gegenwärtig im Lande. Dem gegenüber ist aber hervorzuheben, daß die Engländer die Neigung einzelner Bevölkerungsklassen zu Intriguen und Verschwörungen noch keineswegs aus¬ gerottet haben und Complotte zum Umsturz der englischen Regierung werden noch heute gesponnen, von Hindus wie Mohammedanern, bald gährt es hier, bald da. Indessen, da England über den großen Aufstand Herr geworden, wird es auch in Zukunft die Ruhe in Indien bewahren können. Wie jetzt die Dinge in Indien liegen, ist dort ein anderes Regiment als das britische nicht denkbar und wie ein russisches Reich, dem Indien, Afghanistan, Persien, die Mongolei u. s. w. angehörten, von der Newa aus regiert werden sollte, vermögen wir uns nicht vorzustellen. Eine solche Blase müßte bald platzen. England selbst ist bestrebt, seine Colonien immer selbständiger zu stellen; Australien wie Canada, schon fast ganz auf sich angewiesen, werden mit der Zeit ganz frei werden. Weltreiche im Sinne des alten Rom, Herrschaft eines einzelnen kleinen Stammes über zahlreiche andere mündige Völker, verträgt unsere Zeit nicht mehr. In der Beschränkung bewährt sich auch hier der Meister, und Ru߬ land wird — im eigenen Interesse — seinen Baum nicht in den Himmel wachsen lassen. Aichard Wagner's „Aing des Nibelungen". ii. Der Stoff. Dieselbe Beschränkung, die wir uns auflegen mußten, um dem Haupt¬ werke Wagner's gegenüber nicht ausführlich über die künstlerische Persönlichkeit des Urhebers zu sprechen, müssen wir uns auch auflegen gegenüber dem Stoff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/416>, abgerufen am 05.02.2025.