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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Sprichwörter aus allen Sprachen entstehen, der durch seine völlige
Unzuverlässigkeit des Inhalts trotz des trefflichen Materials, das er enthal¬
ten mag, für die Wissenschaft leider ohne Nutzen und nur geeignet ist, dem
Rufe deutscher Gründlichkeit im Ausland zu-schaden.




Hesterreichische LntlMungen.

Der Ritter von Ofenheim, dessen Carriere wir in der letzten Nummer
d. Bl. erzählten, sollte keineswegs der Einzige sein, der durch die gräuliche
Unordnung in der Verwaltung der Lemberg-Czernowitzer Bahn auf verdiente
Weise blosgestellt und von dem thönernen Fundament seines Ansehens
herabgestürzt wurde.

Sobald die garstigen Details dieser großartigen Betrügereien gegen den
Staat und die Actionäre bekannt wurden, machte vielmehr die öffentliche
Meinung in Oesterreich laut und rücksichtslos sämmtliche Mitglieder des Ver¬
waltungsrathes solidarisch haftbar für diese unerhörte Plünderung. Und
unter diesen traf sie zornig und in gerechtem Unmuth auf einen ehemaligen
"Volksmann" einen sogenannten Vorkämpfer der Freiheit, auf den Bürger¬
minister und Führer der Verfassungspartei: den von der cisleithanischen Po¬
pularität umstrahlten Dr. Giskra. Auch er, rief man, war einer jener Ver¬
waltungsräthe der Lemberg-Czernowitzer Bahn, die bisher den kläglichen
Zustand dieser Bahn und ihre entsetzlichen Finanzverhältnisfe nicht sehen wollten.
Aber war ihm hierbei irgend eine Schuld beizumessen? Wie oft hatte er
nicht in der vordersten Linie der Opposition gegen das Ministerium gestanden,
wenn es galt, den kleinsten überflüssigen Posten im Budget zu bemänteln und
seine Popularität durch eine daran geknüpfte oratonsche Leistung zu erhöhen?
Und hier sollte er für die Verschwendung von Millionen blind gewesen sein?
Erst vor Kurzem noch hatte er in Pest in den Delegationen gegen die Durch¬
führung der dreijährigen Dienstzeit gekämpft und die Summe, die dafür aus¬
gegeben worden, als unverantwortlich verurtheilt. Und nun erschien er plötz¬
lich als Mitschuldiger dieses Attentats auf das Staatseigenthum, dessen Scha¬
den sich auf nahezu 10 Millionen Gulden belief? Die öffentliche Meinung
glaubte nicht an seine Unschuld. Ein förmlicher Sturm der Entrüstung erhob
sich gegen ihn, man warf ihm geradezu vor, er selbst habe den Staatsseckel
erleichtern helfen. Er müsse sich rechtfertigen, sonst könne er nicht mehr
Volksvertreter sein. Jede dieser Anklagen hätte anderswo genügt, einen poli¬
tischen Mann ein für allemal todt zu machen.

Man warf ihm die Frage vor: Warum ist Dr. Giskra, da ihm doch
die Uebelstände in dem Betriebe der Lemberg-Czernowitzer bekannt sein
mußten, so lange in dem Verwaltungsrath geblieben und erst dann plötzlich


Sprichwörter aus allen Sprachen entstehen, der durch seine völlige
Unzuverlässigkeit des Inhalts trotz des trefflichen Materials, das er enthal¬
ten mag, für die Wissenschaft leider ohne Nutzen und nur geeignet ist, dem
Rufe deutscher Gründlichkeit im Ausland zu-schaden.




Hesterreichische LntlMungen.

Der Ritter von Ofenheim, dessen Carriere wir in der letzten Nummer
d. Bl. erzählten, sollte keineswegs der Einzige sein, der durch die gräuliche
Unordnung in der Verwaltung der Lemberg-Czernowitzer Bahn auf verdiente
Weise blosgestellt und von dem thönernen Fundament seines Ansehens
herabgestürzt wurde.

