Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einer in Deutschlands Gebieten; eine Geistlichkeit, treu und hingebend in ihrem
Beruf; ein Bürgerthum, gleich unternehmend und betriebsam, wie das in Ober-
Deutschland und an der See.

Noch zwanzig kurze Jahre, -- da war das hochgesinnte Geschlecht er¬
loschen, abberufen wie ein Mann in der Blüthe der Jahre, der noch Vieles
geleistet hätte, ehe sein Sinn stumpf und seine Kraft hinfällig geworden wäre.
Wie von der Lieblingsstätte dieser Fürsten, dem Kloster Lehnin, galt's nun
von der ganzen Mark:


"(Zug.ö te tunäavit Mus, Kg.se es ssmpsr amavit,
Hae pereunw xeris."

Die Grabstätten der anhaltischen Markgrafen liegen durch die Mark zer¬
streut, -- statten wir ihnen einmal einen Besuch ab. Bald führt unser Weg
nach einer kleinen Stadt, bald nach einem Kloster, einem schattig kühlen Orte
zwischen Wald und See. Der Charakter der märkischen Landschaft ist wohl
noch derselbe, wie zu jenen Zeiten, als die Ballenstädter auf den Schultern
ihrer treuesten Ministerialen zu ihren Ruhestätten gebracht wurden. Liebevoll
umgiebt die ewig jugendliche Natur das zerfallende Menschenwerk mit ihrem
Grün. Ausgerissen sind die stillen Gräber der Markgrafen, ihre Gebeine ver¬
schleudert, zerschlagen die schweren Grabsteinplatten. Der einsame Besucher
hört seine Schritte von den hohen Kreuzgewölben wiederhallen und Wehmuth
beschleicht ihn über die Vergänglichkeit menschlicher Größe und die Nichtachtung,
mit welcher vergangene Jahrhunderte die Denkmale der Vorzeit behandeln
konnten. Mögen dem gegenüber auch diese Zeilen ein Zeichen des besseren,
neu erwachten Sinnes sein, in dem wir treu die Väter ehren und mit den
großen Gestalten der Vergangenheit innig verwebt werden.

Alt-Brandenburg.

Der Ort, von dem wir Märker alle den Namen tragen, dürfte schon um
deswegen das Interesse jedes Geschichtsfreundes in Anspruch nehmen; die
Stadt Brandenburg aber hat außerdem Schicksale gehabt, die weit über den
engen Rahmen einer Stadtgeschichte hinausgehen. Vom 9. bis .12. Jahrhun¬
dert hat einer der erbittertsten Völkerkämpfe um diese Stadt getobt. Heinrich
der Sachse überschreitet mit einem gewaltigen Heere das Eis der Havel, er¬
stürmt die Stadt, vertreibt ihren Fürsten und nimmt seine Erben Tugumir
als Geißel mit sich, aber schon nach wenig Jahren zieht der verbannte Fürst
siegreich wieder in seine Beste ein. Dann verräth Tugumir den Verwandten
und spielt die Stadt in Markgraf Gero's Hände, aber kaum hat dieser den
Rücken gewandt, da flattert das Panier der Empörung wieder hoch auf;
Gero, vom Ungarnzuge zurückkehrend, muß den Sieg mit dem Verluste des
einzigen Sohnes erkaufen. Später wagte Fürst Mistewoi noch einen gewal-


einer in Deutschlands Gebieten; eine Geistlichkeit, treu und hingebend in ihrem
Beruf; ein Bürgerthum, gleich unternehmend und betriebsam, wie das in Ober-
Deutschland und an der See.

Noch zwanzig kurze Jahre, — da war das hochgesinnte Geschlecht er¬
loschen, abberufen wie ein Mann in der Blüthe der Jahre, der noch Vieles
geleistet hätte, ehe sein Sinn stumpf und seine Kraft hinfällig geworden wäre.
Wie von der Lieblingsstätte dieser Fürsten, dem Kloster Lehnin, galt's nun
von der ganzen Mark:


„(Zug.ö te tunäavit Mus, Kg.se es ssmpsr amavit,
Hae pereunw xeris."

