Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Jerl'mer Ariefe. Drei Tage vor der Eröffnung der Reichstagssession sind die hierher ver¬ Die ganze Abmachung beweist vor aller Welt, daß der Reichskanzler Die Veröffentlichungen Benedetti's über seine diplomatische Thätigkeit Grenzboten II. 1S71. 85
Jerl'mer Ariefe. Drei Tage vor der Eröffnung der Reichstagssession sind die hierher ver¬ Die ganze Abmachung beweist vor aller Welt, daß der Reichskanzler Die Veröffentlichungen Benedetti's über seine diplomatische Thätigkeit Grenzboten II. 1S71. 85
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192421"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Jerl'mer Ariefe.</head><lb/> <p xml:id="ID_469"> Drei Tage vor der Eröffnung der Reichstagssession sind die hierher ver¬<lb/> pflanzten und eine ganze Woche lang andauernden Verhandlungen zwischen dem<lb/> deutschen Reich und Frankreich über die Nachtragsconvention zum Friedens¬<lb/> verträge beendigt, und zwar, wie versichert wird, in einer für beide Seiten<lb/> befriedigenden Weise beendigt worden. Gegen Baarzahlung einer gewissen<lb/> Summe auf die vierte Halbmilliarde wird der Rest durch Wechsel gedeckt, die<lb/> vor dem Fälligkeitstermine nicht an den Markt gebracht werden. Der Ver-<lb/> sailler Artikel 3 ist verschwunden oder wenigstens jeder Bedeutung beraubt.</p><lb/> <p xml:id="ID_470"> Die ganze Abmachung beweist vor aller Welt, daß der Reichskanzler<lb/> Alles thut, was in seinen Kräften steht, um Frankreichs Lage erträglich zu<lb/> machen. Nie ist ein Sieger, nach einem furchtbar ernsten Kampfe, fo scho¬<lb/> nend und rücksichtsvoll gegen den Besiegten aufgetreten, als Deutschland dem<lb/> unruhigen Nachbarlande gegenüber. Dank wird es freilich dafür nicht ernten,<lb/> aber Fürst Bismarck rechnet ohne Zweifel mit der sicheren Divination, welche<lb/> ihn schon bald nach der Schlacht bei Sedan und in stärkerem Maße nach der<lb/> Uebergabe von Paris, das Friedensbedürfniß des französischen Volkes richtig<lb/> erkennen ließ, daß jeder Zeitgewinn die Garantien des Friedens verstärkt.<lb/> Die Behandlung mag freilich den Franzosen nicht gefallen. Eine Unbillig-<lb/> keit von Seiten des Siegers würde sie in den Stand setzen, einen rührenden<lb/> Schmerzensschrei auszustoßen; ein Beweis, daß der Sieger auf ihren Verfall<lb/> speculirte, würde den wenigen einsichtigen Patrioten, die es in Frankreich gibt,<lb/> willkommen sein, um daraus die Nothwendigkeit einer vorjährigen Vertheidi¬<lb/> gung zu deduciren; aber der leitende Staatsmann Deutschlands führt nicht<lb/> nur den Friedensvertrag auf das Liberalste aus, sondern kommt den Besieg¬<lb/> ten soweit möglich entgegen — vorausgesetzt, daß sie ihre Kriegsentschä¬<lb/> digung zahlen, was im Verein mit der Abtretung zweier Provinzen und den<lb/> Verlusten des letzten Krieges gerade die Wirkung haben wird, sie ungefährlich<lb/> zu machen. Dem Eber sind die Hauer etwas abgefeilt worden!</p><lb/> <p xml:id="ID_471" next="#ID_472"> Die Veröffentlichungen Benedetti's über seine diplomatische Thätigkeit<lb/> am preußischen Hofe sind ein unschätzbarer Beitrag zur Vorgeschichte des letz¬<lb/> ten Krieges. Der französische Diplomat hat zunächst sich selbst vor dem<lb/> Ruf der Lächerlichkeit gerettet, in welchen ihn die Veröffentlichung des be¬<lb/> rühmten Vertragsentwurfes gebracht hatte. Die Thatsache freilich, daß er<lb/> sich bei dieser Gelegenheit von dem Grafen Bismarck gründlich hat täuschen<lb/> lassen, kann er nicht aus der Welt schaffen, aber seine Berichte zeigen ihn<lb/> als einsichtsvollen und unbefangenen Beobachter, als verhältnißmäßig feinen Kopf<lb/> und als einen Diplomaten, der überall Erfolg gehabt haben würde, wo ihm —</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1S71. 85</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
Jerl'mer Ariefe.
