Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber taktvollsten Weise sich empört gegen den Geist des siebzehnten; mir lag
ferne, ihn noch einmal zu beschwören.

So erzählte unser Gewährsmann. Es war der letzte "Staupenschlag",
der in Preußen vollzogen wurde, wenn auch erst das Jahr 1848 ihn gesetzlich
beseitigte.




Iriese aus Merlin.

Wir sind mitten in den Festlichkeiten. Der Glanz derselben beschäftigt,
hier am Orte wenigstens, die Sinne genug, um den Conjecturen Einhalt zu
thun. Aber dieselben umschwirren uns mit immer noch steigender Production
von Außen. Ob nun von dieser Monarchenzusammenkunft diplomatische Acte
ausgehen, was die unterrichteten Personen nach wie vor in Abrede stellen --
der Eindruck derselben wird ein imponirender, unvergeßlicher bleiben. Wenn
bei der gestrigen Galatafel der Kaiser Franz Joseph das Glas auf den deut¬
schen Kaiser erhebt, und der Kaiser Alexander auf das Wohl der preußischen
Armee, so ist der Lapidarstyl dieser Toaste sprechender als jemals eine Cir-
cularnote sein kann. Denn die abgeneigte Presse wird sich und Anderen ver¬
gebens einreden, daß solche Trinksprüche nichtssagende Höflichkeiten seien. Der
Kaiser Alexander hätte wohl noch einen anderen Gegenstand für seinen Toast
gefunden, und der Kaiser Franz Joseph wäre nicht nach Berlin gekommen,
wenn ihm die Anerkennung und Begrüßung des deutschen Reiches mit höchst
eigenem Munde irgendwie widerstrebt hätte.

Auch der Einwand der Mißgünstigen hat wenig auf sich, daß wenn im Mo¬
mente des Handelns die Interessen sprechen oder die Leidenschaften, die Höf¬
lichkeiten aus der Vergangenheit vergessen sind. Eine Zusammenkunft, wie
die jetzt gefeierte, muß bei den hohen Teilnehmern einen tiefen Eindruck
zurücklassen, weil sie in ihrem Verlauf offenbart, daß sie nicht das Ergebniß
der Laune oder des Zufalls, sondern einer geschichtlichen Lage ist.

Unter den mächtigen Herrschern des Continents fühlt der Kaiser Franz
Joseph sich wieder als ein Mächtiger: ein Gefühl, was ihm der Gegensatz
gegen Deutschland und Nußland, was ihm die Stütze auf den abenteuerlichen
Westen bei der inneren Lage seines in einem folgenreichen und nicht leicht zu-
vollziehenden Uebergang begriffenen Reiches verkümmern mußte. Der Kaiser
betritt in Berlin wieder den Boden, der seinem Hause so ehrwürdigen und
seinem Character so tief sympathischen monarchischen Tradition. Die drei


Grenzboten III. 1872.

aber taktvollsten Weise sich empört gegen den Geist des siebzehnten; mir lag
ferne, ihn noch einmal zu beschwören.

So erzählte unser Gewährsmann. Es war der letzte „Staupenschlag",
der in Preußen vollzogen wurde, wenn auch erst das Jahr 1848 ihn gesetzlich
beseitigte.




Iriese aus Merlin.

Wir sind mitten in den Festlichkeiten. Der Glanz derselben beschäftigt,
hier am Orte wenigstens, die Sinne genug, um den Conjecturen Einhalt zu
thun. Aber dieselben umschwirren uns mit immer noch steigender Production
von Außen. Ob nun von dieser Monarchenzusammenkunft diplomatische Acte
ausgehen, was die unterrichteten Personen nach wie vor in Abrede stellen —
der Eindruck derselben wird ein imponirender, unvergeßlicher bleiben. Wenn
bei der gestrigen Galatafel der Kaiser Franz Joseph das Glas auf den deut¬
schen Kaiser erhebt, und der Kaiser Alexander auf das Wohl der preußischen
Armee, so ist der Lapidarstyl dieser Toaste sprechender als jemals eine Cir-
cularnote sein kann. Denn die abgeneigte Presse wird sich und Anderen ver¬
gebens einreden, daß solche Trinksprüche nichtssagende Höflichkeiten seien. Der
Kaiser Alexander hätte wohl noch einen anderen Gegenstand für seinen Toast
gefunden, und der Kaiser Franz Joseph wäre nicht nach Berlin gekommen,
wenn ihm die Anerkennung und Begrüßung des deutschen Reiches mit höchst
eigenem Munde irgendwie widerstrebt hätte.

