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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Kichard Wagner's "King des Uibelungen".
i.
Einleitendes.

Die "Grenzboten" haben wieder den Zahlenmenschen an seine über¬
nommene Tributpslicht erinnert, und heischen von ihm in der Sommerszeit
Mittheilungen aus seinem beschaulichen Kunstleben. In der Kunst gibt es
aber in diesem Augenblick kein besprocheneres Ereigniß als das Wagner'sche
Bühnenfestspiel, welches im übernächsten Jahr zu Baireuth aufgeführt werden
soll. Bühnenfestspiel, ist das ein Bühnenspiel zu einem Fest oder ein Spiel
(natürlich wiederum ein Bühnenspiel) zu einem Bühnenfest? Wir fragen:
ist das Erscheinen dieses Spiels auf der Bühne an sich ein Bühnenfest, oder
ist dasselbe gedacht als Verherrlichung eines Tages, den die Bühne festlich be¬
geht? Wagner's Meinung ist jedenfalls die erste: das Erscheinen seines
Spiels ist ein Bühnenfest und nur mittelst eines festlichen Apparates kann es
auf der Bühne erscheinen. Das klingt nicht gerade demüthig, aber es be¬
rechtigt auch noch nicht zum Tadel. Die Ansicht, daß die Bühne und die
dramatische Kunst als Zerstreungsmittel für den Alltag herabgewürdigt und
verdorben werden könnte -- mag leicht ihre Richtigkeit haben. Wenn sie
dieselbe hat, dann handeln Bühne und dramatische Kunst ihrer nur würdig,
wenn sie nur erscheinen, um Feste zu veranstalten, mögen sie das Fest nun
durch ihr Erscheinen hervorrufen, oder mag ihr Erscheinen hervorgerufen sein
durch eine festliche Veranlassung von allgemeiner Beziehung.

Das Werk, durch welches die Bühne zum ersten Mal wieder die Rolle
als Festbringerin ergreifen soll, ward schon vor zwanzig Jahren dem dichte¬
rischen Theile nach vollendet, damals aber nur als Manuscript für Freunde
gedruckt und vertheilt. Zehn Jahre später übergab der Verfasser es der
Öffentlichkeit; nach abermals zehn Jahren liegt die Einzelausgabe davon in
einer zweiten Auflage vor;*) gleichzeitig ist es in des Verfassers gesammelten
Werken mit einem epilogischen Bericht über die Schicksale, welche seine musika¬
lische Ausführung zwischen der ersten und zweiten Veröffentlichung des poetischen
Theils begleiteten, erschienen, gleichzeitig wird die Bollendung der musikalischen
Ausführung angekündigt. Daß auch zur scenischenDarstellung inzwischen die Vor¬
bereitungen soweit gediehen sind, um dieAufführung im übernächsten Jahre erwar¬
ten zu können, wurde bereits erwähnt. Die Nähe dieser Aufführung und der unge¬
wöhnliche Charakter derselben, in Verbindung mit der Stellung, welche
Wagner eingenommen, und in bedeutendem Maße, wie nicht mehr zu be-
streiten, auch zur Geltung gebracht hat, verschaffen der Dichtung, welche das
Bühnenfestspiel ausmacht, nein, welche ihm zu Grunde liegt, nein, welche --
nun wir wissen keinen Ausdruck zu finden, wenn wir nicht etwa sagen wollen,



") Leipzig. I. I. Weber.
Kichard Wagner's „King des Uibelungen".
i.
Einleitendes.

Die „Grenzboten" haben wieder den Zahlenmenschen an seine über¬
nommene Tributpslicht erinnert, und heischen von ihm in der Sommerszeit
Mittheilungen aus seinem beschaulichen Kunstleben. In der Kunst gibt es
aber in diesem Augenblick kein besprocheneres Ereigniß als das Wagner'sche
Bühnenfestspiel, welches im übernächsten Jahr zu Baireuth aufgeführt werden
soll. Bühnenfestspiel, ist das ein Bühnenspiel zu einem Fest oder ein Spiel
(natürlich wiederum ein Bühnenspiel) zu einem Bühnenfest? Wir fragen:
ist das Erscheinen dieses Spiels auf der Bühne an sich ein Bühnenfest, oder
ist dasselbe gedacht als Verherrlichung eines Tages, den die Bühne festlich be¬
geht? Wagner's Meinung ist jedenfalls die erste: das Erscheinen seines
Spiels ist ein Bühnenfest und nur mittelst eines festlichen Apparates kann es
auf der Bühne erscheinen. Das klingt nicht gerade demüthig, aber es be¬
rechtigt auch noch nicht zum Tadel. Die Ansicht, daß die Bühne und die
dramatische Kunst als Zerstreungsmittel für den Alltag herabgewürdigt und
verdorben werden könnte — mag leicht ihre Richtigkeit haben. Wenn sie
dieselbe hat, dann handeln Bühne und dramatische Kunst ihrer nur würdig,
wenn sie nur erscheinen, um Feste zu veranstalten, mögen sie das Fest nun
durch ihr Erscheinen hervorrufen, oder mag ihr Erscheinen hervorgerufen sein
durch eine festliche Veranlassung von allgemeiner Beziehung.

