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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Der Schwerpunkt für die baierischen Angelegenheiten liegt begreiflicher¬
weise schon jetzt in der Landtagssession, die nach den verfassungsmäßigen Nor¬
men zu Ende September beginnen wird. Denn drei Monate vor Ablauf
einer jeden Finanzperiode muß das künftige Budget den Kammern unter¬
breitet werden und bei dieser Gelegenheit kommen selbstverständlich alle wich¬
tigen Principienfragen zur Debatte. So wird manches, was heute schon der
Erledigung bedürfte, auf jenen Zeitpunkt verschoben; aber trotz alledem bietet
doch auch die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit interessante Motive.
Mag man immerhin zugestehen, daß^sich die politische Entwicklung in Baiern
etwas langsamer als in den übrigen Staaten vollzieht, so steht doch auch
dieses Land mitten in der drangvollen Fülle einer nationalen Umgestaltung,
und die Spuren derselben nehmen wir aus allen Gebieten wahr.

Daß es daneben noch dunkle und leider sehr dunkle Stellen in Baiern
gibt, läßt sich nicht leugnen, und in diese Richtung fällt vor allem jenes Er¬
eignis), das während der jüngsten Wochen fast alles andere Interesse ab-
sorbirte: wir meinen den Proceß gegen die Dachauer Banken, dessen Ausgang
gleichsam als eine moralische Principienfrage für das Land erschien. Aller¬
dings steht soviel fest, daß vom rein juristischen Standpunct mancherlei Zwei¬
fel herrschten, ob man diese Primadonna des Schwindels strafrechtlich fassen
könne; denn die Frage, ob sie wirklich als Kauffrau zu betrachten sei, schien
bis zum letzten Augenblicke schwankend und die weitere Frage, ob sie ihre
"Zahlungen eingestellt habe", konnte insofern discutirt werden, weil sie keinem
der präsentirten Wechsel die Auszahlung verweigerte. So wäre es wenigstens
denkbar gewesen, daß rechtsgelehrte Richter, die sich unerbittlich an den Wort¬
laut des Gesetzes halten, das Treiben der Spitzeder für kriminell straflos er¬
klärt hätten, die Geschworenen aber, die gewissermaßen das Rechtsbewußtsein
des Volkes verkörpern, auf deren Votum die moralische Seite einer
That den höchsten Einfluß übt, konnten hier unmöglich eine Freisprechung
erfolgen lassen. Für sie mußte die Thatsache entscheidend sein, daß die Uebel¬
thäter jedenfalls ein Geschäft betrieben, dessen Bankerott in ihren eigenen Augen
unvermeidlich war, daß sie in der gewissenlosesten Weise das Vertrauen
der Masse zu fesseln suchten, so oft die Regierung oder die liberale Presse vor
dem Verderben warnten. Es war schlimm genug für die Ehre Baierns, daß
dies Geschäft so lange in Flor stand, aber noch schlimmer, unendlich schlimmer
wäre es gewesen, wenn dasselbe straflos vor den Assisen bestanden hätte.
Welches Licht hätte dadurch aus die moralischen Begriffe des Landes fallen
müssen, welches Urtheil hätte man über den Werth der Schwurgerichte ge-


Grenzbvtm. 187!!. til. >^>

Der Schwerpunkt für die baierischen Angelegenheiten liegt begreiflicher¬
weise schon jetzt in der Landtagssession, die nach den verfassungsmäßigen Nor¬
men zu Ende September beginnen wird. Denn drei Monate vor Ablauf
einer jeden Finanzperiode muß das künftige Budget den Kammern unter¬
breitet werden und bei dieser Gelegenheit kommen selbstverständlich alle wich¬
tigen Principienfragen zur Debatte. So wird manches, was heute schon der
Erledigung bedürfte, auf jenen Zeitpunkt verschoben; aber trotz alledem bietet
doch auch die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit interessante Motive.
Mag man immerhin zugestehen, daß^sich die politische Entwicklung in Baiern
etwas langsamer als in den übrigen Staaten vollzieht, so steht doch auch
dieses Land mitten in der drangvollen Fülle einer nationalen Umgestaltung,
und die Spuren derselben nehmen wir aus allen Gebieten wahr.