Drei Tage vor der Eröffnung der Reichstagssession sind die hierher ver¬
pflanzten und eine ganze Woche lang andauernden Verhandlungen zwischen dem
deutschen Reich und Frankreich über die Nachtragsconvention zum Friedens¬
verträge beendigt, und zwar, wie versichert wird, in einer für beide Seiten
befriedigenden Weise beendigt worden. Gegen Baarzahlung einer gewissen
Summe auf die vierte Halbmilliarde wird der Rest durch Wechsel gedeckt, die
vor dem Fälligkeitstermine nicht an den Markt gebracht werden. Der Ver-
sailler Artikel 3 ist verschwunden oder wenigstens jeder Bedeutung beraubt.
Die ganze Abmachung beweist vor aller Welt, daß der Reichskanzler
Alles thut, was in seinen Kräften steht, um Frankreichs Lage erträglich zu
machen. Nie ist ein Sieger, nach einem furchtbar ernsten Kampfe, fo scho¬
nend und rücksichtsvoll gegen den Besiegten aufgetreten, als Deutschland dem
unruhigen Nachbarlande gegenüber. Dank wird es freilich dafür nicht ernten,
aber Fürst Bismarck rechnet ohne Zweifel mit der sicheren Divination, welche
ihn schon bald nach der Schlacht bei Sedan und in stärkerem Maße nach der
Uebergabe von Paris, das Friedensbedürfniß des französischen Volkes richtig
erkennen ließ, daß jeder Zeitgewinn die Garantien des Friedens verstärkt.
Die Behandlung mag freilich den Franzosen nicht gefallen. Eine Unbillig-
keit von Seiten des Siegers würde sie in den Stand setzen, einen rührenden
Schmerzensschrei auszustoßen; ein Beweis, daß der Sieger auf ihren Verfall
speculirte, würde den wenigen einsichtigen Patrioten, die es in Frankreich gibt,
willkommen sein, um daraus die Nothwendigkeit einer vorjährigen Vertheidi¬
gung zu deduciren; aber der leitende Staatsmann Deutschlands führt nicht
nur den Friedensvertrag auf das Liberalste aus, sondern kommt den Besieg¬
ten soweit möglich entgegen — vorausgesetzt, daß sie ihre Kriegsentschä¬
digung zahlen, was im Verein mit der Abtretung zweier Provinzen und den
Verlusten des letzten Krieges gerade die Wirkung haben wird, sie ungefährlich
zu machen. Dem Eber sind die Hauer etwas abgefeilt worden!
Die Veröffentlichungen Benedetti's über seine diplomatische Thätigkeit
am preußischen Hofe sind ein unschätzbarer Beitrag zur Vorgeschichte des letz¬
ten Krieges. Der französische Diplomat hat zunächst sich selbst vor dem
Ruf der Lächerlichkeit gerettet, in welchen ihn die Veröffentlichung des be¬
rühmten Vertragsentwurfes gebracht hatte. Die Thatsache freilich, daß er
sich bei dieser Gelegenheit von dem Grafen Bismarck gründlich hat täuschen
lassen, kann er nicht aus der Welt schaffen, aber seine Berichte zeigen ihn
als einsichtsvollen und unbefangenen Beobachter, als verhältnißmäßig feinen Kopf
und als einen Diplomaten, der überall Erfolg gehabt haben würde, wo ihm —
Grenzboten II. 1S71. 85
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