Auch der Einwand der Mißgünstigen hat wenig auf sich, daß wenn im Mo¬
mente des Handelns die Interessen sprechen oder die Leidenschaften, die Höf¬
lichkeiten aus der Vergangenheit vergessen sind. Eine Zusammenkunft, wie
die jetzt gefeierte, muß bei den hohen Teilnehmern einen tiefen Eindruck
zurücklassen, weil sie in ihrem Verlauf offenbart, daß sie nicht das Ergebniß
der Laune oder des Zufalls, sondern einer geschichtlichen Lage ist.

Unter den mächtigen Herrschern des Continents fühlt der Kaiser Franz
Joseph sich wieder als ein Mächtiger: ein Gefühl, was ihm der Gegensatz
gegen Deutschland und Nußland, was ihm die Stütze auf den abenteuerlichen
Westen bei der inneren Lage seines in einem folgenreichen und nicht leicht zu-
vollziehenden Uebergang begriffenen Reiches verkümmern mußte. Der Kaiser
betritt in Berlin wieder den Boden, der seinem Hause so ehrwürdigen und
seinem Character so tief sympathischen monarchischen Tradition. Die drei


Grenzboten III. 1872.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128401"/>
          <p xml:id="ID_1598" prev="#ID_1597"> aber taktvollsten Weise sich empört gegen den Geist des siebzehnten; mir lag<lb/>
ferne, ihn noch einmal zu beschwören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1599"> So erzählte unser Gewährsmann. Es war der letzte &#x201E;Staupenschlag",<lb/>
der in Preußen vollzogen wurde, wenn auch erst das Jahr 1848 ihn gesetzlich<lb/>
beseitigte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Iriese aus Merlin.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1600"> Wir sind mitten in den Festlichkeiten. Der Glanz derselben beschäftigt,<lb/>
hier am Orte wenigstens, die Sinne genug, um den Conjecturen Einhalt zu<lb/>
thun. Aber dieselben umschwirren uns mit immer noch steigender Production<lb/>
von Außen. Ob nun von dieser Monarchenzusammenkunft diplomatische Acte<lb/>
ausgehen, was die unterrichteten Personen nach wie vor in Abrede stellen &#x2014;<lb/>
der Eindruck derselben wird ein imponirender, unvergeßlicher bleiben. Wenn<lb/>
bei der gestrigen Galatafel der Kaiser Franz Joseph das Glas auf den deut¬<lb/>
schen Kaiser erhebt, und der Kaiser Alexander auf das Wohl der preußischen<lb/>
Armee, so ist der Lapidarstyl dieser Toaste sprechender als jemals eine Cir-<lb/>
cularnote sein kann. Denn die abgeneigte Presse wird sich und Anderen ver¬<lb/>
gebens einreden, daß solche Trinksprüche nichtssagende Höflichkeiten seien. Der<lb/>
Kaiser Alexander hätte wohl noch einen anderen Gegenstand für seinen Toast<lb/>
gefunden, und der Kaiser Franz Joseph wäre nicht nach Berlin gekommen,<lb/>
wenn ihm die Anerkennung und Begrüßung des deutschen Reiches mit höchst<lb/>
eigenem Munde irgendwie widerstrebt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1601"> Auch der Einwand der Mißgünstigen hat wenig auf sich, daß wenn im Mo¬<lb/>
mente des Handelns die Interessen sprechen oder die Leidenschaften, die Höf¬<lb/>
lichkeiten aus der Vergangenheit vergessen sind. Eine Zusammenkunft, wie<lb/>
die jetzt gefeierte, muß bei den hohen Teilnehmern einen tiefen Eindruck<lb/>
zurücklassen, weil sie in ihrem Verlauf offenbart, daß sie nicht das Ergebniß<lb/>