Daß es daneben noch dunkle und leider sehr dunkle Stellen in Baiern
gibt, läßt sich nicht leugnen, und in diese Richtung fällt vor allem jenes Er¬
eignis), das während der jüngsten Wochen fast alles andere Interesse ab-
sorbirte: wir meinen den Proceß gegen die Dachauer Banken, dessen Ausgang
gleichsam als eine moralische Principienfrage für das Land erschien. Aller¬
dings steht soviel fest, daß vom rein juristischen Standpunct mancherlei Zwei¬
fel herrschten, ob man diese Primadonna des Schwindels strafrechtlich fassen
könne; denn die Frage, ob sie wirklich als Kauffrau zu betrachten sei, schien
bis zum letzten Augenblicke schwankend und die weitere Frage, ob sie ihre
„Zahlungen eingestellt habe", konnte insofern discutirt werden, weil sie keinem
der präsentirten Wechsel die Auszahlung verweigerte. So wäre es wenigstens
denkbar gewesen, daß rechtsgelehrte Richter, die sich unerbittlich an den Wort¬
laut des Gesetzes halten, das Treiben der Spitzeder für kriminell straflos er¬
klärt hätten, die Geschworenen aber, die gewissermaßen das Rechtsbewußtsein
des Volkes verkörpern, auf deren Votum die moralische Seite einer
That den höchsten Einfluß übt, konnten hier unmöglich eine Freisprechung
erfolgen lassen. Für sie mußte die Thatsache entscheidend sein, daß die Uebel¬
thäter jedenfalls ein Geschäft betrieben, dessen Bankerott in ihren eigenen Augen
unvermeidlich war, daß sie in der gewissenlosesten Weise das Vertrauen
der Masse zu fesseln suchten, so oft die Regierung oder die liberale Presse vor
dem Verderben warnten. Es war schlimm genug für die Ehre Baierns, daß
dies Geschäft so lange in Flor stand, aber noch schlimmer, unendlich schlimmer
wäre es gewesen, wenn dasselbe straflos vor den Assisen bestanden hätte.
Welches Licht hätte dadurch aus die moralischen Begriffe des Landes fallen
müssen, welches Urtheil hätte man über den Werth der Schwurgerichte ge-


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[0281] Der Schwerpunkt für die baierischen Angelegenheiten liegt begreiflicher¬ weise schon jetzt in der Landtagssession, die nach den verfassungsmäßigen Nor¬ men zu Ende September beginnen wird. Denn drei Monate vor Ablauf einer jeden Finanzperiode muß das künftige Budget den Kammern unter¬ breitet werden und bei dieser Gelegenheit kommen selbstverständlich alle wich¬ tigen Principienfragen zur Debatte. So wird manches, was heute schon der Erledigung bedürfte, auf jenen Zeitpunkt verschoben; aber trotz alledem bietet doch auch die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit interessante Motive. Mag man immerhin zugestehen, daß^sich die politische Entwicklung in Baiern etwas langsamer als in den übrigen Staaten vollzieht, so steht doch auch dieses Land mitten in der drangvollen Fülle einer nationalen Umgestaltung, und die Spuren derselben nehmen wir aus allen Gebieten wahr. Daß es daneben noch dunkle und leider sehr dunkle Stellen in Baiern gibt, läßt sich nicht leugnen, und in diese Richtung fällt vor allem jenes Er¬ eignis), das während der jüngsten Wochen fast alles andere Interesse ab- sorbirte: wir meinen den Proceß gegen die Dachauer Banken, dessen Ausgang gleichsam als eine moralische Principienfrage für das Land erschien. Aller¬ dings steht soviel fest, daß vom rein juristischen Standpunct mancherlei Zwei¬ fel herrschten, ob man diese Primadonna des Schwindels strafrechtlich fassen könne; denn die Frage, ob sie wirklich als Kauffrau zu betrachten sei, schien bis zum letzten Augenblicke schwankend und die weitere Frage, ob sie ihre „Zahlungen eingestellt habe", konnte insofern discutirt werden, weil sie keinem der präsentirten Wechsel die Auszahlung verweigerte. So wäre es wenigstens denkbar gewesen, daß rechtsgelehrte Richter, die sich unerbittlich an den Wort¬ laut des Gesetzes halten, das Treiben der Spitzeder für kriminell straflos er¬ klärt hätten, die Geschworenen aber, die gewissermaßen das Rechtsbewußtsein des Volkes verkörpern, auf deren Votum die moralische Seite einer That den höchsten Einfluß übt, konnten hier unmöglich eine Freisprechung erfolgen lassen. Für sie mußte die Thatsache entscheidend sein, daß die Uebel¬ thäter jedenfalls ein Geschäft betrieben, dessen Bankerott in ihren eigenen Augen unvermeidlich war, daß sie in der gewissenlosesten Weise das Vertrauen der Masse zu fesseln suchten, so oft die Regierung oder die liberale Presse vor dem Verderben warnten. Es war schlimm genug für die Ehre Baierns, daß dies Geschäft so lange in Flor stand, aber noch schlimmer, unendlich schlimmer wäre es gewesen, wenn dasselbe straflos vor den Assisen bestanden hätte. Welches Licht hätte dadurch aus die moralischen Begriffe des Landes fallen müssen, welches Urtheil hätte man über den Werth der Schwurgerichte ge- Grenzbvtm. 187!!. til. >^>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/281>, abgerufen am 05.02.2025.