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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Wen deutschen Aeichstag.

Die wichtigste Aeußerung der Thronrede betrifft diesmal die auswärtige
Politik. Zum Wenigsten wird keine andere Stelle die öffentliche Aufmerk¬
samkeit innerhalb wie außerhalb Deutschlands in gleichem Grade auf sich
ziehen und dabei die mannigfaltigsten Deutungen hervorrufen. Die Worte:
"In dieser Richtung -- nämlich nach der Richtung, das Vertrauen in die
friedenverbürgenden Absichten des neuen deutschen Reiches zu stärken -- ist
es eine besonders wichtige, aber mir auch besonders willkommene Aufgabe,
mit den nächsten Nachbarn Deutschlands, den Herrschern der mächtigen
Reiche, welche dasselbe von der Ostsee bis zum Bodensee unmittelbar begren¬
zen, freundschaftliche Beziehungen von solcher Art zu pflegen, daß ihre Zu¬
verlässigkeit auch in der öffentlichen Meinung aller Länder außer Zweifel
stehe;" werden bei dem ersten Eindruck an nicht wenigen Orten als die An¬
kündigung der wiedergeborenen heiligen Allianz aufgefaßt werden. Man
wird aus dieser Erklärung des deutschen Kaisers hie und da, in Frankreich
namentlich, bemüht sein, ein Schreckbild zu machen. Wohlwollende Beurthei-
ler werden sich den Beweis angelegen sein lassen, daß die neue Allianz der
Ostmächte des europäischen Continents etwas ganz anderes bedeute und be¬
deuten müsse, als der alte sogenannte heilige Bund unseligen Andenkens.

Ihr Berichterstatter glaubt sich berechtigt, die Worte des deutschen Kai¬
sers, deren Eindruck beim Vortrag übrigens unverkennbar war, einer noch
mehr ernüchterten Auffassung zu unterwerfen. Nicht um eine tendenziöse
Wiederherstellung der ostmächtigen Allianz in irgend einem Sinne kann es
sich nach den Ausdrücken der Thronrede handeln. Vielmehr nur um die
Absicht der Reichsregierung, das zu großer Befriedigung erreichte Einverständ-
niß mit Oestreich nicht in dem Licht erscheinen zu lassen, als hätten die bei¬
den mitteleuropäischen Großmächte sich in der Absicht einander genähert, auf
irgend einem Punkte gemeinsam der russischen Politik entgegen zu treten,
oder auch nur dieses Reich von ihrem EinVerständniß auszuschließen. Der
deutsche Kaiser stellt deshalb die Begegnungen, welche er in diesem Sommer
mit den Monarchen der Nachbarreiche gehabt, ganz auf dieselbe Linie der be¬
wirkten Kräftigung des allgemeinen Vertrauens in eine friedliche Zukunft
Europas. Diese Gleichstellung hindert jedoch nicht, daß die Befriedigung
einen besonderen Ausdruck erhält, welche das ganze deutsche Volk empfindet
über die Befreiung unserer nachbarlichen Beziehungen zu Oestreich von jeder


Wen deutschen Aeichstag.

Die wichtigste Aeußerung der Thronrede betrifft diesmal die auswärtige
Politik. Zum Wenigsten wird keine andere Stelle die öffentliche Aufmerk¬
samkeit innerhalb wie außerhalb Deutschlands in gleichem Grade auf sich
ziehen und dabei die mannigfaltigsten Deutungen hervorrufen. Die Worte:
„In dieser Richtung — nämlich nach der Richtung, das Vertrauen in die
friedenverbürgenden Absichten des neuen deutschen Reiches zu stärken — ist
es eine besonders wichtige, aber mir auch besonders willkommene Aufgabe,
mit den nächsten Nachbarn Deutschlands, den Herrschern der mächtigen
Reiche, welche dasselbe von der Ostsee bis zum Bodensee unmittelbar begren¬
zen, freundschaftliche Beziehungen von solcher Art zu pflegen, daß ihre Zu¬
verlässigkeit auch in der öffentlichen Meinung aller Länder außer Zweifel
stehe;" werden bei dem ersten Eindruck an nicht wenigen Orten als die An¬
kündigung der wiedergeborenen heiligen Allianz aufgefaßt werden. Man
wird aus dieser Erklärung des deutschen Kaisers hie und da, in Frankreich
namentlich, bemüht sein, ein Schreckbild zu machen. Wohlwollende Beurthei-
ler werden sich den Beweis angelegen sein lassen, daß die neue Allianz der
Ostmächte des europäischen Continents etwas ganz anderes bedeute und be¬
deuten müsse, als der alte sogenannte heilige Bund unseligen Andenkens.