Die Grabstätten der anhaltischen Markgrafen liegen durch die Mark zer¬
streut, — statten wir ihnen einmal einen Besuch ab. Bald führt unser Weg
nach einer kleinen Stadt, bald nach einem Kloster, einem schattig kühlen Orte
zwischen Wald und See. Der Charakter der märkischen Landschaft ist wohl
noch derselbe, wie zu jenen Zeiten, als die Ballenstädter auf den Schultern
ihrer treuesten Ministerialen zu ihren Ruhestätten gebracht wurden. Liebevoll
umgiebt die ewig jugendliche Natur das zerfallende Menschenwerk mit ihrem
Grün. Ausgerissen sind die stillen Gräber der Markgrafen, ihre Gebeine ver¬
schleudert, zerschlagen die schweren Grabsteinplatten. Der einsame Besucher
hört seine Schritte von den hohen Kreuzgewölben wiederhallen und Wehmuth
beschleicht ihn über die Vergänglichkeit menschlicher Größe und die Nichtachtung,
mit welcher vergangene Jahrhunderte die Denkmale der Vorzeit behandeln
konnten. Mögen dem gegenüber auch diese Zeilen ein Zeichen des besseren,
neu erwachten Sinnes sein, in dem wir treu die Väter ehren und mit den
großen Gestalten der Vergangenheit innig verwebt werden.

Alt-Brandenburg.

