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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gegen giebt am 22. Januar, dem Tage des heiligen Mncentius, des Patrons
der Winzer, einer der Weinbauer in jedem Dorfe seinen Freunden und Ver¬
wandten ein Frühstück, wobei er über Tische einem seiner Gäste einen Blu-
menstraus überreicht, der dafür im nächsten Jahre den Schmaus auszurichten
hat. An demselben Tage veranstaltet jeder Weingutsbesitzer ein Gastmahl für
seine Arbeiter, welche, nachdem sie sich satt gegessen und getrunken, den Abend
mit Gesang und Tanz verbringen.




Kegierung und Landtag des Königreichs Sachsen.

Nach langer, im Ganzen fast achtmonatlicher Dauer, geht der sächsische
Landtag allmählig zur Ruhe. Leider will es scheinen, als wollte er mit einem
"Conflict" endigen.

In seinen ersten Stadien verlief er beinahe allzu ruhig. So ruhig, daß
ein Theil der liberalen Presse ungeduldig ward und seine Parteigenossen in
der II. Kammer der Flausen, des Mangels an Energie bezichtigte. Und jetzt
klagt und verklagt man wieder von der andern Seite, daß die liberale Partei
zu schroff verfahre, daß sie die guten Absichten der Negierung verkenne, daß
sie das Zustandekommen nützlicher Gesetze hindere oder doch erschwere.

Außerhalb Sachsens, wo man die Verhältnisse nicht oder mehr oberfläch¬
lich kennt, ja im Lande selbst, wo man sich um die ständischen Verhandlungen
viel weniger, als man sollte, kümmert, hat man selten ein klares Bild von
der eigentlichen Sachlage. Dazu gehört, daß man nicht blos den einen Theil
der handelnden Personen, sondern alle Theile und ihr Zusammen- oder Gegen-
einanderwirken etwas genauer kennt.

Die Grenzboten haben über Regierung und Landtag in Württemberg
erst unlängst dankenswerthe Mittheilungen gebracht, sie haben früher nach
Hessen-Darmstadt Schlaglichter geworfen, die dort freilich nicht gerade angenehm
empfunden worden sind; es scheint billig, da sie in Sachsen Bürgerrecht ge¬
nießen, daß sie auch im eignen Hause einmal Umschau halten. Vom sächsischen
Landtag ist in diesen Blättern schon die Rede gewesen; es mag nun der andre
Factor,- die Negierung, ins Auge gefaßt werden.

Weniger, als vielleicht in irgend einem der andern Mittelstaaten, tritt in
Sachsen die Person des Monarchen selbst in den Vordergrund. Eigen¬
willige Entschließungen, welche die Politik der Regierung plötzlich entweder
hemmten oder in andere Bahnen würfen, sind von König Johann niemals


Grmzlwwi 187L. I.

gegen giebt am 22. Januar, dem Tage des heiligen Mncentius, des Patrons
der Winzer, einer der Weinbauer in jedem Dorfe seinen Freunden und Ver¬
wandten ein Frühstück, wobei er über Tische einem seiner Gäste einen Blu-
menstraus überreicht, der dafür im nächsten Jahre den Schmaus auszurichten
hat. An demselben Tage veranstaltet jeder Weingutsbesitzer ein Gastmahl für
seine Arbeiter, welche, nachdem sie sich satt gegessen und getrunken, den Abend
mit Gesang und Tanz verbringen.




Kegierung und Landtag des Königreichs Sachsen.

Nach langer, im Ganzen fast achtmonatlicher Dauer, geht der sächsische
Landtag allmählig zur Ruhe. Leider will es scheinen, als wollte er mit einem
„Conflict" endigen.

In seinen ersten Stadien verlief er beinahe allzu ruhig. So ruhig, daß
ein Theil der liberalen Presse ungeduldig ward und seine Parteigenossen in
der II. Kammer der Flausen, des Mangels an Energie bezichtigte. Und jetzt
klagt und verklagt man wieder von der andern Seite, daß die liberale Partei
zu schroff verfahre, daß sie die guten Absichten der Negierung verkenne, daß
sie das Zustandekommen nützlicher Gesetze hindere oder doch erschwere.

