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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Im ästhetischen Lrziehung.*)

Im November und December 1869 hat im "Verein für Familien- und
Volkserziehung" in Berlin Bruno Meyer sechs Vorträge über ästethische Pä¬
dagogik gehalten. Diese hat er jetzt nachträglich noch, sachlich durchaus un¬
verändert, aber mit zahlreichen zum Theil sehr ausführlichen Excursen, durch
den Druck veröffentlicht. Auf dem Titelblatte des Buches steht als prahlerisch¬
bescheidenes Motto das Goethe'sche Wort: "Alles Gescheidte ist schon gedacht
worden; man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken."

Bruno Meyer zählt ohne Zweifel zu unsern geistvollsten, gebildetsten
und kenntnißreichsten Journalisten; seine scharfe und glänzende Feder ist un-
ermüdlich für die Bildung und Aufklärung des Volkes thätig. Ihm einmal
in einer größeren, durchgeführter^ Arbeit, als es ein Journalartikel ist, zu
begegnen, ist längst ein geheimer Wunsch von uns gewesen, und so haben wir
denn sein Buch bei seinem Erscheinen mit dem lebhaftesten Interesse zur Hand
genommen und können versichern, daß wir ihm ein paar äußerst lehrreiche
und genußreiche Tage verdanken.

Gegen den Anspruch, daß er in seinen Vorträgen das Gebiet der ästhetischen
Pädagogik habe systematisch und erschöpfend darstellen wollen, verwahrt sich
der Verfasser selbst. In der That haben die Vorträge weder in ihrer Ge¬
sammtheit noch im Einzelnen irgend etwas, das einem System ähnlich sähe;
jeder von ihnen ist nur eine glänzende Kette von mehr oder weniger zusammen¬
hängenden, mehr oder minder treffenden Apercus "aus" der ästhetischen Pä-
dagogik. Charakteristisch hierfür sind schon die am Ende zahlreicher kleinerer
Abschnitte stehenden Gedankenstriche; eben da, wo die Gedankenverbindung
fehlt, da stellt ein Gedankenstrich zur rechten Zeit sich ein. Hieraus soll
dem Verfasser keinerlei Vorwurf erwachsen. Die ästhetische Pädagogik ist zum
guten Theil eine teri-a meoMita,, freilich wie wir zu unserer Beschämung be¬
kennen müssen, eine tMÄ wLog'enlg, in unserer allernächsten Nähe. Da wäre
es denn sehr unbillig, den, der uns dies unbekannte Land erschließt und eine
Reihe seiner köstlichsten Produkte uns zuführt, anstatt ihm aufrichtig dafür



") Aus der iWetischen Pädagogik. Sechs Vorträge von Bruno Meyer. Berlin.
Gebrüder Paetel. 187!Z.
Grenzboten 1873. in. 31'
Im ästhetischen Lrziehung.*)

Im November und December 1869 hat im „Verein für Familien- und
Volkserziehung" in Berlin Bruno Meyer sechs Vorträge über ästethische Pä¬
dagogik gehalten. Diese hat er jetzt nachträglich noch, sachlich durchaus un¬
verändert, aber mit zahlreichen zum Theil sehr ausführlichen Excursen, durch
den Druck veröffentlicht. Auf dem Titelblatte des Buches steht als prahlerisch¬
bescheidenes Motto das Goethe'sche Wort: „Alles Gescheidte ist schon gedacht
worden; man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken."

Bruno Meyer zählt ohne Zweifel zu unsern geistvollsten, gebildetsten
und kenntnißreichsten Journalisten; seine scharfe und glänzende Feder ist un-
ermüdlich für die Bildung und Aufklärung des Volkes thätig. Ihm einmal
in einer größeren, durchgeführter^ Arbeit, als es ein Journalartikel ist, zu
begegnen, ist längst ein geheimer Wunsch von uns gewesen, und so haben wir
denn sein Buch bei seinem Erscheinen mit dem lebhaftesten Interesse zur Hand
genommen und können versichern, daß wir ihm ein paar äußerst lehrreiche
und genußreiche Tage verdanken.