der Laune oder des Zufalls, sondern einer geschichtlichen Lage ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1602" next="#ID_1603"> Unter den mächtigen Herrschern des Continents fühlt der Kaiser Franz<lb/>
Joseph sich wieder als ein Mächtiger: ein Gefühl, was ihm der Gegensatz<lb/>
gegen Deutschland und Nußland, was ihm die Stütze auf den abenteuerlichen<lb/>
Westen bei der inneren Lage seines in einem folgenreichen und nicht leicht zu-<lb/>
vollziehenden Uebergang begriffenen Reiches verkümmern mußte. Der Kaiser<lb/>
betritt in Berlin wieder den Boden, der seinem Hause so ehrwürdigen und<lb/>
seinem Character so tief sympathischen monarchischen Tradition. Die drei</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1872.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] aber taktvollsten Weise sich empört gegen den Geist des siebzehnten; mir lag ferne, ihn noch einmal zu beschwören. So erzählte unser Gewährsmann. Es war der letzte „Staupenschlag", der in Preußen vollzogen wurde, wenn auch erst das Jahr 1848 ihn gesetzlich beseitigte. Iriese aus Merlin. Wir sind mitten in den Festlichkeiten. Der Glanz derselben beschäftigt, hier am Orte wenigstens, die Sinne genug, um den Conjecturen Einhalt zu thun. Aber dieselben umschwirren uns mit immer noch steigender Production von Außen. Ob nun von dieser Monarchenzusammenkunft diplomatische Acte ausgehen, was die unterrichteten Personen nach wie vor in Abrede stellen — der Eindruck derselben wird ein imponirender, unvergeßlicher bleiben. Wenn bei der gestrigen Galatafel der Kaiser Franz Joseph das Glas auf den deut¬ schen Kaiser erhebt, und der Kaiser Alexander auf das Wohl der preußischen Armee, so ist der Lapidarstyl dieser Toaste sprechender als jemals eine Cir- cularnote sein kann. Denn die abgeneigte Presse wird sich und Anderen ver¬ gebens einreden, daß solche Trinksprüche nichtssagende Höflichkeiten seien. Der Kaiser Alexander hätte wohl noch einen anderen Gegenstand für seinen Toast gefunden, und der Kaiser Franz Joseph wäre nicht nach Berlin gekommen, wenn ihm die Anerkennung und Begrüßung des deutschen Reiches mit höchst eigenem Munde irgendwie widerstrebt hätte. Auch der Einwand der Mißgünstigen hat wenig auf sich, daß wenn im Mo¬ mente des Handelns die Interessen sprechen oder die Leidenschaften, die Höf¬ lichkeiten aus der Vergangenheit vergessen sind. Eine Zusammenkunft, wie die jetzt gefeierte, muß bei den hohen Teilnehmern einen tiefen Eindruck zurücklassen, weil sie in ihrem Verlauf offenbart, daß sie nicht das Ergebniß der Laune oder des Zufalls, sondern einer geschichtlichen Lage ist. Unter den mächtigen Herrschern des Continents fühlt der Kaiser Franz Joseph sich wieder als ein Mächtiger: ein Gefühl, was ihm der Gegensatz gegen Deutschland und Nußland, was ihm die Stütze auf den abenteuerlichen Westen bei der inneren Lage seines in einem folgenreichen und nicht leicht zu- vollziehenden Uebergang begriffenen Reiches verkümmern mußte. Der Kaiser betritt in Berlin wieder den Boden, der seinem Hause so ehrwürdigen und seinem Character so tief sympathischen monarchischen Tradition. Die drei Grenzboten III. 1872.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/473>, abgerufen am 24.08.2024.