Ihr Berichterstatter glaubt sich berechtigt, die Worte des deutschen Kai¬
sers, deren Eindruck beim Vortrag übrigens unverkennbar war, einer noch
mehr ernüchterten Auffassung zu unterwerfen. Nicht um eine tendenziöse
Wiederherstellung der ostmächtigen Allianz in irgend einem Sinne kann es
sich nach den Ausdrücken der Thronrede handeln. Vielmehr nur um die
Absicht der Reichsregierung, das zu großer Befriedigung erreichte Einverständ-
niß mit Oestreich nicht in dem Licht erscheinen zu lassen, als hätten die bei¬
den mitteleuropäischen Großmächte sich in der Absicht einander genähert, auf
irgend einem Punkte gemeinsam der russischen Politik entgegen zu treten,
oder auch nur dieses Reich von ihrem EinVerständniß auszuschließen. Der
deutsche Kaiser stellt deshalb die Begegnungen, welche er in diesem Sommer
mit den Monarchen der Nachbarreiche gehabt, ganz auf dieselbe Linie der be¬
wirkten Kräftigung des allgemeinen Vertrauens in eine friedliche Zukunft
Europas. Diese Gleichstellung hindert jedoch nicht, daß die Befriedigung
einen besonderen Ausdruck erhält, welche das ganze deutsche Volk empfindet
über die Befreiung unserer nachbarlichen Beziehungen zu Oestreich von jeder


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[0123] Wen deutschen Aeichstag. Die wichtigste Aeußerung der Thronrede betrifft diesmal die auswärtige Politik. Zum Wenigsten wird keine andere Stelle die öffentliche Aufmerk¬ samkeit innerhalb wie außerhalb Deutschlands in gleichem Grade auf sich ziehen und dabei die mannigfaltigsten Deutungen hervorrufen. Die Worte: „In dieser Richtung — nämlich nach der Richtung, das Vertrauen in die friedenverbürgenden Absichten des neuen deutschen Reiches zu stärken — ist es eine besonders wichtige, aber mir auch besonders willkommene Aufgabe, mit den nächsten Nachbarn Deutschlands, den Herrschern der mächtigen Reiche, welche dasselbe von der Ostsee bis zum Bodensee unmittelbar begren¬ zen, freundschaftliche Beziehungen von solcher Art zu pflegen, daß ihre Zu¬ verlässigkeit auch in der öffentlichen Meinung aller Länder außer Zweifel stehe;" werden bei dem ersten Eindruck an nicht wenigen Orten als die An¬ kündigung der wiedergeborenen heiligen Allianz aufgefaßt werden. Man wird aus dieser Erklärung des deutschen Kaisers hie und da, in Frankreich namentlich, bemüht sein, ein Schreckbild zu machen. Wohlwollende Beurthei- ler werden sich den Beweis angelegen sein lassen, daß die neue Allianz der Ostmächte des europäischen Continents etwas ganz anderes bedeute und be¬ deuten müsse, als der alte sogenannte heilige Bund unseligen Andenkens. Ihr Berichterstatter glaubt sich berechtigt, die Worte des deutschen Kai¬ sers, deren Eindruck beim Vortrag übrigens unverkennbar war, einer noch mehr ernüchterten Auffassung zu unterwerfen. Nicht um eine tendenziöse Wiederherstellung der ostmächtigen Allianz in irgend einem Sinne kann es sich nach den Ausdrücken der Thronrede handeln. Vielmehr nur um die Absicht der Reichsregierung, das zu großer Befriedigung erreichte Einverständ- niß mit Oestreich nicht in dem Licht erscheinen zu lassen, als hätten die bei¬ den mitteleuropäischen Großmächte sich in der Absicht einander genähert, auf irgend einem Punkte gemeinsam der russischen Politik entgegen zu treten, oder auch nur dieses Reich von ihrem EinVerständniß auszuschließen. Der deutsche Kaiser stellt deshalb die Begegnungen, welche er in diesem Sommer mit den Monarchen der Nachbarreiche gehabt, ganz auf dieselbe Linie der be¬ wirkten Kräftigung des allgemeinen Vertrauens in eine friedliche Zukunft Europas. Diese Gleichstellung hindert jedoch nicht, daß die Befriedigung einen besonderen Ausdruck erhält, welche das ganze deutsche Volk empfindet über die Befreiung unserer nachbarlichen Beziehungen zu Oestreich von jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/123>, abgerufen am 05.02.2025.