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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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noch alles andere, was dort an der Seine als leichtes Nebelbild bei Sonnen¬
aufgang in die Luft stieg, um schon gegen 9 Uhr von der Sonne des Tages
völlig verflüchtigt zu werden, alle die Phantasmagorien der verschiedenartigsten
radikalen Welt- und Völkerbeglückungs-Propheten und Prophetinnen: alles
das, was dort als eine Comödie, als eine Posse spielte und amüsirte, ist bei
uns ehrbar, schwer und massig sitzen geblieben und arbeitet fort in dem Kreis¬
lauf unserer Säfte. Endlich das Kaiserreich und seine sprichwörtliche Kor¬
ruption: Frankreich hat sie ertragen und ist jetzt, nachdem es sie durch eine
seiner gewöhnlichen leichten Hautkrankheiten, die man Revolutionen nennt,
los geworden ist, gesünder, d. h. mehr Frankreich als je. Wir aber stecken
mitten drinnen und es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht diese letzte Dosis
französischen Nahrungs- und Bildungsstoffs unsern deutschen Magen auf immer
ruinirt hat. Jedenfalls stimmen wir dem Verfasser des Buches, das uns diese
Gedankenreihen erzeugt, vollkommen bei, wenn er sagt: "Die französische Gesell¬
schaft, krank, wie sie ist, enthält keinen Stoff des Verderbens, der nicht auch
in unserm Organismus auf den günstigen Augenblick der Entwickelung lauerte:
und das Eintreten solches verhängnißvollen Augenblicks zu verhindern, wird
der bescheidenen und gründlichen Vorsicht immer besser gelingen, als dem
dithyrambischen Siegesjubel." Wir wünschten, dieser Schlußsatz träfe zu, dann
wären wir geborgen oder wenigstens einigermaßen sicher, denn von dithyram¬
bischen Siegesjubel haben unsere Ohren in Deutschland 1870, 1871, 1872
H, Rückert. oder gar 1873 nichts vernommen. --




Die deutschen Mfsvereine in der Schweiz.

Aus sehr geringen Anfängen haben die deutschen Hilfsvereine der Schweiz
sich heute zu einer Bedeutung erhoben, die wir im Nachstehenden zu schildern
gedenken. Seit zehn Jahren ist die Centralisation dieser Hilfsvereine durch die
ganze Schweiz gelungen. Lange vorher schon hatten sich die Deutschen Zü¬
richs zu einem deutschen Hilfsverein zusammengeschlossen und dadurch anderen
Städten erst zur Nacheiferung gedient, dann den Gedanken einer einheitlichen
Organisation des deutschen Hilssvereinswesens durch die ganze Schweiz mit
größtem Erfolg angeregt und durchgeführt. Für den Kenner der dama¬
ligen Stimmungen und Verhältnisse namentlich der deutschen "Flüchtlinge" im
"Exil" ist diese Leistung der höchsten Anerkennung werth. Denn schon wir
Deutschen im Vaterlande haben den politischen Gegner um jene Tage des


noch alles andere, was dort an der Seine als leichtes Nebelbild bei Sonnen¬
aufgang in die Luft stieg, um schon gegen 9 Uhr von der Sonne des Tages
völlig verflüchtigt zu werden, alle die Phantasmagorien der verschiedenartigsten
radikalen Welt- und Völkerbeglückungs-Propheten und Prophetinnen: alles
das, was dort als eine Comödie, als eine Posse spielte und amüsirte, ist bei
uns ehrbar, schwer und massig sitzen geblieben und arbeitet fort in dem Kreis¬
lauf unserer Säfte. Endlich das Kaiserreich und seine sprichwörtliche Kor¬
ruption: Frankreich hat sie ertragen und ist jetzt, nachdem es sie durch eine
seiner gewöhnlichen leichten Hautkrankheiten, die man Revolutionen nennt,
los geworden ist, gesünder, d. h. mehr Frankreich als je. Wir aber stecken
mitten drinnen und es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht diese letzte Dosis
französischen Nahrungs- und Bildungsstoffs unsern deutschen Magen auf immer
ruinirt hat. Jedenfalls stimmen wir dem Verfasser des Buches, das uns diese
Gedankenreihen erzeugt, vollkommen bei, wenn er sagt: „Die französische Gesell¬
schaft, krank, wie sie ist, enthält keinen Stoff des Verderbens, der nicht auch
in unserm Organismus auf den günstigen Augenblick der Entwickelung lauerte:
und das Eintreten solches verhängnißvollen Augenblicks zu verhindern, wird
der bescheidenen und gründlichen Vorsicht immer besser gelingen, als dem
dithyrambischen Siegesjubel." Wir wünschten, dieser Schlußsatz träfe zu, dann
wären wir geborgen oder wenigstens einigermaßen sicher, denn von dithyram¬
bischen Siegesjubel haben unsere Ohren in Deutschland 1870, 1871, 1872
H, Rückert. oder gar 1873 nichts vernommen. —




Die deutschen Mfsvereine in der Schweiz.

