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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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durch Mißtrauen gegen einander gesündigt haben. Die Wege freilich sind
diesem Mißtrauen gebahnt, nicht nur durch die Leidenschaftlichkeit des Einen,
die Unbedachtsamkeit des Andren, und durch die Tücke Jago's, sondern vor¬
nehmlich auch durch die Erinnerung an den Vertrauens!) rü es gegen den
Bater. Auch dieser ist motivirt durch die Sinnesart des alten Brabantio,
der in eigenwillig hitzigem Vorurtheil sich weigert, die Entscheidung über die
eigene Zukunft vertrauend in die Hände der guten Tochter zu legen. So
tritt überall in unserem Drama als die Wurzel, nicht nur des ehelichen, son¬
dern auch des Familienglücks das herzliche Vertrauen hervor, das für das
Gedeihen aller Verhältnisse des menschlichen Lebens die unentbehrliche Vor¬
Ferd. Worthmann. aussetzung bildet.




ZUM römisch-deutschen Streit.*)

Unter dem Titel "zur Geschichte der römisch-deutschen Frage" hat
Dr. Otto Mejer, Consistorialrath und Professor des Kirchenrechts in Rostock,
eine ausführliche Darstellung der Beziehungen des römischen Stuhles zu den
deutschen Staaten seit dem Ausgang des vorigen Jahrhunderts unternommen.
Der erste Theil erschien 1871 und umfaßt die Periode von der letzten Reichs¬
zeit bis zum wiener Congreß einschließlich. Die erste Abtheilung des zweiten
Theils erschien 1872 und behandelt nur die bairische Concordatsverhandlung.
Die zweite Abtheilung ist in diesem Jahr erschienen, nur die kurze Zeit vom
zweiten pariser Frieden bis zum März 1819 umfassend, und behandelt die
auf die katholische Kirche bezüglichen Vorgänge dieser Periode in Preußen, in
Hannover und in den oberrheinischen Staaten.

Das Werk ist in hohem Grade unterrichtend, das Material fast ganz
neu aus unbenützten oder bisher unzugänglichen Akten geschöpft. Die reiche
Quelle der Belehrung, welche der Stoff in sich barg, hat der Verfasser zu
heben verstanden, nicht bloß dadurch, daß er das Material zusammentrug
und bekannt machte. Man kann auch das kostbarste Material tödten. Sticht
Jeder besitzt den Mosesstab, den Quell belebender Einsicht aus dem Felsen an¬
scheinend trockner Verhandlungen und ehemaliger Gesichtspunkte, die mit den
Bedingungen und den handelnden Personen des Augenblicks verschwanden,
herauszuschlagen.

Das wir i-es irMtur ruft uns die Geschichtsbetrachtung immer wieder zu,



') Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage von Dr. Otto Mejer. Zweiten Theiles
zweite Abtheilung. Rostock 1873.

durch Mißtrauen gegen einander gesündigt haben. Die Wege freilich sind
diesem Mißtrauen gebahnt, nicht nur durch die Leidenschaftlichkeit des Einen,
die Unbedachtsamkeit des Andren, und durch die Tücke Jago's, sondern vor¬
nehmlich auch durch die Erinnerung an den Vertrauens!) rü es gegen den
Bater. Auch dieser ist motivirt durch die Sinnesart des alten Brabantio,
der in eigenwillig hitzigem Vorurtheil sich weigert, die Entscheidung über die
eigene Zukunft vertrauend in die Hände der guten Tochter zu legen. So
tritt überall in unserem Drama als die Wurzel, nicht nur des ehelichen, son¬
dern auch des Familienglücks das herzliche Vertrauen hervor, das für das
Gedeihen aller Verhältnisse des menschlichen Lebens die unentbehrliche Vor¬
Ferd. Worthmann. aussetzung bildet.




ZUM römisch-deutschen Streit.*)

Unter dem Titel „zur Geschichte der römisch-deutschen Frage" hat
Dr. Otto Mejer, Consistorialrath und Professor des Kirchenrechts in Rostock,
eine ausführliche Darstellung der Beziehungen des römischen Stuhles zu den
deutschen Staaten seit dem Ausgang des vorigen Jahrhunderts unternommen.
Der erste Theil erschien 1871 und umfaßt die Periode von der letzten Reichs¬
zeit bis zum wiener Congreß einschließlich. Die erste Abtheilung des zweiten
Theils erschien 1872 und behandelt nur die bairische Concordatsverhandlung.
Die zweite Abtheilung ist in diesem Jahr erschienen, nur die kurze Zeit vom
zweiten pariser Frieden bis zum März 1819 umfassend, und behandelt die
auf die katholische Kirche bezüglichen Vorgänge dieser Periode in Preußen, in
Hannover und in den oberrheinischen Staaten.

Das Werk ist in hohem Grade unterrichtend, das Material fast ganz
neu aus unbenützten oder bisher unzugänglichen Akten geschöpft. Die reiche
Quelle der Belehrung, welche der Stoff in sich barg, hat der Verfasser zu
heben verstanden, nicht bloß dadurch, daß er das Material zusammentrug
und bekannt machte. Man kann auch das kostbarste Material tödten. Sticht
Jeder besitzt den Mosesstab, den Quell belebender Einsicht aus dem Felsen an¬
scheinend trockner Verhandlungen und ehemaliger Gesichtspunkte, die mit den
Bedingungen und den handelnden Personen des Augenblicks verschwanden,
herauszuschlagen.

Das wir i-es irMtur ruft uns die Geschichtsbetrachtung immer wieder zu,



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/141>, abgerufen am 05.02.2025.