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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Zum neuen Jahr.

Das scheidende Jahr ist ein schlicht bürgerliches zu nennen im Vergleich
mit seinen an kriegerischen Ehren und Thaten so reichen Vorgängern. Ein
Jahr des Friedens ist es gewesen: immer denkwürdige Kulturarbeit die Fülle
hat es hervorgebracht, die sichersten Verheißungen sür den Frieden der Zu¬
kunft hat es hinterlassen.

Den Geschicken unseres Vaterlandes in dem abgelaufenen Jahre wenden
naturgemäß vorzugsweise sich unsere Blicke zu. Denn wir Deutschen vor Allen
haben Grund, das Jahr 1872 zu den gesegnetsten unserer Geschichte zu zählen.
Es hat zunächst viele werthvolle Bande des Friedens zwischen uns und anderen
Völkern geknüpft und befestigt. In unserer Reichshauptstadt haben die drei
mächtigsten Kaiser der Erde zu freundschaftlichster Begegnung, zu herzlichsten Aus¬
tausch ihrer friedlichen Gesinnungen sich vereinigt. AuchHeute noch, wo der Jubel
jener Festtage längst verklungen ist, und wir nüchtern aus nüchterner Stunde
über sie urtheilen, grüßen sie uns als die besten Bürgen künftiger Friedens¬
tage. Denn wenn zu Berlin auch nicht, wie dieß bei ähnlichen Begegnungen
mächtiger Herrscher der Vorzeit Brauch gewesen, die Solidarität der gegen¬
seitigen Interessen in den festen Formen eines Schutz- und Trutzbündnisses
ausgesprochen worden ist, so bietet doch gerade diese weitgehende Interessenge¬
meinschaft der drei großen Reiche eine bessere Gewähr für die Dauer ihrer
friedlichen Beziehungen, als Siegel und Unterschrift eines Allianztractates.
Nicht leicht, und am wenigsten etwa schon infolge der neidvollen und
rachsüchtigen Ränke unserer westlichen Nachbarn und anderer Feinde un-
seres Reiches, wird das gute Verhältniß der drei Kaiserstaaten verschoben
werden. -- Zum ersten Male ist unser Kaiser, als Oberhaupt des deutschen
Reiches, Friedensrichter zwischen fremden Nationen gewesen. Durch seinen
Schiedsspruch hat er einen alten Streit Englands mit den Vereinigten Staaten
zu Gunsten der Letzteren friedlich geschlichtet. Die Gerechtigkeit und Weisheit
dieses Spruches haben beide Parteien geehrt. -- Selbst mit Frankreich hat
Deutschland in jeder Hinsicht das denkbar beste Verhältniß angestrebt. Die
Meisterhand unserer politischen Leitung hat durch einen Nachtrag zum Frank¬
furter Frieden uns die schnellere und sichrere Zahlung der französischen Kriegs-


Mmzboim 18?!". i. 1
Zum neuen Jahr.

Das scheidende Jahr ist ein schlicht bürgerliches zu nennen im Vergleich
mit seinen an kriegerischen Ehren und Thaten so reichen Vorgängern. Ein
Jahr des Friedens ist es gewesen: immer denkwürdige Kulturarbeit die Fülle
hat es hervorgebracht, die sichersten Verheißungen sür den Frieden der Zu¬
kunft hat es hinterlassen.

