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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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der Freytag'sche mit geringer Majorität abgelehnt wurde. Die nationale
Partei, in deren Wünschen es ja von Anfang an liegen mußte, die gesonderte
diplomatische Vertretung Bayerns zu beschränken, erkannte richtig, daß hier
der wenigst schickliche Augenblick sei, um den gesetzlich und vertragsmäßig ge¬
schaffenen Status zu ändern; wichtiger als eine politische Errungenschaft,
wenn man es überhaupt so nennen will, war hier der politische Tact, und
die durch denselben zu erreichende moralische Errungenschaft. So stimmte sie
gegen die particularische Monstrosität, die ein Reservatrecht aus "finanziellen"
Gründen beseitigen wollte.

In den allernächsten Tagen beginnt die Debatte über das Cultusbudget,
das bekanntlich vom Ausschusse mit großer Liberalität behandelt wurde, in¬
dem die sämmtlichen Forderungen der Regierung, ja sogar noch mehr als
diese gefordert hatte, bewilligt wurde. Freilich bleibt es noch die Frage, wie
weit die Versammlung selbst sich diesen Beschlüssen anschließt, aber das
Präjudiz ist jedenfalls im höchsten Grade glücklich und anerkennenswerth.
Ein Urtheil über diesen Etat zu fällen, geziemt sich indessen nicht, ehe derselbe
definitiv festgestellt ist; das Gleiche gilt für die Spezialisirung des Militär¬
budgets, dessen Rahmen zwar durch das Reichsrecht bestimmt ist, während die
Ausfüllung desselben der Landesvertretung obliegt. Unter den Anträgen,
welche die Kammer beschäftigen, ist einer der interessantesten der, wiefern den
Staatsbeamten die Betheilung an industriellen Privatunternehmungen gestattet
werden solle. Wenn wir uns hier von einer eingehenderen Besprechung
desselben fern halten, so geschieht es nicht minder deshalb, weil die Entschei¬
dung über diese principielle Frage noch keineswegs feststeht, indem die Reichs¬
rathskammer 'vor wenigen Tagen die Ansicht der zweiten Kammer gänzlich
modificirte. Binnen kurzer Frist werden alle diese Fragen aus dem Stadium,
in dem sie sich heute befinden, erlöst werden und wir behalten uns das Wort
über dieselben für die Betrachtung vor, zu der der ersehnte Schluß des Land¬
L. tags Anlaß giebt. >




Jon deutschen Keichstag.

Die vergangene Reichstagswoche hat eine Anzahl erster Lesungen gebracht,
in denen lediglich über die weitere formelle Behandlung der Vorlagen ent¬
schieden wurde.

Als am 15. April die Consularconvention mit den Vereinigten Staaten


der Freytag'sche mit geringer Majorität abgelehnt wurde. Die nationale
Partei, in deren Wünschen es ja von Anfang an liegen mußte, die gesonderte
diplomatische Vertretung Bayerns zu beschränken, erkannte richtig, daß hier
der wenigst schickliche Augenblick sei, um den gesetzlich und vertragsmäßig ge¬
schaffenen Status zu ändern; wichtiger als eine politische Errungenschaft,
wenn man es überhaupt so nennen will, war hier der politische Tact, und
die durch denselben zu erreichende moralische Errungenschaft. So stimmte sie
gegen die particularische Monstrosität, die ein Reservatrecht aus „finanziellen"
Gründen beseitigen wollte.

In den allernächsten Tagen beginnt die Debatte über das Cultusbudget,
das bekanntlich vom Ausschusse mit großer Liberalität behandelt wurde, in¬
dem die sämmtlichen Forderungen der Regierung, ja sogar noch mehr als
diese gefordert hatte, bewilligt wurde. Freilich bleibt es noch die Frage, wie
weit die Versammlung selbst sich diesen Beschlüssen anschließt, aber das
Präjudiz ist jedenfalls im höchsten Grade glücklich und anerkennenswerth.
Ein Urtheil über diesen Etat zu fällen, geziemt sich indessen nicht, ehe derselbe
definitiv festgestellt ist; das Gleiche gilt für die Spezialisirung des Militär¬
budgets, dessen Rahmen zwar durch das Reichsrecht bestimmt ist, während die
Ausfüllung desselben der Landesvertretung obliegt. Unter den Anträgen,
welche die Kammer beschäftigen, ist einer der interessantesten der, wiefern den
Staatsbeamten die Betheilung an industriellen Privatunternehmungen gestattet
werden solle. Wenn wir uns hier von einer eingehenderen Besprechung
desselben fern halten, so geschieht es nicht minder deshalb, weil die Entschei¬
dung über diese principielle Frage noch keineswegs feststeht, indem die Reichs¬
rathskammer 'vor wenigen Tagen die Ansicht der zweiten Kammer gänzlich
modificirte. Binnen kurzer Frist werden alle diese Fragen aus dem Stadium,
in dem sie sich heute befinden, erlöst werden und wir behalten uns das Wort
über dieselben für die Betrachtung vor, zu der der ersehnte Schluß des Land¬
L. tags Anlaß giebt. >




Jon deutschen Keichstag.

Die vergangene Reichstagswoche hat eine Anzahl erster Lesungen gebracht,
in denen lediglich über die weitere formelle Behandlung der Vorlagen ent¬
schieden wurde.

Als am 15. April die Consularconvention mit den Vereinigten Staaten


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[0206] der Freytag'sche mit geringer Majorität abgelehnt wurde. Die nationale Partei, in deren Wünschen es ja von Anfang an liegen mußte, die gesonderte diplomatische Vertretung Bayerns zu beschränken, erkannte richtig, daß hier der wenigst schickliche Augenblick sei, um den gesetzlich und vertragsmäßig ge¬ schaffenen Status zu ändern; wichtiger als eine politische Errungenschaft, wenn man es überhaupt so nennen will, war hier der politische Tact, und die durch denselben zu erreichende moralische Errungenschaft. So stimmte sie gegen die particularische Monstrosität, die ein Reservatrecht aus „finanziellen" Gründen beseitigen wollte. In den allernächsten Tagen beginnt die Debatte über das Cultusbudget, das bekanntlich vom Ausschusse mit großer Liberalität behandelt wurde, in¬ dem die sämmtlichen Forderungen der Regierung, ja sogar noch mehr als diese gefordert hatte, bewilligt wurde. Freilich bleibt es noch die Frage, wie weit die Versammlung selbst sich diesen Beschlüssen anschließt, aber das Präjudiz ist jedenfalls im höchsten Grade glücklich und anerkennenswerth. Ein Urtheil über diesen Etat zu fällen, geziemt sich indessen nicht, ehe derselbe definitiv festgestellt ist; das Gleiche gilt für die Spezialisirung des Militär¬ budgets, dessen Rahmen zwar durch das Reichsrecht bestimmt ist, während die Ausfüllung desselben der Landesvertretung obliegt. Unter den Anträgen, welche die Kammer beschäftigen, ist einer der interessantesten der, wiefern den Staatsbeamten die Betheilung an industriellen Privatunternehmungen gestattet werden solle. Wenn wir uns hier von einer eingehenderen Besprechung desselben fern halten, so geschieht es nicht minder deshalb, weil die Entschei¬ dung über diese principielle Frage noch keineswegs feststeht, indem die Reichs¬ rathskammer 'vor wenigen Tagen die Ansicht der zweiten Kammer gänzlich modificirte. Binnen kurzer Frist werden alle diese Fragen aus dem Stadium, in dem sie sich heute befinden, erlöst werden und wir behalten uns das Wort über dieselben für die Betrachtung vor, zu der der ersehnte Schluß des Land¬ L. tags Anlaß giebt. > Jon deutschen Keichstag. Die vergangene Reichstagswoche hat eine Anzahl erster Lesungen gebracht, in denen lediglich über die weitere formelle Behandlung der Vorlagen ent¬ schieden wurde. Als am 15. April die Consularconvention mit den Vereinigten Staaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/206>, abgerufen am 22.07.2024.