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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Die Mormonen haben nichts Ernstliches dagegen unternommen. Eine Volks¬
versammlung schrie Wehe über die Behörde, die sich an der heiligen Person
des Propheten vergriff. Ein paar Zeitungen führten drohende Reden. Mehrere
tausend Weiber richteten an den Congreß eine Petition, in der sie die Poly¬
gamie als ihre Gewissenspflicht unangetastet wissen wollten. Das ungefähr
ist bis jetzt Alles gewesen.

Das Mormonenthum wird als Religion vermuthlich noch eine geraume
Zeit das Leben fristen. Als politische Einrichtung, als Priesterstaat ist es
am Sterben. Das Gold, welches ihm schon einmal gefährlich wurde, die
Locomotive, die es aus der einsamen Wildniß unter Menschen zog, für welche
die Fabeln schlauer Betrüger wie Smith und V^ung keine göttlichen Offen¬
barungen sind, haben ihm den Garaus gemacht. Nur eine abermalige Aus¬
wanderung könnte ihm für eine kleine Zeit weiter die Existenz in der alten
Weise ermöglichen. Aber es fragt sich, ob das alte Geschlecht, welches die
Wanderung vom Mississippi durch die Wüste der Sioux und Pottowattomis
nach dem Salzsee unternahm, nicht zu alt und ob das neue noch fanatisch
genug ist, um sich an diese Aufgabe zu wagen.




ZW?era im Krieg.
Von Karl Braun.

Wahrlich, man würde Eulen nach Athen tragen, wenn man jetzt noch
lange "Berichte vom Kriegsschauplatze" publiciren wollte; was sich der Art
noch an die Oeffentlichkeit wagt, bedarf einer besonderen Legitimation.

Hier handelt es sich um die Erlebnisse einer englischen Dame in den
deutschen Hospitälern auf französischem Boden. Sie selbst erzählt uns die¬
selben unter dem vom ^erre "Vera" und der Ueberschrift: "Unter dem
rothen Kreuz", in einem der jüngsten Hefte von "Blackwood's Magazine",
einer Tory-Zeitschrift, die sich sonst gerade nicht durch eine allzugroße Sym¬
pathie für Deutschland auszeichnete. Auch viele deutsche Frauen haben als
"Krankenpflegerinnen" den Kriegsschauplatz besucht und dort Ersprießliches
geleistet; allein ich kann mich, obgleich ich der einschlagenden Kriegsliteratur
mit aller Aufmerksamkeit gefolgt bin, nicht erinnern, von irgend Einer der¬
selben eine ausführliche Darstellung ihrer Schicksale, Beobachtungen und


Die Mormonen haben nichts Ernstliches dagegen unternommen. Eine Volks¬
versammlung schrie Wehe über die Behörde, die sich an der heiligen Person
des Propheten vergriff. Ein paar Zeitungen führten drohende Reden. Mehrere
tausend Weiber richteten an den Congreß eine Petition, in der sie die Poly¬
gamie als ihre Gewissenspflicht unangetastet wissen wollten. Das ungefähr
ist bis jetzt Alles gewesen.

Das Mormonenthum wird als Religion vermuthlich noch eine geraume
Zeit das Leben fristen. Als politische Einrichtung, als Priesterstaat ist es
am Sterben. Das Gold, welches ihm schon einmal gefährlich wurde, die
Locomotive, die es aus der einsamen Wildniß unter Menschen zog, für welche
die Fabeln schlauer Betrüger wie Smith und V^ung keine göttlichen Offen¬
barungen sind, haben ihm den Garaus gemacht. Nur eine abermalige Aus¬
wanderung könnte ihm für eine kleine Zeit weiter die Existenz in der alten
Weise ermöglichen. Aber es fragt sich, ob das alte Geschlecht, welches die
Wanderung vom Mississippi durch die Wüste der Sioux und Pottowattomis
nach dem Salzsee unternahm, nicht zu alt und ob das neue noch fanatisch
genug ist, um sich an diese Aufgabe zu wagen.




