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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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er sagte niemals, "das kann ich hier nicht näher erörtern" und deßhalb ge"
fiel er unbestritten am besten.

Unterdessen macht der Landesreformverein sehr rege Fortschritte, die Gel¬
der, die er bedarf, laufen vor Allem aus England reichlich ein und die Agi¬
tation findet auch auf dem Platten Lande fruchtbaren Boden. Mit wel¬
chen Gesinnungen die Staatsregierung ihr entgegenkommt, wird wohl un¬
verblümt an den Tag treten, wenn die eingereichte Jnterpellation in der
Kammer verhandelt wird. In dieser Entscheidung gipfelt zunächst die Zu¬
kunft der ganzen Bewegung allein; daß diese Entscheidung günstig ausfällt,
dafür thun unsere Feinde das Beste.




Zerr Kugust Keichensperger.

Die deutschen Zeitungen haben sich seit einer Woche mehrfach mit einer
Reihe von Artikeln beschäftigt, welche der in der Ueberschrift genannte Herr
in einem belgischen Blatt, der zu Brüssel heraufkommenden "liovue Milvi'g.1k"
hat erscheinen lassen. Das Interesse, welches das Factum bietet, dürste indeß
noch nicht ganz erschöpft sein. Nicht als ob der Urheber eine so gar wich¬
tige Person wäre. Man könnte den Aufgang des Gestirnes August Reichen-
sperger am Himmel der französisch redenden Welt vielleicht unbeachtet lassen,
wenn der Augenblick, wo dieser Sternwandel merkbar wird, nicht so bedeut¬
sam wäre, und wenn nicht die Vermuthung eine gewisse Berechtigung hätte,
daß Herr Reichensperger weniger dem eigenen Trieb, als einem höheren Ge¬
bot, vielleicht sogar einem infalliblen, gehorcht hat.

Das Auftreten der ultramontanen Fraction im ersten deutschen Reichs¬
tag hatte nach vielfacher Auffassung den Zweck, die Reichsregiernng zu son-
diren, ob sie die Bundesgenossenschaft des Ultramontanismus anzunehmen
geneigt sei, natürlich um sich zu solchen Gegendiensten zu verpflichten, wie sie
die päpstliche Partei gewohnt ist zu fordern und sehr oft zu empfangen. Die
Reichsregierung ihrerseits scheint diesen Sondirungsversuch sehr übel vermerkt
zu haben. Die Organe der Reichsregierung erklärten auf verschiedenen We¬
gen immer denselben Standpunkt, nämlich, daß die Reichsregierung überall
nur nationale Politik treibe, niemals aber sich dienstbar machen wolle noch
dürfe confessionellen Tendenzen, die über das nationale Interesse, wie über


er sagte niemals, „das kann ich hier nicht näher erörtern" und deßhalb ge«
fiel er unbestritten am besten.

Unterdessen macht der Landesreformverein sehr rege Fortschritte, die Gel¬
der, die er bedarf, laufen vor Allem aus England reichlich ein und die Agi¬
tation findet auch auf dem Platten Lande fruchtbaren Boden. Mit wel¬
chen Gesinnungen die Staatsregierung ihr entgegenkommt, wird wohl un¬
verblümt an den Tag treten, wenn die eingereichte Jnterpellation in der
Kammer verhandelt wird. In dieser Entscheidung gipfelt zunächst die Zu¬
kunft der ganzen Bewegung allein; daß diese Entscheidung günstig ausfällt,
dafür thun unsere Feinde das Beste.




Zerr Kugust Keichensperger.

Die deutschen Zeitungen haben sich seit einer Woche mehrfach mit einer
Reihe von Artikeln beschäftigt, welche der in der Ueberschrift genannte Herr
in einem belgischen Blatt, der zu Brüssel heraufkommenden „liovue Milvi'g.1k"
hat erscheinen lassen. Das Interesse, welches das Factum bietet, dürste indeß
noch nicht ganz erschöpft sein. Nicht als ob der Urheber eine so gar wich¬
tige Person wäre. Man könnte den Aufgang des Gestirnes August Reichen-
sperger am Himmel der französisch redenden Welt vielleicht unbeachtet lassen,
wenn der Augenblick, wo dieser Sternwandel merkbar wird, nicht so bedeut¬
sam wäre, und wenn nicht die Vermuthung eine gewisse Berechtigung hätte,
daß Herr Reichensperger weniger dem eigenen Trieb, als einem höheren Ge¬
bot, vielleicht sogar einem infalliblen, gehorcht hat.

Das Auftreten der ultramontanen Fraction im ersten deutschen Reichs¬
tag hatte nach vielfacher Auffassung den Zweck, die Reichsregiernng zu son-
diren, ob sie die Bundesgenossenschaft des Ultramontanismus anzunehmen
geneigt sei, natürlich um sich zu solchen Gegendiensten zu verpflichten, wie sie
die päpstliche Partei gewohnt ist zu fordern und sehr oft zu empfangen. Die
Reichsregierung ihrerseits scheint diesen Sondirungsversuch sehr übel vermerkt
zu haben. Die Organe der Reichsregierung erklärten auf verschiedenen We¬
gen immer denselben Standpunkt, nämlich, daß die Reichsregierung überall
nur nationale Politik treibe, niemals aber sich dienstbar machen wolle noch
dürfe confessionellen Tendenzen, die über das nationale Interesse, wie über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/84>, abgerufen am 05.02.2025.