Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.hörbar erscholl der alte Kampfesruf: Hie Welsen, hie Ghibellinen. Und wahrlich, Und in Rom? Dort feierte ein Greis seinen Jubeltag, der mit List und Auch eine bairische Deputation stand vor der Schwelle des Vatican. Berliner Iriefe. Berlin ist unleugbar in seine "todte Jahreszeit" eingetreten. Todt ist hörbar erscholl der alte Kampfesruf: Hie Welsen, hie Ghibellinen. Und wahrlich, Und in Rom? Dort feierte ein Greis seinen Jubeltag, der mit List und Auch eine bairische Deputation stand vor der Schwelle des Vatican. Berliner Iriefe. Berlin ist unleugbar in seine „todte Jahreszeit" eingetreten. Todt ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126400"/> <p xml:id="ID_201" prev="#ID_200"> hörbar erscholl der alte Kampfesruf: Hie Welsen, hie Ghibellinen. Und wahrlich,<lb/> nicht die schlechtesten Kräfte sandten ihre Sehnsucht und ihre Gedanken nach dem<lb/> Norden; dort feierte die Treue eines frommen jugendstarken Volkes, das<lb/> schlicht in aller Größe blieb, ihr Dankesfest; das Volk, das hier um die<lb/> Altäre stand, konnte mit reinem Auge gegen Himmel schauen.</p><lb/> <p xml:id="ID_202"> Und in Rom? Dort feierte ein Greis seinen Jubeltag, der mit List und<lb/> Gewalt seine eigene Vergötterung ertrotzt, der die Frömmigkeit nur in der<lb/> Allmacht seiner selbst und die Treue nur in der Knechtschaft des Erdballs<lb/> findet. Tausende von Thalern lagen zu seinen Füßen; aus dem Scherflein<lb/> der Wittwe und dem Groschen des Armen, den man betrog, sind sie zusam¬<lb/> mengepreßt und der alte unersättliche Mann greift gierig nach diesem Blut¬<lb/> geld. Warum — um seine Herrschaft, nicht um die Wahrheit zu befestigen!</p><lb/> <p xml:id="ID_203"> Auch eine bairische Deputation stand vor der Schwelle des Vatican.<lb/> Sie bestand aus Aristokraten, die in unversöhnlichem kleinlichen Hasse ihrem<lb/> Vaterlande den Rücken kehren, weil es freier und mächtiger geworden ist,<lb/> als in feudalen Zeiten; sie bestand aus den Faiseurs der hiesigen ultramon¬<lb/> tanen Partei, die mit der Wuth des Jacobiners gegen alle staatliche Autorität<lb/> losstürzt und aus vielen, von denen man sagen darf: sie wissen nicht, was<lb/> sie thun ! Es wäre thöricht, wollte man diese als die Vertreter der Gesinnung<lb/> betrachten, die in Baiern herrscht; sie sind nur die kleine Ziffer, um jene<lb/> größere festzustellen von denen, die Deutschland über alles stellen. Denn das<lb/> dürfen wir nie vergessen, die kirchliche Bewegung und die nationale sind eins.<lb/> Sie waren es zur Zeit, da jener Schlachtruf von Welsen und Ghibellinen<lb/> erscholl; sie waren es im alten Reiche und sind es im neuen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Berliner Iriefe.</head><lb/> <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Berlin ist unleugbar in seine „todte Jahreszeit" eingetreten. Todt ist<lb/> die Jahreszeit nun freilich nicht, im Gegentheil freut sich Berlin, seit Jupiter<lb/> Pluvius auch einen wohlverdienten Urlaub nehmen zu wollen scheint, seines<lb/> Lebens recht sehr und unbekümmert darum, daß alle seine Brauereien zu<lb/> Actiengesellschaften umgewandelt sind, stürzt es sich aus allen Thoren (in der<lb/> That ist dies eine poetische Licenz, da die Thore dem Geiste der Freizügigkeit<lb/> zum Opfer gefallen sind) in hundert Biergärten und wer nicht nur den Abend,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
hörbar erscholl der alte Kampfesruf: Hie Welsen, hie Ghibellinen. Und wahrlich,
nicht die schlechtesten Kräfte sandten ihre Sehnsucht und ihre Gedanken nach dem
Norden; dort feierte die Treue eines frommen jugendstarken Volkes, das
schlicht in aller Größe blieb, ihr Dankesfest; das Volk, das hier um die
Altäre stand, konnte mit reinem Auge gegen Himmel schauen.
Und in Rom? Dort feierte ein Greis seinen Jubeltag, der mit List und
Gewalt seine eigene Vergötterung ertrotzt, der die Frömmigkeit nur in der
Allmacht seiner selbst und die Treue nur in der Knechtschaft des Erdballs
findet. Tausende von Thalern lagen zu seinen Füßen; aus dem Scherflein
der Wittwe und dem Groschen des Armen, den man betrog, sind sie zusam¬
mengepreßt und der alte unersättliche Mann greift gierig nach diesem Blut¬
geld. Warum — um seine Herrschaft, nicht um die Wahrheit zu befestigen!
Auch eine bairische Deputation stand vor der Schwelle des Vatican.
Sie bestand aus Aristokraten, die in unversöhnlichem kleinlichen Hasse ihrem
Vaterlande den Rücken kehren, weil es freier und mächtiger geworden ist,
als in feudalen Zeiten; sie bestand aus den Faiseurs der hiesigen ultramon¬
tanen Partei, die mit der Wuth des Jacobiners gegen alle staatliche Autorität
losstürzt und aus vielen, von denen man sagen darf: sie wissen nicht, was
sie thun ! Es wäre thöricht, wollte man diese als die Vertreter der Gesinnung
betrachten, die in Baiern herrscht; sie sind nur die kleine Ziffer, um jene
größere festzustellen von denen, die Deutschland über alles stellen. Denn das
dürfen wir nie vergessen, die kirchliche Bewegung und die nationale sind eins.
Sie waren es zur Zeit, da jener Schlachtruf von Welsen und Ghibellinen
erscholl; sie waren es im alten Reiche und sind es im neuen.
Berliner Iriefe.
Berlin ist unleugbar in seine „todte Jahreszeit" eingetreten. Todt ist
die Jahreszeit nun freilich nicht, im Gegentheil freut sich Berlin, seit Jupiter
Pluvius auch einen wohlverdienten Urlaub nehmen zu wollen scheint, seines
Lebens recht sehr und unbekümmert darum, daß alle seine Brauereien zu
Actiengesellschaften umgewandelt sind, stürzt es sich aus allen Thoren (in der
That ist dies eine poetische Licenz, da die Thore dem Geiste der Freizügigkeit
zum Opfer gefallen sind) in hundert Biergärten und wer nicht nur den Abend,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |