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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Im Versorgung der Witwen und Waisen preußischer
Staatsbeamten.

Die preußische Staatsregierung hat im vorigen Jahre durch Einführung
des Normalbesoldungsetats den Beamten ein der enormen Vertheuerung aller
Lebensbedürfnisse angemessenes Einkommen gewährt; auch ist der jüngst be¬
willigte Wohnungsgeldzuschuß einigermaßen ein Ersatz für die außerordent¬
liche Steigerung der Wohnungsmiethen. Mehr ist durch diese Gehaltsaus¬
besserungen nicht erreicht worden: sie beseitigen eben nur vorhandene Uebel¬
stände; darum werden voraussichtlich bei der stetig wachsenden Entwerthung
des Geldes in nicht allzuferner Zeit Zulagen nothwendig und unabweislich
sein. Abgesehen von der Sorge um seine und der Seinen Existenz hat der
Beamte ohne Vermögen noch andere wichtige Erwägungen zu machen.
Die Pensionsfrage ist zu seinen Gunsten gegen früher geändert und abge¬
schlossen ; namentlich sind die Gehaltsabzüge für den Pensionsfond wegge¬
fallen. So kann der Beamte beruhigter der Zeit seiner Jnactivität entgegen¬
sehen. Wie aber gestaltet sich die Zukunft seiner Familie im Falle seines
Todes? Kapitalien kann er von seinem Gehalte nicht sammeln; nach Neben¬
verdiensten zu greifen wird ihm schwerlich Jemand zumuthen wollen. Wenn
man in früherer Zeit den Lehrer, wenn er sich über unzureichende Besoldung
beklagte, mit der Aussicht auf Nebenerwerb vertröstete, fo wird heute, wo er
endlich den übrigen Beamten gleich gestellt ist, Niemand mehr an ihn eine
solche Zumuthung stellen wollen.

Alle Beamten sind bet dieser Frage gleichmäßig interessirt; sie ist sehr
ernst und geeignet, wie früher, so auch späterhin manchem Familienvater
trübe Stunden zu bereiten. Zwar ist er gehalten, sich in die allgemeine
Wittwen-Verpflegungsanstalt einzukaufen: bekanntlich eine Bedingung für Er-
theilung des Heirathskonfenses. Ohne diesen Zwang würde schwerlich ein
Drittel der Beamten, welche sich jetzt vielfach absichtlich zu möglichst niedrigen
Summen versichern, dieser Anstalt beitreten. Und warum? Die Bedingun¬
gen, unter welchen der Beitritt erfolgt, geben die beste Antwort. In den
seltensten Fällen entsprechen die von der Anstalt zu leistenden Zahlungen den
Einnahmen derselben. So hat zwar die Anstalt beträchtliche Fonds zur Ver¬
fügung, ob aber durch sie das erwünschte Ziel erreicht, oder ob nicht minde¬
stens darum die Einzahlungen ermäßigt werden müßten, ist wohl kaum noch
die Frage. Sie hat vielmehr in doppelter Weise nach der Wahrscheinlichkeits¬
rechnung Aussichten für sich: nämlich gegenüber der Dauer der Einzahlungen
und gegenüber der Dauer der zu leistenden Pensionen Ein verheiratheter
Beamter zahlt einen bestimmten jährlichen Satz, so lange er lebt; stirbt seine


Im Versorgung der Witwen und Waisen preußischer
Staatsbeamten.

Die preußische Staatsregierung hat im vorigen Jahre durch Einführung
des Normalbesoldungsetats den Beamten ein der enormen Vertheuerung aller
Lebensbedürfnisse angemessenes Einkommen gewährt; auch ist der jüngst be¬
willigte Wohnungsgeldzuschuß einigermaßen ein Ersatz für die außerordent¬
liche Steigerung der Wohnungsmiethen. Mehr ist durch diese Gehaltsaus¬
besserungen nicht erreicht worden: sie beseitigen eben nur vorhandene Uebel¬
stände; darum werden voraussichtlich bei der stetig wachsenden Entwerthung
des Geldes in nicht allzuferner Zeit Zulagen nothwendig und unabweislich
sein. Abgesehen von der Sorge um seine und der Seinen Existenz hat der
Beamte ohne Vermögen noch andere wichtige Erwägungen zu machen.
Die Pensionsfrage ist zu seinen Gunsten gegen früher geändert und abge¬
schlossen ; namentlich sind die Gehaltsabzüge für den Pensionsfond wegge¬
fallen. So kann der Beamte beruhigter der Zeit seiner Jnactivität entgegen¬
sehen. Wie aber gestaltet sich die Zukunft seiner Familie im Falle seines
Todes? Kapitalien kann er von seinem Gehalte nicht sammeln; nach Neben¬
verdiensten zu greifen wird ihm schwerlich Jemand zumuthen wollen. Wenn
man in früherer Zeit den Lehrer, wenn er sich über unzureichende Besoldung
beklagte, mit der Aussicht auf Nebenerwerb vertröstete, fo wird heute, wo er
endlich den übrigen Beamten gleich gestellt ist, Niemand mehr an ihn eine
solche Zumuthung stellen wollen.

