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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Zusammenschluß aller ehrlichen Leute, gleichviel wie ihre politische und reli¬
giöse Sonderstellung früher gewesen sein mag. Sie bindet nicht bloß das
negative Interesse der Vertheidigung gegen den schlimmsten gemeinsamen Feind
des Daseins der deutschen Nation, sondern auch, wie sich freilich in dieser
ersten Phase mehr hoffen als bestimmt aussprechen läßt, das positivste Band,
das es im Bereiche der menschlichen Interessen geben kann, die Gemeinsamkeit
des nationalen Selbstbewußtseins, das in unsern Tagen durch unvergleichliche
geschichtliche Thaten und Evolutionen eine ideale Stärke wie nie zuvor erhalten
hat. In wenigen Jahren wird sich ein großer Abklärungs- und Reinigungs¬
proceß vollzogen haben, als dessen Ergebniß nicht bloß die äußere Vertreibung
der Jesuiten vom deutschen Boden, sondern die Säuberung des deutschen
Volksgeistes in seinen allein dieses Namens werthen Bestandtheilen von der
Infection dieses ekeln Giftstoffes sein muß, wenn die deutsche Nation noch eine
Zukunft haben soll.


H. Rückert.


Unter der Kriegsdictatur Hambettas.

Wir kommen heute auf das neulich erwähnte Buch Karl von Freycinets
über den "Krieg in den Provinzen während der Belagerung von Paris
1870--1871" zurück.

Kaum wird die Geschichte dem Advocaten Gambetta den Vorwurf ersparen
können, daß er nach der republikanischen Tyrannis gestrebt, und die Fortsetzung des
Krieges nach Sedan hauptsächlich mitverschuldet habe. Den Bergwerksingenieur
Karl von Freycinet dagegen traf der Ruf zum Posten des Delegirten des
Kriegsministers ganz unvorbereitet. Er ist dem Rufe gefolgt, weil er glaubte,
in der schwersten Noth seines Landes diesem seine Dienste so leisten zu müssen,
wie sie von ihm erfordert wurden. Er hat die ungeheure Verantwortlichkeit
seiner Stellung, die für seine Vorbildung riesenhafte Aufgabe, welche seiner
wartete, von Anfang an klar begriffen. Das ehrt um so mehr seine patrio¬
tische Pflichterfüllung. Und auch dasjenige, was unter seinen und Gambettas
Händen seit dem ersten Drittel October 1870 bis Ende Januar 1871 geleistet
worden ist, gewinnt vergleichsweise eminent an Bedeutung, wenn man erwägt,
daß diese ganze, für Frankreich allerschwerste Zeit hindurch die Geschäfte des
französischen Kriegsministeriums von ganz improvisirten Ressortchefs vollzogen
worden sind. Selbst absolut, an und für sich betrachtet, ist diesen Leistungen
von competentester Seite, z. B. Seiten des Berliner "Militär-Wochenblattes"


Zusammenschluß aller ehrlichen Leute, gleichviel wie ihre politische und reli¬
giöse Sonderstellung früher gewesen sein mag. Sie bindet nicht bloß das
negative Interesse der Vertheidigung gegen den schlimmsten gemeinsamen Feind
des Daseins der deutschen Nation, sondern auch, wie sich freilich in dieser
ersten Phase mehr hoffen als bestimmt aussprechen läßt, das positivste Band,
das es im Bereiche der menschlichen Interessen geben kann, die Gemeinsamkeit
des nationalen Selbstbewußtseins, das in unsern Tagen durch unvergleichliche
geschichtliche Thaten und Evolutionen eine ideale Stärke wie nie zuvor erhalten
hat. In wenigen Jahren wird sich ein großer Abklärungs- und Reinigungs¬
proceß vollzogen haben, als dessen Ergebniß nicht bloß die äußere Vertreibung
der Jesuiten vom deutschen Boden, sondern die Säuberung des deutschen
Volksgeistes in seinen allein dieses Namens werthen Bestandtheilen von der
Infection dieses ekeln Giftstoffes sein muß, wenn die deutsche Nation noch eine
Zukunft haben soll.


H. Rückert.


Unter der Kriegsdictatur Hambettas.

Wir kommen heute auf das neulich erwähnte Buch Karl von Freycinets
über den „Krieg in den Provinzen während der Belagerung von Paris
1870—1871" zurück.