ZW?era im Krieg.
Von Karl Braun.

Wahrlich, man würde Eulen nach Athen tragen, wenn man jetzt noch
lange „Berichte vom Kriegsschauplatze" publiciren wollte; was sich der Art
noch an die Oeffentlichkeit wagt, bedarf einer besonderen Legitimation.

Hier handelt es sich um die Erlebnisse einer englischen Dame in den
deutschen Hospitälern auf französischem Boden. Sie selbst erzählt uns die¬
selben unter dem vom ^erre „Vera" und der Ueberschrift: „Unter dem
rothen Kreuz", in einem der jüngsten Hefte von „Blackwood's Magazine",
einer Tory-Zeitschrift, die sich sonst gerade nicht durch eine allzugroße Sym¬
pathie für Deutschland auszeichnete. Auch viele deutsche Frauen haben als
„Krankenpflegerinnen" den Kriegsschauplatz besucht und dort Ersprießliches
geleistet; allein ich kann mich, obgleich ich der einschlagenden Kriegsliteratur
mit aller Aufmerksamkeit gefolgt bin, nicht erinnern, von irgend Einer der¬
selben eine ausführliche Darstellung ihrer Schicksale, Beobachtungen und


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[0304] Die Mormonen haben nichts Ernstliches dagegen unternommen. Eine Volks¬ versammlung schrie Wehe über die Behörde, die sich an der heiligen Person des Propheten vergriff. Ein paar Zeitungen führten drohende Reden. Mehrere tausend Weiber richteten an den Congreß eine Petition, in der sie die Poly¬ gamie als ihre Gewissenspflicht unangetastet wissen wollten. Das ungefähr ist bis jetzt Alles gewesen. Das Mormonenthum wird als Religion vermuthlich noch eine geraume Zeit das Leben fristen. Als politische Einrichtung, als Priesterstaat ist es am Sterben. Das Gold, welches ihm schon einmal gefährlich wurde, die Locomotive, die es aus der einsamen Wildniß unter Menschen zog, für welche die Fabeln schlauer Betrüger wie Smith und V^ung keine göttlichen Offen¬ barungen sind, haben ihm den Garaus gemacht. Nur eine abermalige Aus¬ wanderung könnte ihm für eine kleine Zeit weiter die Existenz in der alten Weise ermöglichen. Aber es fragt sich, ob das alte Geschlecht, welches die Wanderung vom Mississippi durch die Wüste der Sioux und Pottowattomis nach dem Salzsee unternahm, nicht zu alt und ob das neue noch fanatisch genug ist, um sich an diese Aufgabe zu wagen. ZW?era im Krieg. Von Karl Braun. Wahrlich, man würde Eulen nach Athen tragen, wenn man jetzt noch lange „Berichte vom Kriegsschauplatze" publiciren wollte; was sich der Art noch an die Oeffentlichkeit wagt, bedarf einer besonderen Legitimation. Hier handelt es sich um die Erlebnisse einer englischen Dame in den deutschen Hospitälern auf französischem Boden. Sie selbst erzählt uns die¬ selben unter dem vom ^erre „Vera" und der Ueberschrift: „Unter dem rothen Kreuz", in einem der jüngsten Hefte von „Blackwood's Magazine", einer Tory-Zeitschrift, die sich sonst gerade nicht durch eine allzugroße Sym¬ pathie für Deutschland auszeichnete. Auch viele deutsche Frauen haben als „Krankenpflegerinnen" den Kriegsschauplatz besucht und dort Ersprießliches geleistet; allein ich kann mich, obgleich ich der einschlagenden Kriegsliteratur mit aller Aufmerksamkeit gefolgt bin, nicht erinnern, von irgend Einer der¬ selben eine ausführliche Darstellung ihrer Schicksale, Beobachtungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/304>, abgerufen am 05.02.2025.