Den Geschicken unseres Vaterlandes in dem abgelaufenen Jahre wenden
naturgemäß vorzugsweise sich unsere Blicke zu. Denn wir Deutschen vor Allen
haben Grund, das Jahr 1872 zu den gesegnetsten unserer Geschichte zu zählen.
Es hat zunächst viele werthvolle Bande des Friedens zwischen uns und anderen
Völkern geknüpft und befestigt. In unserer Reichshauptstadt haben die drei
mächtigsten Kaiser der Erde zu freundschaftlichster Begegnung, zu herzlichsten Aus¬
tausch ihrer friedlichen Gesinnungen sich vereinigt. AuchHeute noch, wo der Jubel
jener Festtage längst verklungen ist, und wir nüchtern aus nüchterner Stunde
über sie urtheilen, grüßen sie uns als die besten Bürgen künftiger Friedens¬
tage. Denn wenn zu Berlin auch nicht, wie dieß bei ähnlichen Begegnungen
mächtiger Herrscher der Vorzeit Brauch gewesen, die Solidarität der gegen¬
seitigen Interessen in den festen Formen eines Schutz- und Trutzbündnisses
ausgesprochen worden ist, so bietet doch gerade diese weitgehende Interessenge¬
meinschaft der drei großen Reiche eine bessere Gewähr für die Dauer ihrer
friedlichen Beziehungen, als Siegel und Unterschrift eines Allianztractates.
Nicht leicht, und am wenigsten etwa schon infolge der neidvollen und
rachsüchtigen Ränke unserer westlichen Nachbarn und anderer Feinde un-
seres Reiches, wird das gute Verhältniß der drei Kaiserstaaten verschoben
werden. — Zum ersten Male ist unser Kaiser, als Oberhaupt des deutschen
Reiches, Friedensrichter zwischen fremden Nationen gewesen. Durch seinen
Schiedsspruch hat er einen alten Streit Englands mit den Vereinigten Staaten
zu Gunsten der Letzteren friedlich geschlichtet. Die Gerechtigkeit und Weisheit
dieses Spruches haben beide Parteien geehrt. — Selbst mit Frankreich hat
Deutschland in jeder Hinsicht das denkbar beste Verhältniß angestrebt. Die
Meisterhand unserer politischen Leitung hat durch einen Nachtrag zum Frank¬
furter Frieden uns die schnellere und sichrere Zahlung der französischen Kriegs-


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[0009] Zum neuen Jahr. Das scheidende Jahr ist ein schlicht bürgerliches zu nennen im Vergleich mit seinen an kriegerischen Ehren und Thaten so reichen Vorgängern. Ein Jahr des Friedens ist es gewesen: immer denkwürdige Kulturarbeit die Fülle hat es hervorgebracht, die sichersten Verheißungen sür den Frieden der Zu¬ kunft hat es hinterlassen. Den Geschicken unseres Vaterlandes in dem abgelaufenen Jahre wenden naturgemäß vorzugsweise sich unsere Blicke zu. Denn wir Deutschen vor Allen haben Grund, das Jahr 1872 zu den gesegnetsten unserer Geschichte zu zählen. Es hat zunächst viele werthvolle Bande des Friedens zwischen uns und anderen Völkern geknüpft und befestigt. In unserer Reichshauptstadt haben die drei mächtigsten Kaiser der Erde zu freundschaftlichster Begegnung, zu herzlichsten Aus¬ tausch ihrer friedlichen Gesinnungen sich vereinigt. AuchHeute noch, wo der Jubel jener Festtage längst verklungen ist, und wir nüchtern aus nüchterner Stunde über sie urtheilen, grüßen sie uns als die besten Bürgen künftiger Friedens¬ tage. Denn wenn zu Berlin auch nicht, wie dieß bei ähnlichen Begegnungen mächtiger Herrscher der Vorzeit Brauch gewesen, die Solidarität der gegen¬ seitigen Interessen in den festen Formen eines Schutz- und Trutzbündnisses ausgesprochen worden ist, so bietet doch gerade diese weitgehende Interessenge¬ meinschaft der drei großen Reiche eine bessere Gewähr für die Dauer ihrer friedlichen Beziehungen, als Siegel und Unterschrift eines Allianztractates. Nicht leicht, und am wenigsten etwa schon infolge der neidvollen und rachsüchtigen Ränke unserer westlichen Nachbarn und anderer Feinde un- seres Reiches, wird das gute Verhältniß der drei Kaiserstaaten verschoben werden. — Zum ersten Male ist unser Kaiser, als Oberhaupt des deutschen Reiches, Friedensrichter zwischen fremden Nationen gewesen. Durch seinen Schiedsspruch hat er einen alten Streit Englands mit den Vereinigten Staaten zu Gunsten der Letzteren friedlich geschlichtet. Die Gerechtigkeit und Weisheit dieses Spruches haben beide Parteien geehrt. — Selbst mit Frankreich hat Deutschland in jeder Hinsicht das denkbar beste Verhältniß angestrebt. Die Meisterhand unserer politischen Leitung hat durch einen Nachtrag zum Frank¬ furter Frieden uns die schnellere und sichrere Zahlung der französischen Kriegs- Mmzboim 18?!». i. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/9>, abgerufen am 24.08.2024.