Kaum wird die Geschichte dem Advocaten Gambetta den Vorwurf ersparen
können, daß er nach der republikanischen Tyrannis gestrebt, und die Fortsetzung des
Krieges nach Sedan hauptsächlich mitverschuldet habe. Den Bergwerksingenieur
Karl von Freycinet dagegen traf der Ruf zum Posten des Delegirten des
Kriegsministers ganz unvorbereitet. Er ist dem Rufe gefolgt, weil er glaubte,
in der schwersten Noth seines Landes diesem seine Dienste so leisten zu müssen,
wie sie von ihm erfordert wurden. Er hat die ungeheure Verantwortlichkeit
seiner Stellung, die für seine Vorbildung riesenhafte Aufgabe, welche seiner
wartete, von Anfang an klar begriffen. Das ehrt um so mehr seine patrio¬
tische Pflichterfüllung. Und auch dasjenige, was unter seinen und Gambettas
Händen seit dem ersten Drittel October 1870 bis Ende Januar 1871 geleistet
worden ist, gewinnt vergleichsweise eminent an Bedeutung, wenn man erwägt,
daß diese ganze, für Frankreich allerschwerste Zeit hindurch die Geschäfte des
französischen Kriegsministeriums von ganz improvisirten Ressortchefs vollzogen
worden sind. Selbst absolut, an und für sich betrachtet, ist diesen Leistungen
von competentester Seite, z. B. Seiten des Berliner „Militär-Wochenblattes"


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[0290] Zusammenschluß aller ehrlichen Leute, gleichviel wie ihre politische und reli¬ giöse Sonderstellung früher gewesen sein mag. Sie bindet nicht bloß das negative Interesse der Vertheidigung gegen den schlimmsten gemeinsamen Feind des Daseins der deutschen Nation, sondern auch, wie sich freilich in dieser ersten Phase mehr hoffen als bestimmt aussprechen läßt, das positivste Band, das es im Bereiche der menschlichen Interessen geben kann, die Gemeinsamkeit des nationalen Selbstbewußtseins, das in unsern Tagen durch unvergleichliche geschichtliche Thaten und Evolutionen eine ideale Stärke wie nie zuvor erhalten hat. In wenigen Jahren wird sich ein großer Abklärungs- und Reinigungs¬ proceß vollzogen haben, als dessen Ergebniß nicht bloß die äußere Vertreibung der Jesuiten vom deutschen Boden, sondern die Säuberung des deutschen Volksgeistes in seinen allein dieses Namens werthen Bestandtheilen von der Infection dieses ekeln Giftstoffes sein muß, wenn die deutsche Nation noch eine Zukunft haben soll. H. Rückert. Unter der Kriegsdictatur Hambettas. Wir kommen heute auf das neulich erwähnte Buch Karl von Freycinets über den „Krieg in den Provinzen während der Belagerung von Paris 1870—1871" zurück. Kaum wird die Geschichte dem Advocaten Gambetta den Vorwurf ersparen können, daß er nach der republikanischen Tyrannis gestrebt, und die Fortsetzung des Krieges nach Sedan hauptsächlich mitverschuldet habe. Den Bergwerksingenieur Karl von Freycinet dagegen traf der Ruf zum Posten des Delegirten des Kriegsministers ganz unvorbereitet. Er ist dem Rufe gefolgt, weil er glaubte, in der schwersten Noth seines Landes diesem seine Dienste so leisten zu müssen, wie sie von ihm erfordert wurden. Er hat die ungeheure Verantwortlichkeit seiner Stellung, die für seine Vorbildung riesenhafte Aufgabe, welche seiner wartete, von Anfang an klar begriffen. Das ehrt um so mehr seine patrio¬ tische Pflichterfüllung. Und auch dasjenige, was unter seinen und Gambettas Händen seit dem ersten Drittel October 1870 bis Ende Januar 1871 geleistet worden ist, gewinnt vergleichsweise eminent an Bedeutung, wenn man erwägt, daß diese ganze, für Frankreich allerschwerste Zeit hindurch die Geschäfte des französischen Kriegsministeriums von ganz improvisirten Ressortchefs vollzogen worden sind. Selbst absolut, an und für sich betrachtet, ist diesen Leistungen von competentester Seite, z. B. Seiten des Berliner „Militär-Wochenblattes"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/290>, abgerufen am 30.12.2024.