Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Jerner "Zatricierin des siebzehnten Jahrhunderts
von
A. Wysard. I.

An einem Sommermorgen des Jahres 1663, als die Sonne noch ver¬
stohlen über die Höhen des Murtner Sees lugte, und die kleine Stadt noch
ruhig schlummerte am Busen ihres lieblichen Sees, bewegte sich eine muntere
Cavalcade aus dem Stadtthor: zwei Damen begleitet von zwei Herren. Bei
dem nahen Wäldchen hielten sie an. Die Herren sprangen von ihren Pferden,
und luden, beiseite gewendet, zwei doppelläufige Pistolen. Mit anmuthiger
Ernsthaftigkeit nahmen die Damen sie in die Rechte und begaben sich zu Pferde
auf die ihnen angewiesenen Plätze. Dreimal ritten sie im Kreise herum, um
im günstigen Moment auf einander zu feuern. Doch kein Schuß siel. Ob
die Weiblichkeit wieder die Oberhand gewonnen, ob ihnen das Ziel nicht sicher
schien, -- wagen wir nicht zu entscheiden. Endlich standen sie Aug an Aug
sich gegenüber. Da fielen vier Schüsse. Eine Jede zitterte für das Leben der
andern. Aber als der Pulverdampf sich verzogen hatte, saßen beide noch auf¬
recht zu Pferde wie zuvor, nur etwas verbrannt am Haarschmuck. Die Herren
eilten lachend herbei: sie hatten beim Laden die Kugeln vergessen. Da zogen
die Damen den Degen und wollten nun mit der blanken Klinge auf einander
los. Nur mit größter Anstrengung vermittelten die Herren einen Waffenstill¬
stand. Aber dann gings im Galopp, wenn auch noch etwas schmollend wieder
dem Städtchen zu, und in der Wohnung des damaligen Landvogts von
Murten*), des Herrn von Diesbach, Herrn von Liebistorf und Champvent, wurde
bei einem fröhlichen äeMner unter der Vermittlung der Herzogin von Crequi
der Friede zwischen Frankreich und Bern endgültig geschlossen. Die zwei
Duellantinnen waren nämlich eine junge Französin und eine noch jüngere
Bernerin: Jene, die Ehrendame der genannten Herzogin, die auf ihrer Rück¬
reise von Rom nach Paris in Murten Halt gemacht und die Gastfreundschaft
des Herrn Landvogts angenommen hatte. Die Bernerin hieß Katharina
Franziska von Wattenwyl. Sie war das jüngste der elf Kinder des
Herrn Gabriel von Wattenwyl, Landvogts von Bonmont (1641--47) und Oron



D. Red. Etwa unsere heutigen Regierungspräsidenten.
Grenzboten III. 1872.16
Line Jerner "Zatricierin des siebzehnten Jahrhunderts
von
A. Wysard. I.

An einem Sommermorgen des Jahres 1663, als die Sonne noch ver¬
stohlen über die Höhen des Murtner Sees lugte, und die kleine Stadt noch
ruhig schlummerte am Busen ihres lieblichen Sees, bewegte sich eine muntere
Cavalcade aus dem Stadtthor: zwei Damen begleitet von zwei Herren. Bei
dem nahen Wäldchen hielten sie an. Die Herren sprangen von ihren Pferden,
und luden, beiseite gewendet, zwei doppelläufige Pistolen. Mit anmuthiger
Ernsthaftigkeit nahmen die Damen sie in die Rechte und begaben sich zu Pferde
auf die ihnen angewiesenen Plätze. Dreimal ritten sie im Kreise herum, um
im günstigen Moment auf einander zu feuern. Doch kein Schuß siel. Ob
die Weiblichkeit wieder die Oberhand gewonnen, ob ihnen das Ziel nicht sicher
schien, — wagen wir nicht zu entscheiden. Endlich standen sie Aug an Aug
sich gegenüber. Da fielen vier Schüsse. Eine Jede zitterte für das Leben der
andern. Aber als der Pulverdampf sich verzogen hatte, saßen beide noch auf¬
recht zu Pferde wie zuvor, nur etwas verbrannt am Haarschmuck. Die Herren
eilten lachend herbei: sie hatten beim Laden die Kugeln vergessen. Da zogen
die Damen den Degen und wollten nun mit der blanken Klinge auf einander
los. Nur mit größter Anstrengung vermittelten die Herren einen Waffenstill¬
stand. Aber dann gings im Galopp, wenn auch noch etwas schmollend wieder
dem Städtchen zu, und in der Wohnung des damaligen Landvogts von
Murten*), des Herrn von Diesbach, Herrn von Liebistorf und Champvent, wurde
bei einem fröhlichen äeMner unter der Vermittlung der Herzogin von Crequi
der Friede zwischen Frankreich und Bern endgültig geschlossen. Die zwei
Duellantinnen waren nämlich eine junge Französin und eine noch jüngere
Bernerin: Jene, die Ehrendame der genannten Herzogin, die auf ihrer Rück¬
reise von Rom nach Paris in Murten Halt gemacht und die Gastfreundschaft
des Herrn Landvogts angenommen hatte. Die Bernerin hieß Katharina
Franziska von Wattenwyl. Sie war das jüngste der elf Kinder des
Herrn Gabriel von Wattenwyl, Landvogts von Bonmont (1641—47) und Oron