Der Ort, von dem wir Märker alle den Namen tragen, dürfte schon um
deswegen das Interesse jedes Geschichtsfreundes in Anspruch nehmen; die
Stadt Brandenburg aber hat außerdem Schicksale gehabt, die weit über den
engen Rahmen einer Stadtgeschichte hinausgehen. Vom 9. bis .12. Jahrhun¬
dert hat einer der erbittertsten Völkerkämpfe um diese Stadt getobt. Heinrich
der Sachse überschreitet mit einem gewaltigen Heere das Eis der Havel, er¬
stürmt die Stadt, vertreibt ihren Fürsten und nimmt seine Erben Tugumir
als Geißel mit sich, aber schon nach wenig Jahren zieht der verbannte Fürst
siegreich wieder in seine Beste ein. Dann verräth Tugumir den Verwandten
und spielt die Stadt in Markgraf Gero's Hände, aber kaum hat dieser den
Rücken gewandt, da flattert das Panier der Empörung wieder hoch auf;
Gero, vom Ungarnzuge zurückkehrend, muß den Sieg mit dem Verluste des
einzigen Sohnes erkaufen. Später wagte Fürst Mistewoi noch einen gewal-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128307"/>
          <p xml:id="ID_1272" prev="#ID_1271"> einer in Deutschlands Gebieten; eine Geistlichkeit, treu und hingebend in ihrem<lb/>
Beruf; ein Bürgerthum, gleich unternehmend und betriebsam, wie das in Ober-<lb/>
Deutschland und an der See.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1273"> Noch zwanzig kurze Jahre, &#x2014; da war das hochgesinnte Geschlecht er¬<lb/>
loschen, abberufen wie ein Mann in der Blüthe der Jahre, der noch Vieles<lb/>
geleistet hätte, ehe sein Sinn stumpf und seine Kraft hinfällig geworden wäre.<lb/>
Wie von der Lieblingsstätte dieser Fürsten, dem Kloster Lehnin, galt's nun<lb/>
von der ganzen Mark:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;(Zug.ö te tunäavit Mus, Kg.se es ssmpsr amavit,<lb/>
Hae pereunw xeris."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1274"> Die Grabstätten der anhaltischen Markgrafen liegen durch die Mark zer¬<lb/>
streut, &#x2014; statten wir ihnen einmal einen Besuch ab. Bald führt unser Weg<lb/>
nach einer kleinen Stadt, bald nach einem Kloster, einem schattig kühlen Orte<lb/>
zwischen Wald und See. Der Charakter der märkischen Landschaft ist wohl<lb/>
noch derselbe, wie zu jenen Zeiten, als die Ballenstädter auf den Schultern<lb/>
ihrer treuesten Ministerialen zu ihren Ruhestätten gebracht wurden. Liebevoll<lb/>
umgiebt die ewig jugendliche Natur das zerfallende Menschenwerk mit ihrem<lb/>
Grün. Ausgerissen sind die stillen Gräber der Markgrafen, ihre Gebeine ver¬<lb/>
schleudert, zerschlagen die schweren Grabsteinplatten. Der einsame Besucher<lb/>
hört seine Schritte von den hohen Kreuzgewölben wiederhallen und Wehmuth<lb/>
beschleicht ihn über die Vergänglichkeit menschlicher Größe und die Nichtachtung,<lb/>
mit welcher vergangene Jahrhunderte die Denkmale der Vorzeit behandeln<lb/>
konnten. Mögen dem gegenüber auch diese Zeilen ein Zeichen des besseren,<lb/>
neu erwachten Sinnes sein, in dem wir treu die Väter ehren und mit den<lb/>
großen Gestalten der Vergangenheit innig verwebt werden.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> Alt-Brandenburg.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> Der Ort, von dem wir Märker alle den Namen tragen, dürfte schon um<lb/>
deswegen das Interesse jedes Geschichtsfreundes in Anspruch nehmen; die<lb/>
Stadt Brandenburg aber hat außerdem Schicksale gehabt, die weit über den<lb/>
engen Rahmen einer Stadtgeschichte hinausgehen. Vom 9. bis .12. Jahrhun¬<lb/>
dert hat einer der erbittertsten Völkerkämpfe um diese Stadt getobt. Heinrich<lb/>
der Sachse überschreitet mit einem gewaltigen Heere das Eis der Havel, er¬<lb/>
stürmt die Stadt, vertreibt ihren Fürsten und nimmt seine Erben Tugumir<lb/>
als Geißel mit sich, aber schon nach wenig Jahren zieht der verbannte Fürst<lb/>
siegreich wieder in seine Beste ein. Dann verräth Tugumir den Verwandten<lb/>
und spielt die Stadt in Markgraf Gero's Hände, aber kaum hat dieser den<lb/>
Rücken gewandt, da flattert das Panier der Empörung wieder hoch auf;<lb/>
Gero, vom Ungarnzuge zurückkehrend, muß den Sieg mit dem Verluste des<lb/>
einzigen Sohnes erkaufen. Später wagte Fürst Mistewoi noch einen gewal-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] einer in Deutschlands Gebieten; eine Geistlichkeit, treu und hingebend in ihrem Beruf; ein Bürgerthum, gleich unternehmend und betriebsam, wie das in Ober- Deutschland und an der See. Noch zwanzig kurze Jahre, — da war das hochgesinnte Geschlecht er¬ loschen, abberufen wie ein Mann in der Blüthe der Jahre, der noch Vieles geleistet hätte, ehe sein Sinn stumpf und seine Kraft hinfällig geworden wäre. Wie von der Lieblingsstätte dieser Fürsten, dem Kloster Lehnin, galt's nun von der ganzen Mark: „(Zug.ö te tunäavit Mus, Kg.se es ssmpsr amavit, Hae pereunw xeris." Die Grabstätten der anhaltischen Markgrafen liegen durch die Mark zer¬ streut, — statten wir ihnen einmal einen Besuch ab. Bald führt unser Weg nach einer kleinen Stadt, bald nach einem Kloster, einem schattig kühlen Orte zwischen Wald und See. Der Charakter der märkischen Landschaft ist wohl noch derselbe, wie zu jenen Zeiten, als die Ballenstädter auf den Schultern ihrer treuesten Ministerialen zu ihren Ruhestätten gebracht wurden. Liebevoll umgiebt die ewig jugendliche Natur das zerfallende Menschenwerk mit ihrem Grün. Ausgerissen sind die stillen Gräber der Markgrafen, ihre Gebeine ver¬ schleudert, zerschlagen die schweren Grabsteinplatten. Der einsame Besucher hört seine Schritte von den hohen Kreuzgewölben wiederhallen und Wehmuth beschleicht ihn über die Vergänglichkeit menschlicher Größe und die Nichtachtung, mit welcher vergangene Jahrhunderte die Denkmale der Vorzeit behandeln konnten. Mögen dem gegenüber auch diese Zeilen ein Zeichen des besseren, neu erwachten Sinnes sein, in dem wir treu die Väter ehren und mit den großen Gestalten der Vergangenheit innig verwebt werden. Alt-Brandenburg. Der Ort, von dem wir Märker alle den Namen tragen, dürfte schon um deswegen das Interesse jedes Geschichtsfreundes in Anspruch nehmen; die Stadt Brandenburg aber hat außerdem Schicksale gehabt, die weit über den engen Rahmen einer Stadtgeschichte hinausgehen. Vom 9. bis .12. Jahrhun¬ dert hat einer der erbittertsten Völkerkämpfe um diese Stadt getobt. Heinrich der Sachse überschreitet mit einem gewaltigen Heere das Eis der Havel, er¬ stürmt die Stadt, vertreibt ihren Fürsten und nimmt seine Erben Tugumir als Geißel mit sich, aber schon nach wenig Jahren zieht der verbannte Fürst siegreich wieder in seine Beste ein. Dann verräth Tugumir den Verwandten und spielt die Stadt in Markgraf Gero's Hände, aber kaum hat dieser den Rücken gewandt, da flattert das Panier der Empörung wieder hoch auf; Gero, vom Ungarnzuge zurückkehrend, muß den Sieg mit dem Verluste des einzigen Sohnes erkaufen. Später wagte Fürst Mistewoi noch einen gewal-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/379>, abgerufen am 30.12.2024.