Alle Beamten sind bet dieser Frage gleichmäßig interessirt; sie ist sehr
ernst und geeignet, wie früher, so auch späterhin manchem Familienvater
trübe Stunden zu bereiten. Zwar ist er gehalten, sich in die allgemeine
Wittwen-Verpflegungsanstalt einzukaufen: bekanntlich eine Bedingung für Er-
theilung des Heirathskonfenses. Ohne diesen Zwang würde schwerlich ein
Drittel der Beamten, welche sich jetzt vielfach absichtlich zu möglichst niedrigen
Summen versichern, dieser Anstalt beitreten. Und warum? Die Bedingun¬
gen, unter welchen der Beitritt erfolgt, geben die beste Antwort. In den
seltensten Fällen entsprechen die von der Anstalt zu leistenden Zahlungen den
Einnahmen derselben. So hat zwar die Anstalt beträchtliche Fonds zur Ver¬
fügung, ob aber durch sie das erwünschte Ziel erreicht, oder ob nicht minde¬
stens darum die Einzahlungen ermäßigt werden müßten, ist wohl kaum noch
die Frage. Sie hat vielmehr in doppelter Weise nach der Wahrscheinlichkeits¬
rechnung Aussichten für sich: nämlich gegenüber der Dauer der Einzahlungen
und gegenüber der Dauer der zu leistenden Pensionen Ein verheiratheter
Beamter zahlt einen bestimmten jährlichen Satz, so lange er lebt; stirbt seine


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[0285] Im Versorgung der Witwen und Waisen preußischer Staatsbeamten. Die preußische Staatsregierung hat im vorigen Jahre durch Einführung des Normalbesoldungsetats den Beamten ein der enormen Vertheuerung aller Lebensbedürfnisse angemessenes Einkommen gewährt; auch ist der jüngst be¬ willigte Wohnungsgeldzuschuß einigermaßen ein Ersatz für die außerordent¬ liche Steigerung der Wohnungsmiethen. Mehr ist durch diese Gehaltsaus¬ besserungen nicht erreicht worden: sie beseitigen eben nur vorhandene Uebel¬ stände; darum werden voraussichtlich bei der stetig wachsenden Entwerthung des Geldes in nicht allzuferner Zeit Zulagen nothwendig und unabweislich sein. Abgesehen von der Sorge um seine und der Seinen Existenz hat der Beamte ohne Vermögen noch andere wichtige Erwägungen zu machen. Die Pensionsfrage ist zu seinen Gunsten gegen früher geändert und abge¬ schlossen ; namentlich sind die Gehaltsabzüge für den Pensionsfond wegge¬ fallen. So kann der Beamte beruhigter der Zeit seiner Jnactivität entgegen¬ sehen. Wie aber gestaltet sich die Zukunft seiner Familie im Falle seines Todes? Kapitalien kann er von seinem Gehalte nicht sammeln; nach Neben¬ verdiensten zu greifen wird ihm schwerlich Jemand zumuthen wollen. Wenn man in früherer Zeit den Lehrer, wenn er sich über unzureichende Besoldung beklagte, mit der Aussicht auf Nebenerwerb vertröstete, fo wird heute, wo er endlich den übrigen Beamten gleich gestellt ist, Niemand mehr an ihn eine solche Zumuthung stellen wollen. Alle Beamten sind bet dieser Frage gleichmäßig interessirt; sie ist sehr ernst und geeignet, wie früher, so auch späterhin manchem Familienvater trübe Stunden zu bereiten. Zwar ist er gehalten, sich in die allgemeine Wittwen-Verpflegungsanstalt einzukaufen: bekanntlich eine Bedingung für Er- theilung des Heirathskonfenses. Ohne diesen Zwang würde schwerlich ein Drittel der Beamten, welche sich jetzt vielfach absichtlich zu möglichst niedrigen Summen versichern, dieser Anstalt beitreten. Und warum? Die Bedingun¬ gen, unter welchen der Beitritt erfolgt, geben die beste Antwort. In den seltensten Fällen entsprechen die von der Anstalt zu leistenden Zahlungen den Einnahmen derselben. So hat zwar die Anstalt beträchtliche Fonds zur Ver¬ fügung, ob aber durch sie das erwünschte Ziel erreicht, oder ob nicht minde¬ stens darum die Einzahlungen ermäßigt werden müßten, ist wohl kaum noch die Frage. Sie hat vielmehr in doppelter Weise nach der Wahrscheinlichkeits¬ rechnung Aussichten für sich: nämlich gegenüber der Dauer der Einzahlungen und gegenüber der Dauer der zu leistenden Pensionen Ein verheiratheter Beamter zahlt einen bestimmten jährlichen Satz, so lange er lebt; stirbt seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/285>, abgerufen am 05.02.2025.