D. Red. Etwa unsere heutigen Regierungspräsidenten.
Grenzboten III. 1872.16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128057"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Line Jerner "Zatricierin des siebzehnten Jahrhunderts<lb/><note type="byline"> von<lb/>
A. Wysard.</note> I.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_374" next="#ID_375"> An einem Sommermorgen des Jahres 1663, als die Sonne noch ver¬<lb/>
stohlen über die Höhen des Murtner Sees lugte, und die kleine Stadt noch<lb/>
ruhig schlummerte am Busen ihres lieblichen Sees, bewegte sich eine muntere<lb/>
Cavalcade aus dem Stadtthor: zwei Damen begleitet von zwei Herren. Bei<lb/>
dem nahen Wäldchen hielten sie an. Die Herren sprangen von ihren Pferden,<lb/>
und luden, beiseite gewendet, zwei doppelläufige Pistolen. Mit anmuthiger<lb/>
Ernsthaftigkeit nahmen die Damen sie in die Rechte und begaben sich zu Pferde<lb/>
auf die ihnen angewiesenen Plätze. Dreimal ritten sie im Kreise herum, um<lb/>
im günstigen Moment auf einander zu feuern. Doch kein Schuß siel. Ob<lb/>
die Weiblichkeit wieder die Oberhand gewonnen, ob ihnen das Ziel nicht sicher<lb/>
schien, &#x2014; wagen wir nicht zu entscheiden. Endlich standen sie Aug an Aug<lb/>
sich gegenüber. Da fielen vier Schüsse. Eine Jede zitterte für das Leben der<lb/>
andern. Aber als der Pulverdampf sich verzogen hatte, saßen beide noch auf¬<lb/>
recht zu Pferde wie zuvor, nur etwas verbrannt am Haarschmuck. Die Herren<lb/>
eilten lachend herbei: sie hatten beim Laden die Kugeln vergessen. Da zogen<lb/>
die Damen den Degen und wollten nun mit der blanken Klinge auf einander<lb/>
los. Nur mit größter Anstrengung vermittelten die Herren einen Waffenstill¬<lb/>
stand. Aber dann gings im Galopp, wenn auch noch etwas schmollend wieder<lb/>
dem Städtchen zu, und in der Wohnung des damaligen Landvogts von<lb/>
Murten*), des Herrn von Diesbach, Herrn von Liebistorf und Champvent, wurde<lb/>
bei einem fröhlichen äeMner unter der Vermittlung der Herzogin von Crequi<lb/>
der Friede zwischen Frankreich und Bern endgültig geschlossen. Die zwei<lb/>
Duellantinnen waren nämlich eine junge Französin und eine noch jüngere<lb/>
Bernerin: Jene, die Ehrendame der genannten Herzogin, die auf ihrer Rück¬<lb/>
reise von Rom nach Paris in Murten Halt gemacht und die Gastfreundschaft<lb/>
des Herrn Landvogts angenommen hatte. Die Bernerin hieß Katharina<lb/>
Franziska von Wattenwyl. Sie war das jüngste der elf Kinder des<lb/>
Herrn Gabriel von Wattenwyl, Landvogts von Bonmont (1641&#x2014;47) und Oron</p><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"><note type="byline"> D. Red.</note> Etwa unsere heutigen Regierungspräsidenten.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1872.16</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Line Jerner "Zatricierin des siebzehnten Jahrhunderts von A. Wysard. I. An einem Sommermorgen des Jahres 1663, als die Sonne noch ver¬ stohlen über die Höhen des Murtner Sees lugte, und die kleine Stadt noch ruhig schlummerte am Busen ihres lieblichen Sees, bewegte sich eine muntere Cavalcade aus dem Stadtthor: zwei Damen begleitet von zwei Herren. Bei dem nahen Wäldchen hielten sie an. Die Herren sprangen von ihren Pferden, und luden, beiseite gewendet, zwei doppelläufige Pistolen. Mit anmuthiger Ernsthaftigkeit nahmen die Damen sie in die Rechte und begaben sich zu Pferde auf die ihnen angewiesenen Plätze. Dreimal ritten sie im Kreise herum, um im günstigen Moment auf einander zu feuern. Doch kein Schuß siel. Ob die Weiblichkeit wieder die Oberhand gewonnen, ob ihnen das Ziel nicht sicher schien, — wagen wir nicht zu entscheiden. Endlich standen sie Aug an Aug sich gegenüber. Da fielen vier Schüsse. Eine Jede zitterte für das Leben der andern. Aber als der Pulverdampf sich verzogen hatte, saßen beide noch auf¬ recht zu Pferde wie zuvor, nur etwas verbrannt am Haarschmuck. Die Herren eilten lachend herbei: sie hatten beim Laden die Kugeln vergessen. Da zogen die Damen den Degen und wollten nun mit der blanken Klinge auf einander los. Nur mit größter Anstrengung vermittelten die Herren einen Waffenstill¬ stand. Aber dann gings im Galopp, wenn auch noch etwas schmollend wieder dem Städtchen zu, und in der Wohnung des damaligen Landvogts von Murten*), des Herrn von Diesbach, Herrn von Liebistorf und Champvent, wurde bei einem fröhlichen äeMner unter der Vermittlung der Herzogin von Crequi der Friede zwischen Frankreich und Bern endgültig geschlossen. Die zwei Duellantinnen waren nämlich eine junge Französin und eine noch jüngere Bernerin: Jene, die Ehrendame der genannten Herzogin, die auf ihrer Rück¬ reise von Rom nach Paris in Murten Halt gemacht und die Gastfreundschaft des Herrn Landvogts angenommen hatte. Die Bernerin hieß Katharina Franziska von Wattenwyl. Sie war das jüngste der elf Kinder des Herrn Gabriel von Wattenwyl, Landvogts von Bonmont (1641—47) und Oron D. Red. Etwa unsere heutigen Regierungspräsidenten. Grenzboten III. 1872.16

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/129>, abgerufen am 21.12.2024.