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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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eater Umwälzung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnung,
die Oriflamme der communistischen Meuchelmörder und Mordbrenner, aufge¬
pflanzt wurde, sah man sie herbeifliegen wie die Geier zum Aase, wie die
Motten zur Flamme. Wie die Motten zur Flamme -- das war ihr Loos
in Paris, möge es immer das Loos dieser ruchlosen Rotte von Handwerks¬
revolutionären sein!




KausmustK.
IV.

Die kostbaren und prachtvollen Unternehmungen, welche londoner und
pariser Buchhändler wagen dürfen, da sie eines gewissen Absatzes stets sicher
sind, sind in Deutschland ganz unmöglich. Prachtausgaben, wie sie England
und Frankreich von seinen Klassikern besitzt, kennen wir erst in vereinzelten
Versuchen. Von wie vielen unserer Schriftsteller besitzen wir überhaupt kri¬
tische Ausgaben? Sieht es nun schon schlimm aus auf dem Gebiete des
Buchhandels, trauriger ist es noch auf dem des Musikaliengeschäftcs, Man
muß aus Erfahrung die Abneigung kennen, mit der sich Eltern und Schüler
zur Beschaffung eines Notenheftes entschließen. Bücher werden wenigstens
heute nicht mehr abgeschrieben, aber die Musikalien copirt man immer noch.
Glücklicher Weise ist endlich der Buch- und Musikalienhandel zu der Erkennt¬
niß gelangt, daß man dem Publicum entgegenkommen und ihm möglichst
billige Ausgaben bieten muß. In Folge dessen sind denn auch die Werke
unserer Klassiker zu fabelhaft wohlfeilen Preisen zu haben und heute bereits
in weiteren Kreisen verbreitet, als dies gehofft werden durfte. Nachdem man
sich nun mühelos in den Besitz des Besten, was auf geistigem Gebiete über¬
haupt geschaffen wurde, setzen kann, vermag sich das Urtheil zu bilden, der
Gesichtskreis zu erweitern, der Geschmack und die Einsicht zu befestigen. Das
musikalische Publicum scheidet sich aber trotzdem noch in zwei große Hälften.
Zur einen, kleineren, zählen die wirklich begeisterten, strebsamen ernsten Kunst¬
freunde, die in den Werken unserer großen klassischen Tonsetzer die höchsten
Offenbarungen der Kunst verehren und erkennen; zur anderen, größeren, die¬
jenigen Musiktreibenden, welche eine Sonate nur spielen, weil es die Mode
erheischt, in Concerte nur gehen, um sagen zu können, daß sie dortgewesen.


eater Umwälzung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnung,
die Oriflamme der communistischen Meuchelmörder und Mordbrenner, aufge¬
pflanzt wurde, sah man sie herbeifliegen wie die Geier zum Aase, wie die
Motten zur Flamme. Wie die Motten zur Flamme — das war ihr Loos
in Paris, möge es immer das Loos dieser ruchlosen Rotte von Handwerks¬
revolutionären sein!




KausmustK.
IV.

