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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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kommen. Als es sich dann einige Zeit später im Nationalrathe um die Aus¬
gleichung der Differenzpunkte zwischen diesem und dem Ständerathe handelte,
beharrte derselbe, diesmal zwar nicht wieder vermittelst Präsidialentscheides,
aber doch mit geringer Mehrheit auf seinem früheren Beschlusse. Ob nun
Angesichts der letzteren und überhaupt der durch alle diese Verhandlungen sich
hinziehenden Unsicherheit über die praktischen Factoren der Ständerath sich
veranlaßt sehen wird nachzugeben, bleibt fast mehr als fraglich, und wir.ge¬
stehen, daß wir darin kein Unglück zu erblicken vermöchten.


Lin verschollener Liedersänger.

Viele unsrer deutschen Liedersänger sind der Gegenwart kaum mehr zugänglich.
Die Lieder von Reichard, Zelter, Berger und Schneider finden sich nur noch
in wenigen Bibliotheken, die von Spohr und Hauptmann vielleicht nur in den
Händen einzelner spezieller Verehrer derselben. Erst seit kurzer Zeit sind uns
die Lieder Beethovens und Webers, wie diejenigen Schuberts in ihrer Ge¬
sammtheit näher gerückt. Zu ihnen gesellt sich nun in den jüngsten Tagen
einer der talentvollsten und glücklichsten Liedercomponisten ihres Kreises, ein
für uns fast vergessener und verschollener Name: Carl Friedrich Cursch-
mann, dessen sämmtliche Lieder und Gesänge in schönster Ausstattung und
zu sehr billigem Preise kürzlich die Schlesinger'sche Verlagshandlung in Ber¬
lin neu edirt hat. Diese Publication, für die genannte Firma ehrenvoll, wie
die der Weber'schen Liederbände, heißen wir dankbar und freudig willkommen
und unseren Gesinnungen schließen sich gewiß bald alle Freunde eines ächten
und schönen Liedergesanges an, sobald die neue Ausgabe nur erst allgemein
bekannt geworden sein wird.

C. Fr. Curschmann, einer der mit Recht beliebtesten und gefeiertsten
Liedercomponisten seiner Zeit, wurde, der Sohn eines wohlhabenden Wein¬
händlers, in Berlin am 21. Juni 1805 geboren. Schon in seiner Jugend be¬
thätigte er eine glückliche Begabung für Gesang, und seine schöne, sorgfältig
geschulte Sopranstimme glänzte bei allen öffentlichen Schulfeierlichkeiten und
Kirchen-Concerten, wo er bald große Solopartien mit Erfolg übernehmen
konnte; namentlich rühmte man seinen Vortrag der großen und schwierigen
Bravourarie: "singt dem göttlichen Propheten" in Grauns berührter Pas-
sionscantate: "Der Tod Jesu."

Nicht wie andere im Knabenalter glänzend begabte und vielangestrengte
Sopranisten verlor er später seine Stimme; diese bildete sich vielmehr in einen


kommen. Als es sich dann einige Zeit später im Nationalrathe um die Aus¬
gleichung der Differenzpunkte zwischen diesem und dem Ständerathe handelte,
beharrte derselbe, diesmal zwar nicht wieder vermittelst Präsidialentscheides,
aber doch mit geringer Mehrheit auf seinem früheren Beschlusse. Ob nun
Angesichts der letzteren und überhaupt der durch alle diese Verhandlungen sich
hinziehenden Unsicherheit über die praktischen Factoren der Ständerath sich
veranlaßt sehen wird nachzugeben, bleibt fast mehr als fraglich, und wir.ge¬
stehen, daß wir darin kein Unglück zu erblicken vermöchten.


Lin verschollener Liedersänger.

Viele unsrer deutschen Liedersänger sind der Gegenwart kaum mehr zugänglich.
Die Lieder von Reichard, Zelter, Berger und Schneider finden sich nur noch
in wenigen Bibliotheken, die von Spohr und Hauptmann vielleicht nur in den
Händen einzelner spezieller Verehrer derselben. Erst seit kurzer Zeit sind uns
die Lieder Beethovens und Webers, wie diejenigen Schuberts in ihrer Ge¬
sammtheit näher gerückt. Zu ihnen gesellt sich nun in den jüngsten Tagen
einer der talentvollsten und glücklichsten Liedercomponisten ihres Kreises, ein
für uns fast vergessener und verschollener Name: Carl Friedrich Cursch-
mann, dessen sämmtliche Lieder und Gesänge in schönster Ausstattung und
zu sehr billigem Preise kürzlich die Schlesinger'sche Verlagshandlung in Ber¬
lin neu edirt hat. Diese Publication, für die genannte Firma ehrenvoll, wie
die der Weber'schen Liederbände, heißen wir dankbar und freudig willkommen
und unseren Gesinnungen schließen sich gewiß bald alle Freunde eines ächten
und schönen Liedergesanges an, sobald die neue Ausgabe nur erst allgemein
bekannt geworden sein wird.

C. Fr. Curschmann, einer der mit Recht beliebtesten und gefeiertsten
Liedercomponisten seiner Zeit, wurde, der Sohn eines wohlhabenden Wein¬
händlers, in Berlin am 21. Juni 1805 geboren. Schon in seiner Jugend be¬
thätigte er eine glückliche Begabung für Gesang, und seine schöne, sorgfältig
geschulte Sopranstimme glänzte bei allen öffentlichen Schulfeierlichkeiten und
Kirchen-Concerten, wo er bald große Solopartien mit Erfolg übernehmen
konnte; namentlich rühmte man seinen Vortrag der großen und schwierigen
Bravourarie: „singt dem göttlichen Propheten" in Grauns berührter Pas-
sionscantate: „Der Tod Jesu."

Nicht wie andere im Knabenalter glänzend begabte und vielangestrengte
Sopranisten verlor er später seine Stimme; diese bildete sich vielmehr in einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/77>, abgerufen am 22.07.2024.