Sobald die garstigen Details dieser großartigen Betrügereien gegen den
Staat und die Actionäre bekannt wurden, machte vielmehr die öffentliche
Meinung in Oesterreich laut und rücksichtslos sämmtliche Mitglieder des Ver¬
waltungsrathes solidarisch haftbar für diese unerhörte Plünderung. Und
unter diesen traf sie zornig und in gerechtem Unmuth auf einen ehemaligen
„Volksmann" einen sogenannten Vorkämpfer der Freiheit, auf den Bürger¬
minister und Führer der Verfassungspartei: den von der cisleithanischen Po¬
pularität umstrahlten Dr. Giskra. Auch er, rief man, war einer jener Ver¬
waltungsräthe der Lemberg-Czernowitzer Bahn, die bisher den kläglichen
Zustand dieser Bahn und ihre entsetzlichen Finanzverhältnisfe nicht sehen wollten.
Aber war ihm hierbei irgend eine Schuld beizumessen? Wie oft hatte er
nicht in der vordersten Linie der Opposition gegen das Ministerium gestanden,
wenn es galt, den kleinsten überflüssigen Posten im Budget zu bemänteln und
seine Popularität durch eine daran geknüpfte oratonsche Leistung zu erhöhen?
Und hier sollte er für die Verschwendung von Millionen blind gewesen sein?
Erst vor Kurzem noch hatte er in Pest in den Delegationen gegen die Durch¬
führung der dreijährigen Dienstzeit gekämpft und die Summe, die dafür aus¬
gegeben worden, als unverantwortlich verurtheilt. Und nun erschien er plötz¬
lich als Mitschuldiger dieses Attentats auf das Staatseigenthum, dessen Scha¬
den sich auf nahezu 10 Millionen Gulden belief? Die öffentliche Meinung
glaubte nicht an seine Unschuld. Ein förmlicher Sturm der Entrüstung erhob
sich gegen ihn, man warf ihm geradezu vor, er selbst habe den Staatsseckel
erleichtern helfen. Er müsse sich rechtfertigen, sonst könne er nicht mehr
Volksvertreter sein. Jede dieser Anklagen hätte anderswo genügt, einen poli¬
tischen Mann ein für allemal todt zu machen.

Man warf ihm die Frage vor: Warum ist Dr. Giskra, da ihm doch
die Uebelstände in dem Betriebe der Lemberg-Czernowitzer bekannt sein
mußten, so lange in dem Verwaltungsrath geblieben und erst dann plötzlich


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[0120] Sprichwörter aus allen Sprachen entstehen, der durch seine völlige Unzuverlässigkeit des Inhalts trotz des trefflichen Materials, das er enthal¬ ten mag, für die Wissenschaft leider ohne Nutzen und nur geeignet ist, dem Rufe deutscher Gründlichkeit im Ausland zu-schaden. Hesterreichische LntlMungen. Der Ritter von Ofenheim, dessen Carriere wir in der letzten Nummer d. Bl. erzählten, sollte keineswegs der Einzige sein, der durch die gräuliche Unordnung in der Verwaltung der Lemberg-Czernowitzer Bahn auf verdiente Weise blosgestellt und von dem thönernen Fundament seines Ansehens herabgestürzt wurde. Sobald die garstigen Details dieser großartigen Betrügereien gegen den Staat und die Actionäre bekannt wurden, machte vielmehr die öffentliche Meinung in Oesterreich laut und rücksichtslos sämmtliche Mitglieder des Ver¬ waltungsrathes solidarisch haftbar für diese unerhörte Plünderung. Und unter diesen traf sie zornig und in gerechtem Unmuth auf einen ehemaligen „Volksmann" einen sogenannten Vorkämpfer der Freiheit, auf den Bürger¬ minister und Führer der Verfassungspartei: den von der cisleithanischen Po¬ pularität umstrahlten Dr. Giskra. Auch er, rief man, war einer jener Ver¬ waltungsräthe der Lemberg-Czernowitzer Bahn, die bisher den kläglichen Zustand dieser Bahn und ihre entsetzlichen Finanzverhältnisfe nicht sehen wollten. Aber war ihm hierbei irgend eine Schuld beizumessen? Wie oft hatte er nicht in der vordersten Linie der Opposition gegen das Ministerium gestanden, wenn es galt, den kleinsten überflüssigen Posten im Budget zu bemänteln und seine Popularität durch eine daran geknüpfte oratonsche Leistung zu erhöhen? Und hier sollte er für die Verschwendung von Millionen blind gewesen sein? Erst vor Kurzem noch hatte er in Pest in den Delegationen gegen die Durch¬ führung der dreijährigen Dienstzeit gekämpft und die Summe, die dafür aus¬ gegeben worden, als unverantwortlich verurtheilt. Und nun erschien er plötz¬ lich als Mitschuldiger dieses Attentats auf das Staatseigenthum, dessen Scha¬ den sich auf nahezu 10 Millionen Gulden belief? Die öffentliche Meinung glaubte nicht an seine Unschuld. Ein förmlicher Sturm der Entrüstung erhob sich gegen ihn, man warf ihm geradezu vor, er selbst habe den Staatsseckel erleichtern helfen. Er müsse sich rechtfertigen, sonst könne er nicht mehr Volksvertreter sein. Jede dieser Anklagen hätte anderswo genügt, einen poli¬ tischen Mann ein für allemal todt zu machen. Man warf ihm die Frage vor: Warum ist Dr. Giskra, da ihm doch die Uebelstände in dem Betriebe der Lemberg-Czernowitzer bekannt sein mußten, so lange in dem Verwaltungsrath geblieben und erst dann plötzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/120>, abgerufen am 24.08.2024.