Aus sehr geringen Anfängen haben die deutschen Hilfsvereine der Schweiz
sich heute zu einer Bedeutung erhoben, die wir im Nachstehenden zu schildern
gedenken. Seit zehn Jahren ist die Centralisation dieser Hilfsvereine durch die
ganze Schweiz gelungen. Lange vorher schon hatten sich die Deutschen Zü¬
richs zu einem deutschen Hilfsverein zusammengeschlossen und dadurch anderen
Städten erst zur Nacheiferung gedient, dann den Gedanken einer einheitlichen
Organisation des deutschen Hilssvereinswesens durch die ganze Schweiz mit
größtem Erfolg angeregt und durchgeführt. Für den Kenner der dama¬
ligen Stimmungen und Verhältnisse namentlich der deutschen „Flüchtlinge" im
»Exil" ist diese Leistung der höchsten Anerkennung werth. Denn schon wir
Deutschen im Vaterlande haben den politischen Gegner um jene Tage des


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[0389] noch alles andere, was dort an der Seine als leichtes Nebelbild bei Sonnen¬ aufgang in die Luft stieg, um schon gegen 9 Uhr von der Sonne des Tages völlig verflüchtigt zu werden, alle die Phantasmagorien der verschiedenartigsten radikalen Welt- und Völkerbeglückungs-Propheten und Prophetinnen: alles das, was dort als eine Comödie, als eine Posse spielte und amüsirte, ist bei uns ehrbar, schwer und massig sitzen geblieben und arbeitet fort in dem Kreis¬ lauf unserer Säfte. Endlich das Kaiserreich und seine sprichwörtliche Kor¬ ruption: Frankreich hat sie ertragen und ist jetzt, nachdem es sie durch eine seiner gewöhnlichen leichten Hautkrankheiten, die man Revolutionen nennt, los geworden ist, gesünder, d. h. mehr Frankreich als je. Wir aber stecken mitten drinnen und es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht diese letzte Dosis französischen Nahrungs- und Bildungsstoffs unsern deutschen Magen auf immer ruinirt hat. Jedenfalls stimmen wir dem Verfasser des Buches, das uns diese Gedankenreihen erzeugt, vollkommen bei, wenn er sagt: „Die französische Gesell¬ schaft, krank, wie sie ist, enthält keinen Stoff des Verderbens, der nicht auch in unserm Organismus auf den günstigen Augenblick der Entwickelung lauerte: und das Eintreten solches verhängnißvollen Augenblicks zu verhindern, wird der bescheidenen und gründlichen Vorsicht immer besser gelingen, als dem dithyrambischen Siegesjubel." Wir wünschten, dieser Schlußsatz träfe zu, dann wären wir geborgen oder wenigstens einigermaßen sicher, denn von dithyram¬ bischen Siegesjubel haben unsere Ohren in Deutschland 1870, 1871, 1872 H, Rückert. oder gar 1873 nichts vernommen. — Die deutschen Mfsvereine in der Schweiz. Aus sehr geringen Anfängen haben die deutschen Hilfsvereine der Schweiz sich heute zu einer Bedeutung erhoben, die wir im Nachstehenden zu schildern gedenken. Seit zehn Jahren ist die Centralisation dieser Hilfsvereine durch die ganze Schweiz gelungen. Lange vorher schon hatten sich die Deutschen Zü¬ richs zu einem deutschen Hilfsverein zusammengeschlossen und dadurch anderen Städten erst zur Nacheiferung gedient, dann den Gedanken einer einheitlichen Organisation des deutschen Hilssvereinswesens durch die ganze Schweiz mit größtem Erfolg angeregt und durchgeführt. Für den Kenner der dama¬ ligen Stimmungen und Verhältnisse namentlich der deutschen „Flüchtlinge" im »Exil" ist diese Leistung der höchsten Anerkennung werth. Denn schon wir Deutschen im Vaterlande haben den politischen Gegner um jene Tage des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/389>, abgerufen am 05.02.2025.