Das Werk, durch welches die Bühne zum ersten Mal wieder die Rolle
als Festbringerin ergreifen soll, ward schon vor zwanzig Jahren dem dichte¬
rischen Theile nach vollendet, damals aber nur als Manuscript für Freunde
gedruckt und vertheilt. Zehn Jahre später übergab der Verfasser es der
Öffentlichkeit; nach abermals zehn Jahren liegt die Einzelausgabe davon in
einer zweiten Auflage vor;*) gleichzeitig ist es in des Verfassers gesammelten
Werken mit einem epilogischen Bericht über die Schicksale, welche seine musika¬
lische Ausführung zwischen der ersten und zweiten Veröffentlichung des poetischen
Theils begleiteten, erschienen, gleichzeitig wird die Bollendung der musikalischen
Ausführung angekündigt. Daß auch zur scenischenDarstellung inzwischen die Vor¬
bereitungen soweit gediehen sind, um dieAufführung im übernächsten Jahre erwar¬
ten zu können, wurde bereits erwähnt. Die Nähe dieser Aufführung und der unge¬
wöhnliche Charakter derselben, in Verbindung mit der Stellung, welche
Wagner eingenommen, und in bedeutendem Maße, wie nicht mehr zu be-
streiten, auch zur Geltung gebracht hat, verschaffen der Dichtung, welche das
Bühnenfestspiel ausmacht, nein, welche ihm zu Grunde liegt, nein, welche —
nun wir wissen keinen Ausdruck zu finden, wenn wir nicht etwa sagen wollen,



") Leipzig. I. I. Weber.
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[0399] Kichard Wagner's „King des Uibelungen". i. Einleitendes. Die „Grenzboten" haben wieder den Zahlenmenschen an seine über¬ nommene Tributpslicht erinnert, und heischen von ihm in der Sommerszeit Mittheilungen aus seinem beschaulichen Kunstleben. In der Kunst gibt es aber in diesem Augenblick kein besprocheneres Ereigniß als das Wagner'sche Bühnenfestspiel, welches im übernächsten Jahr zu Baireuth aufgeführt werden soll. Bühnenfestspiel, ist das ein Bühnenspiel zu einem Fest oder ein Spiel (natürlich wiederum ein Bühnenspiel) zu einem Bühnenfest? Wir fragen: ist das Erscheinen dieses Spiels auf der Bühne an sich ein Bühnenfest, oder ist dasselbe gedacht als Verherrlichung eines Tages, den die Bühne festlich be¬ geht? Wagner's Meinung ist jedenfalls die erste: das Erscheinen seines Spiels ist ein Bühnenfest und nur mittelst eines festlichen Apparates kann es auf der Bühne erscheinen. Das klingt nicht gerade demüthig, aber es be¬ rechtigt auch noch nicht zum Tadel. Die Ansicht, daß die Bühne und die dramatische Kunst als Zerstreungsmittel für den Alltag herabgewürdigt und verdorben werden könnte — mag leicht ihre Richtigkeit haben. Wenn sie dieselbe hat, dann handeln Bühne und dramatische Kunst ihrer nur würdig, wenn sie nur erscheinen, um Feste zu veranstalten, mögen sie das Fest nun durch ihr Erscheinen hervorrufen, oder mag ihr Erscheinen hervorgerufen sein durch eine festliche Veranlassung von allgemeiner Beziehung. Das Werk, durch welches die Bühne zum ersten Mal wieder die Rolle als Festbringerin ergreifen soll, ward schon vor zwanzig Jahren dem dichte¬ rischen Theile nach vollendet, damals aber nur als Manuscript für Freunde gedruckt und vertheilt. Zehn Jahre später übergab der Verfasser es der Öffentlichkeit; nach abermals zehn Jahren liegt die Einzelausgabe davon in einer zweiten Auflage vor;*) gleichzeitig ist es in des Verfassers gesammelten Werken mit einem epilogischen Bericht über die Schicksale, welche seine musika¬ lische Ausführung zwischen der ersten und zweiten Veröffentlichung des poetischen Theils begleiteten, erschienen, gleichzeitig wird die Bollendung der musikalischen Ausführung angekündigt. Daß auch zur scenischenDarstellung inzwischen die Vor¬ bereitungen soweit gediehen sind, um dieAufführung im übernächsten Jahre erwar¬ ten zu können, wurde bereits erwähnt. Die Nähe dieser Aufführung und der unge¬ wöhnliche Charakter derselben, in Verbindung mit der Stellung, welche Wagner eingenommen, und in bedeutendem Maße, wie nicht mehr zu be- streiten, auch zur Geltung gebracht hat, verschaffen der Dichtung, welche das Bühnenfestspiel ausmacht, nein, welche ihm zu Grunde liegt, nein, welche — nun wir wissen keinen Ausdruck zu finden, wenn wir nicht etwa sagen wollen, ") Leipzig. I. I. Weber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/399>, abgerufen am 05.02.2025.