Die kostbaren und prachtvollen Unternehmungen, welche londoner und
pariser Buchhändler wagen dürfen, da sie eines gewissen Absatzes stets sicher
sind, sind in Deutschland ganz unmöglich. Prachtausgaben, wie sie England
und Frankreich von seinen Klassikern besitzt, kennen wir erst in vereinzelten
Versuchen. Von wie vielen unserer Schriftsteller besitzen wir überhaupt kri¬
tische Ausgaben? Sieht es nun schon schlimm aus auf dem Gebiete des
Buchhandels, trauriger ist es noch auf dem des Musikaliengeschäftcs, Man
muß aus Erfahrung die Abneigung kennen, mit der sich Eltern und Schüler
zur Beschaffung eines Notenheftes entschließen. Bücher werden wenigstens
heute nicht mehr abgeschrieben, aber die Musikalien copirt man immer noch.
Glücklicher Weise ist endlich der Buch- und Musikalienhandel zu der Erkennt¬
niß gelangt, daß man dem Publicum entgegenkommen und ihm möglichst
billige Ausgaben bieten muß. In Folge dessen sind denn auch die Werke
unserer Klassiker zu fabelhaft wohlfeilen Preisen zu haben und heute bereits
in weiteren Kreisen verbreitet, als dies gehofft werden durfte. Nachdem man
sich nun mühelos in den Besitz des Besten, was auf geistigem Gebiete über¬
haupt geschaffen wurde, setzen kann, vermag sich das Urtheil zu bilden, der
Gesichtskreis zu erweitern, der Geschmack und die Einsicht zu befestigen. Das
musikalische Publicum scheidet sich aber trotzdem noch in zwei große Hälften.
Zur einen, kleineren, zählen die wirklich begeisterten, strebsamen ernsten Kunst¬
freunde, die in den Werken unserer großen klassischen Tonsetzer die höchsten
Offenbarungen der Kunst verehren und erkennen; zur anderen, größeren, die¬
jenigen Musiktreibenden, welche eine Sonate nur spielen, weil es die Mode
erheischt, in Concerte nur gehen, um sagen zu können, daß sie dortgewesen.


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[0268] eater Umwälzung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Ordnung, die Oriflamme der communistischen Meuchelmörder und Mordbrenner, aufge¬ pflanzt wurde, sah man sie herbeifliegen wie die Geier zum Aase, wie die Motten zur Flamme. Wie die Motten zur Flamme — das war ihr Loos in Paris, möge es immer das Loos dieser ruchlosen Rotte von Handwerks¬ revolutionären sein! KausmustK. IV. Die kostbaren und prachtvollen Unternehmungen, welche londoner und pariser Buchhändler wagen dürfen, da sie eines gewissen Absatzes stets sicher sind, sind in Deutschland ganz unmöglich. Prachtausgaben, wie sie England und Frankreich von seinen Klassikern besitzt, kennen wir erst in vereinzelten Versuchen. Von wie vielen unserer Schriftsteller besitzen wir überhaupt kri¬ tische Ausgaben? Sieht es nun schon schlimm aus auf dem Gebiete des Buchhandels, trauriger ist es noch auf dem des Musikaliengeschäftcs, Man muß aus Erfahrung die Abneigung kennen, mit der sich Eltern und Schüler zur Beschaffung eines Notenheftes entschließen. Bücher werden wenigstens heute nicht mehr abgeschrieben, aber die Musikalien copirt man immer noch. Glücklicher Weise ist endlich der Buch- und Musikalienhandel zu der Erkennt¬ niß gelangt, daß man dem Publicum entgegenkommen und ihm möglichst billige Ausgaben bieten muß. In Folge dessen sind denn auch die Werke unserer Klassiker zu fabelhaft wohlfeilen Preisen zu haben und heute bereits in weiteren Kreisen verbreitet, als dies gehofft werden durfte. Nachdem man sich nun mühelos in den Besitz des Besten, was auf geistigem Gebiete über¬ haupt geschaffen wurde, setzen kann, vermag sich das Urtheil zu bilden, der Gesichtskreis zu erweitern, der Geschmack und die Einsicht zu befestigen. Das musikalische Publicum scheidet sich aber trotzdem noch in zwei große Hälften. Zur einen, kleineren, zählen die wirklich begeisterten, strebsamen ernsten Kunst¬ freunde, die in den Werken unserer großen klassischen Tonsetzer die höchsten Offenbarungen der Kunst verehren und erkennen; zur anderen, größeren, die¬ jenigen Musiktreibenden, welche eine Sonate nur spielen, weil es die Mode erheischt, in Concerte nur gehen, um sagen zu können, daß sie dortgewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/268>, abgerufen am 05.02.2025.