Gegen den Anspruch, daß er in seinen Vorträgen das Gebiet der ästhetischen
Pädagogik habe systematisch und erschöpfend darstellen wollen, verwahrt sich
der Verfasser selbst. In der That haben die Vorträge weder in ihrer Ge¬
sammtheit noch im Einzelnen irgend etwas, das einem System ähnlich sähe;
jeder von ihnen ist nur eine glänzende Kette von mehr oder weniger zusammen¬
hängenden, mehr oder minder treffenden Apercus „aus" der ästhetischen Pä-
dagogik. Charakteristisch hierfür sind schon die am Ende zahlreicher kleinerer
Abschnitte stehenden Gedankenstriche; eben da, wo die Gedankenverbindung
fehlt, da stellt ein Gedankenstrich zur rechten Zeit sich ein. Hieraus soll
dem Verfasser keinerlei Vorwurf erwachsen. Die ästhetische Pädagogik ist zum
guten Theil eine teri-a meoMita,, freilich wie wir zu unserer Beschämung be¬
kennen müssen, eine tMÄ wLog'enlg, in unserer allernächsten Nähe. Da wäre
es denn sehr unbillig, den, der uns dies unbekannte Land erschließt und eine
Reihe seiner köstlichsten Produkte uns zuführt, anstatt ihm aufrichtig dafür



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[0249] Im ästhetischen Lrziehung.*) Im November und December 1869 hat im „Verein für Familien- und Volkserziehung" in Berlin Bruno Meyer sechs Vorträge über ästethische Pä¬ dagogik gehalten. Diese hat er jetzt nachträglich noch, sachlich durchaus un¬ verändert, aber mit zahlreichen zum Theil sehr ausführlichen Excursen, durch den Druck veröffentlicht. Auf dem Titelblatte des Buches steht als prahlerisch¬ bescheidenes Motto das Goethe'sche Wort: „Alles Gescheidte ist schon gedacht worden; man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken." Bruno Meyer zählt ohne Zweifel zu unsern geistvollsten, gebildetsten und kenntnißreichsten Journalisten; seine scharfe und glänzende Feder ist un- ermüdlich für die Bildung und Aufklärung des Volkes thätig. Ihm einmal in einer größeren, durchgeführter^ Arbeit, als es ein Journalartikel ist, zu begegnen, ist längst ein geheimer Wunsch von uns gewesen, und so haben wir denn sein Buch bei seinem Erscheinen mit dem lebhaftesten Interesse zur Hand genommen und können versichern, daß wir ihm ein paar äußerst lehrreiche und genußreiche Tage verdanken. Gegen den Anspruch, daß er in seinen Vorträgen das Gebiet der ästhetischen Pädagogik habe systematisch und erschöpfend darstellen wollen, verwahrt sich der Verfasser selbst. In der That haben die Vorträge weder in ihrer Ge¬ sammtheit noch im Einzelnen irgend etwas, das einem System ähnlich sähe; jeder von ihnen ist nur eine glänzende Kette von mehr oder weniger zusammen¬ hängenden, mehr oder minder treffenden Apercus „aus" der ästhetischen Pä- dagogik. Charakteristisch hierfür sind schon die am Ende zahlreicher kleinerer Abschnitte stehenden Gedankenstriche; eben da, wo die Gedankenverbindung fehlt, da stellt ein Gedankenstrich zur rechten Zeit sich ein. Hieraus soll dem Verfasser keinerlei Vorwurf erwachsen. Die ästhetische Pädagogik ist zum guten Theil eine teri-a meoMita,, freilich wie wir zu unserer Beschämung be¬ kennen müssen, eine tMÄ wLog'enlg, in unserer allernächsten Nähe. Da wäre es denn sehr unbillig, den, der uns dies unbekannte Land erschließt und eine Reihe seiner köstlichsten Produkte uns zuführt, anstatt ihm aufrichtig dafür ») Aus der iWetischen Pädagogik. Sechs Vorträge von Bruno Meyer. Berlin. Gebrüder Paetel. 187!Z. Grenzboten 1873. in. 31'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/249>, abgerufen am 05.02.2025.