Außerhalb Sachsens, wo man die Verhältnisse nicht oder mehr oberfläch¬
lich kennt, ja im Lande selbst, wo man sich um die ständischen Verhandlungen
viel weniger, als man sollte, kümmert, hat man selten ein klares Bild von
der eigentlichen Sachlage. Dazu gehört, daß man nicht blos den einen Theil
der handelnden Personen, sondern alle Theile und ihr Zusammen- oder Gegen-
einanderwirken etwas genauer kennt.

Die Grenzboten haben über Regierung und Landtag in Württemberg
erst unlängst dankenswerthe Mittheilungen gebracht, sie haben früher nach
Hessen-Darmstadt Schlaglichter geworfen, die dort freilich nicht gerade angenehm
empfunden worden sind; es scheint billig, da sie in Sachsen Bürgerrecht ge¬
nießen, daß sie auch im eignen Hause einmal Umschau halten. Vom sächsischen
Landtag ist in diesen Blättern schon die Rede gewesen; es mag nun der andre
Factor,- die Negierung, ins Auge gefaßt werden.

Weniger, als vielleicht in irgend einem der andern Mittelstaaten, tritt in
Sachsen die Person des Monarchen selbst in den Vordergrund. Eigen¬
willige Entschließungen, welche die Politik der Regierung plötzlich entweder
hemmten oder in andere Bahnen würfen, sind von König Johann niemals


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[0273] gegen giebt am 22. Januar, dem Tage des heiligen Mncentius, des Patrons der Winzer, einer der Weinbauer in jedem Dorfe seinen Freunden und Ver¬ wandten ein Frühstück, wobei er über Tische einem seiner Gäste einen Blu- menstraus überreicht, der dafür im nächsten Jahre den Schmaus auszurichten hat. An demselben Tage veranstaltet jeder Weingutsbesitzer ein Gastmahl für seine Arbeiter, welche, nachdem sie sich satt gegessen und getrunken, den Abend mit Gesang und Tanz verbringen. Kegierung und Landtag des Königreichs Sachsen. Nach langer, im Ganzen fast achtmonatlicher Dauer, geht der sächsische Landtag allmählig zur Ruhe. Leider will es scheinen, als wollte er mit einem „Conflict" endigen. In seinen ersten Stadien verlief er beinahe allzu ruhig. So ruhig, daß ein Theil der liberalen Presse ungeduldig ward und seine Parteigenossen in der II. Kammer der Flausen, des Mangels an Energie bezichtigte. Und jetzt klagt und verklagt man wieder von der andern Seite, daß die liberale Partei zu schroff verfahre, daß sie die guten Absichten der Negierung verkenne, daß sie das Zustandekommen nützlicher Gesetze hindere oder doch erschwere. Außerhalb Sachsens, wo man die Verhältnisse nicht oder mehr oberfläch¬ lich kennt, ja im Lande selbst, wo man sich um die ständischen Verhandlungen viel weniger, als man sollte, kümmert, hat man selten ein klares Bild von der eigentlichen Sachlage. Dazu gehört, daß man nicht blos den einen Theil der handelnden Personen, sondern alle Theile und ihr Zusammen- oder Gegen- einanderwirken etwas genauer kennt. Die Grenzboten haben über Regierung und Landtag in Württemberg erst unlängst dankenswerthe Mittheilungen gebracht, sie haben früher nach Hessen-Darmstadt Schlaglichter geworfen, die dort freilich nicht gerade angenehm empfunden worden sind; es scheint billig, da sie in Sachsen Bürgerrecht ge¬ nießen, daß sie auch im eignen Hause einmal Umschau halten. Vom sächsischen Landtag ist in diesen Blättern schon die Rede gewesen; es mag nun der andre Factor,- die Negierung, ins Auge gefaßt werden. Weniger, als vielleicht in irgend einem der andern Mittelstaaten, tritt in Sachsen die Person des Monarchen selbst in den Vordergrund. Eigen¬ willige Entschließungen, welche die Politik der Regierung plötzlich entweder hemmten oder in andere Bahnen würfen, sind von König Johann niemals Grmzlwwi 187L. I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/273>, abgerufen am 24.08.2024.