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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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stehen gern zu. daß uns eine beißendere Satire auf den dramaturgischen Ver-
stand unsrer deutschen Theaterdirectoren als diese Zumuthung selten vorge¬
kommen ist. --

Möge Hamerling seine tüchtige Dichterbegabung auf dem Gebiete der
Lyrik und des Epos concentriren! Für die politische Comödie fehlt ihm nicht
O. Bl' weniger als Alles.




Der echte Verfasser der Abenteuer des Ireiherrn
von WünchHausen.

Wie oftmals schon die Benützung eines fremden Stoffes oder Gedankens
unter der Hand des echten Dichters unvergängliche Größe gewonnen und
das Original weit zurückgedrängt har, so ist es in einer Hinsicht auch dem
biedern alten Lügenfreiherrn von Münchhausen durch den glänzenderen Namens¬
vetter ergangen, den Karl Immermann's Feder geschaffen hat. Der alte
brave Waidmann. Krieger und Seefahrer Münchhausen muß sich damit be¬
gnügen, im Munde des gemeinen Mannes fortzuleben; hier ist seinen treu¬
herzig und mit nie bezweifelter Wahrheitsliebe erzählten Lebensschicksalen
dauerndes heiteres Gehör sicher. Und auch der Journalist, ja sogar der par¬
lamentarische Mann verschmäht dann und wann, namentlich in polemischen
Momenten seines Daseins nicht, sich an eines der Abenteuer des edlen Frei¬
herrn zu erinnern, um einen passenden Vergleich für die harmlose Wahrheits¬
liebe oder einfachste Bewältigung von Verlegenheiten gegnerischer Seelen dem
Leser oder Hörer vor Augen zu führen. Diesem Bedarf fürs Haus gegenüber
hat sich der Münchhausen Immermann's, seiner aristokratischen Natur gemäß,
seitdem er der Welt bekannt ist, in den höheren Schichten des deutschen Pub-
licums und wohl der menschlichen Gesellschaft überhaupt einen durchaus vor¬
nehmen Rang, einen immer dichter anwachsenden Kreis von Bewunderern zu
verschaffen gewußt.

Dagegen hat der ältere Namensvetter auch das mit den Lieblingsgestalten
des Volkes gemein, daß dem großen Haufen längst das Individuum Münch¬
hausen zum Begriff geworden ist, und zwar zum Gattungsbegriff für eine Unzahl
solcher Forst-, Feld- und Seeabenteuer, die an dreistanbiedernder Wahrheits¬
versicherung ganz oder doch beinahe auf der Stufe der echten Erzählungen
des echten Freiherrn von Münchhausen stehen. Und nicht minder hat sich die
Erinnerung an den ersten Verfasser, der die echten Münchhausiaden zu Papier
brachte, völlig verflüchtigt, und zwar in einem Maaße, daß selbst literarische
Zeitschriften, wie die "Deutschen Blätter" in einem der ersten Hefte dieses
Jahres, trotz umfassender und unwidersprechlicher Forschungen auf diesem Ge¬
biete, längst widerlegte Irrthümer von neuem mit dem epidemischen Glauben
an die eigene Unfehlbarkeit vortragen.

Nach den Ergebnissen, welche A. Ellissen, der auch als vormaliges
Mitglied des Reichstags bekannte nationale Hannoveraner, schon im Jahre
1849 und dann wieder im Jahre 1869*) dem deutschen Publicum über diese
Frage vorgetragen hat, kann es aber einen Zweifel über die leibhaftige Per-



') Als "Vorbemerkung" zu der zehnten Ausgabe von "des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande", Göttingen, Dietench'sche Buch¬
handlung 1869.

stehen gern zu. daß uns eine beißendere Satire auf den dramaturgischen Ver-
stand unsrer deutschen Theaterdirectoren als diese Zumuthung selten vorge¬
kommen ist. —

Möge Hamerling seine tüchtige Dichterbegabung auf dem Gebiete der
Lyrik und des Epos concentriren! Für die politische Comödie fehlt ihm nicht
O. Bl' weniger als Alles.




Der echte Verfasser der Abenteuer des Ireiherrn
von WünchHausen.

Wie oftmals schon die Benützung eines fremden Stoffes oder Gedankens
unter der Hand des echten Dichters unvergängliche Größe gewonnen und
das Original weit zurückgedrängt har, so ist es in einer Hinsicht auch dem
biedern alten Lügenfreiherrn von Münchhausen durch den glänzenderen Namens¬
vetter ergangen, den Karl Immermann's Feder geschaffen hat. Der alte
brave Waidmann. Krieger und Seefahrer Münchhausen muß sich damit be¬
gnügen, im Munde des gemeinen Mannes fortzuleben; hier ist seinen treu¬
herzig und mit nie bezweifelter Wahrheitsliebe erzählten Lebensschicksalen
dauerndes heiteres Gehör sicher. Und auch der Journalist, ja sogar der par¬
lamentarische Mann verschmäht dann und wann, namentlich in polemischen
Momenten seines Daseins nicht, sich an eines der Abenteuer des edlen Frei¬
herrn zu erinnern, um einen passenden Vergleich für die harmlose Wahrheits¬
liebe oder einfachste Bewältigung von Verlegenheiten gegnerischer Seelen dem
Leser oder Hörer vor Augen zu führen. Diesem Bedarf fürs Haus gegenüber
hat sich der Münchhausen Immermann's, seiner aristokratischen Natur gemäß,
seitdem er der Welt bekannt ist, in den höheren Schichten des deutschen Pub-
licums und wohl der menschlichen Gesellschaft überhaupt einen durchaus vor¬
nehmen Rang, einen immer dichter anwachsenden Kreis von Bewunderern zu
verschaffen gewußt.

Dagegen hat der ältere Namensvetter auch das mit den Lieblingsgestalten
des Volkes gemein, daß dem großen Haufen längst das Individuum Münch¬
hausen zum Begriff geworden ist, und zwar zum Gattungsbegriff für eine Unzahl
solcher Forst-, Feld- und Seeabenteuer, die an dreistanbiedernder Wahrheits¬
versicherung ganz oder doch beinahe auf der Stufe der echten Erzählungen
des echten Freiherrn von Münchhausen stehen. Und nicht minder hat sich die
Erinnerung an den ersten Verfasser, der die echten Münchhausiaden zu Papier
brachte, völlig verflüchtigt, und zwar in einem Maaße, daß selbst literarische
Zeitschriften, wie die „Deutschen Blätter" in einem der ersten Hefte dieses
Jahres, trotz umfassender und unwidersprechlicher Forschungen auf diesem Ge¬
biete, längst widerlegte Irrthümer von neuem mit dem epidemischen Glauben
an die eigene Unfehlbarkeit vortragen.

Nach den Ergebnissen, welche A. Ellissen, der auch als vormaliges
Mitglied des Reichstags bekannte nationale Hannoveraner, schon im Jahre
1849 und dann wieder im Jahre 1869*) dem deutschen Publicum über diese
Frage vorgetragen hat, kann es aber einen Zweifel über die leibhaftige Per-



') Als „Vorbemerkung" zu der zehnten Ausgabe von „des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande", Göttingen, Dietench'sche Buch¬
handlung 1869.
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[0123] stehen gern zu. daß uns eine beißendere Satire auf den dramaturgischen Ver- stand unsrer deutschen Theaterdirectoren als diese Zumuthung selten vorge¬ kommen ist. — Möge Hamerling seine tüchtige Dichterbegabung auf dem Gebiete der Lyrik und des Epos concentriren! Für die politische Comödie fehlt ihm nicht O. Bl' weniger als Alles. Der echte Verfasser der Abenteuer des Ireiherrn von WünchHausen. Wie oftmals schon die Benützung eines fremden Stoffes oder Gedankens unter der Hand des echten Dichters unvergängliche Größe gewonnen und das Original weit zurückgedrängt har, so ist es in einer Hinsicht auch dem biedern alten Lügenfreiherrn von Münchhausen durch den glänzenderen Namens¬ vetter ergangen, den Karl Immermann's Feder geschaffen hat. Der alte brave Waidmann. Krieger und Seefahrer Münchhausen muß sich damit be¬ gnügen, im Munde des gemeinen Mannes fortzuleben; hier ist seinen treu¬ herzig und mit nie bezweifelter Wahrheitsliebe erzählten Lebensschicksalen dauerndes heiteres Gehör sicher. Und auch der Journalist, ja sogar der par¬ lamentarische Mann verschmäht dann und wann, namentlich in polemischen Momenten seines Daseins nicht, sich an eines der Abenteuer des edlen Frei¬ herrn zu erinnern, um einen passenden Vergleich für die harmlose Wahrheits¬ liebe oder einfachste Bewältigung von Verlegenheiten gegnerischer Seelen dem Leser oder Hörer vor Augen zu führen. Diesem Bedarf fürs Haus gegenüber hat sich der Münchhausen Immermann's, seiner aristokratischen Natur gemäß, seitdem er der Welt bekannt ist, in den höheren Schichten des deutschen Pub- licums und wohl der menschlichen Gesellschaft überhaupt einen durchaus vor¬ nehmen Rang, einen immer dichter anwachsenden Kreis von Bewunderern zu verschaffen gewußt. Dagegen hat der ältere Namensvetter auch das mit den Lieblingsgestalten des Volkes gemein, daß dem großen Haufen längst das Individuum Münch¬ hausen zum Begriff geworden ist, und zwar zum Gattungsbegriff für eine Unzahl solcher Forst-, Feld- und Seeabenteuer, die an dreistanbiedernder Wahrheits¬ versicherung ganz oder doch beinahe auf der Stufe der echten Erzählungen des echten Freiherrn von Münchhausen stehen. Und nicht minder hat sich die Erinnerung an den ersten Verfasser, der die echten Münchhausiaden zu Papier brachte, völlig verflüchtigt, und zwar in einem Maaße, daß selbst literarische Zeitschriften, wie die „Deutschen Blätter" in einem der ersten Hefte dieses Jahres, trotz umfassender und unwidersprechlicher Forschungen auf diesem Ge¬ biete, längst widerlegte Irrthümer von neuem mit dem epidemischen Glauben an die eigene Unfehlbarkeit vortragen. Nach den Ergebnissen, welche A. Ellissen, der auch als vormaliges Mitglied des Reichstags bekannte nationale Hannoveraner, schon im Jahre 1849 und dann wieder im Jahre 1869*) dem deutschen Publicum über diese Frage vorgetragen hat, kann es aber einen Zweifel über die leibhaftige Per- ') Als „Vorbemerkung" zu der zehnten Ausgabe von „des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande", Göttingen, Dietench'sche Buch¬ handlung 1869.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/123>, abgerufen am 30.12.2024.