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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Und in der That läßt sich sein Einfluß fast durch alle Gattungen, welche
in dem Garten der griechischen Poesie nach und nach gewachsen sind, ver¬
folgen, einzelne derselben sind geradezu durch ihn geschaffen, und jedesmal
sind Form und Geist dieser Schöpfungen ein Abglanz des kriegerischen Geistes,
der die Zeitgenossen und Landsleute bewegt.

Der Krieg im Epos.

In der traumhaften Erinnerung der Griechen an die älteste Vorzeit ihrer
Heimath verschmolzen sich die Eindrücke elementarer Naturrevolutionen mit den
Bildern stürmischer Umwälzungen und Kämpfe zwischen wilden Urbewohnern
und überlegenen Ankömmlingen, die Sturz und Erhebung von Fürstengeschlech¬
tern und tiefgreifende Wandelungen in der Welt religiöser und sittlicher Ideen
zur Folge hatten. Wie die Gesetze des Gleichgewichts und harmonischer Bewe¬
gung der Weltkörper, wie Berg und Thal und der Friede der Landschaft erst aus
furchtbarem Aufruhr der Elemente hervorgegangen waren, so war auch Sitte und
Ordnung des Menschenlebens in seinen mannigfachen Kreisen, Reinheit des
Empfindens, Klarheit des Denkens erst abgerungen einer unbändigen, von
blinden Trieben bewegten dämonischen Naturkraft. Gemähnte doch noch oft
genug hier ein Unwetter im Gebirge, Erdbeben und Felsensturz, Ueberschwem-
mung und Windsbraut, dort ein Ausbruch roher Leidenschaft oder ungezügel¬
ter selbstischer Kraft an die noch grollenden Mächte einer ungebändigten Vor¬
zeit, welche die Phantasie als ungeheure Göttergestalten sich dachte.

Als eigentliches Schlachtfeld dieser Kämpfe galt das Thalbecken Thessa¬
liens, rings umschlossen von einem Gebirgskranze, dessen Spitzen sich bis zu
einer Höhe von 5 -- 6000 Fuß erheben. Nur zwischen den himmelanragen¬
den Häuptern des Olympos und Ossa bricht sich der die Ebene durchströmende
Peneios -durch eine enge Felsschlucht, die heilige Tempe, eine Bahn zum
Meer. Gesetzlose Willkür in öffentlichen Dingen, Zügellosigkeit, Verrätherei
und ein unheimlicher Hang zu Zauberkünsten bei den Weibern, erinnerten noch
in späteren Zeiten an die wilde Sage vom Titanenkampf.

Söhne des Uranos und der Gala, des Himmels und der Erde, waren
sie die Herren des Wassers, der feurigen kreisenden Weltkörper, der Winde
und aller bewegenden Kräfte. Aber ihnen machte ein jüngeres Geschlecht die
Herrschaft streitig, die Söhne des jüngsten der Titanen, des Kronos, dessen
geistigere Natur durch sein Beiwort, "der Krummsinnige", angedeutet ist.
Diese heißen die "Geber des Guten": die Segnungen, nicht die Schrecken der
Natur liegen in ihrer Hand. Wie Wolken auf den Bergen lagern, die ein¬
ander zu bedrohen scheinen, so führten von zwei gegenüberstehenden Gipfeln
(Othrys und Olympos) herab Titanen und Kronossöhne, Zeus an der
Spitze, viele Jahre hindurch ihren erbitterten Kampf, der lange unentschie-


Und in der That läßt sich sein Einfluß fast durch alle Gattungen, welche
in dem Garten der griechischen Poesie nach und nach gewachsen sind, ver¬
folgen, einzelne derselben sind geradezu durch ihn geschaffen, und jedesmal
sind Form und Geist dieser Schöpfungen ein Abglanz des kriegerischen Geistes,
der die Zeitgenossen und Landsleute bewegt.

Der Krieg im Epos.

In der traumhaften Erinnerung der Griechen an die älteste Vorzeit ihrer
Heimath verschmolzen sich die Eindrücke elementarer Naturrevolutionen mit den
Bildern stürmischer Umwälzungen und Kämpfe zwischen wilden Urbewohnern
und überlegenen Ankömmlingen, die Sturz und Erhebung von Fürstengeschlech¬
tern und tiefgreifende Wandelungen in der Welt religiöser und sittlicher Ideen
zur Folge hatten. Wie die Gesetze des Gleichgewichts und harmonischer Bewe¬
gung der Weltkörper, wie Berg und Thal und der Friede der Landschaft erst aus
furchtbarem Aufruhr der Elemente hervorgegangen waren, so war auch Sitte und
Ordnung des Menschenlebens in seinen mannigfachen Kreisen, Reinheit des
Empfindens, Klarheit des Denkens erst abgerungen einer unbändigen, von
blinden Trieben bewegten dämonischen Naturkraft. Gemähnte doch noch oft
genug hier ein Unwetter im Gebirge, Erdbeben und Felsensturz, Ueberschwem-
mung und Windsbraut, dort ein Ausbruch roher Leidenschaft oder ungezügel¬
ter selbstischer Kraft an die noch grollenden Mächte einer ungebändigten Vor¬
zeit, welche die Phantasie als ungeheure Göttergestalten sich dachte.

Als eigentliches Schlachtfeld dieser Kämpfe galt das Thalbecken Thessa¬
liens, rings umschlossen von einem Gebirgskranze, dessen Spitzen sich bis zu
einer Höhe von 5 — 6000 Fuß erheben. Nur zwischen den himmelanragen¬
den Häuptern des Olympos und Ossa bricht sich der die Ebene durchströmende
Peneios -durch eine enge Felsschlucht, die heilige Tempe, eine Bahn zum
Meer. Gesetzlose Willkür in öffentlichen Dingen, Zügellosigkeit, Verrätherei
und ein unheimlicher Hang zu Zauberkünsten bei den Weibern, erinnerten noch
in späteren Zeiten an die wilde Sage vom Titanenkampf.

Söhne des Uranos und der Gala, des Himmels und der Erde, waren
sie die Herren des Wassers, der feurigen kreisenden Weltkörper, der Winde
und aller bewegenden Kräfte. Aber ihnen machte ein jüngeres Geschlecht die
Herrschaft streitig, die Söhne des jüngsten der Titanen, des Kronos, dessen
geistigere Natur durch sein Beiwort, „der Krummsinnige", angedeutet ist.
Diese heißen die „Geber des Guten": die Segnungen, nicht die Schrecken der
Natur liegen in ihrer Hand. Wie Wolken auf den Bergen lagern, die ein¬
ander zu bedrohen scheinen, so führten von zwei gegenüberstehenden Gipfeln
(Othrys und Olympos) herab Titanen und Kronossöhne, Zeus an der
Spitze, viele Jahre hindurch ihren erbitterten Kampf, der lange unentschie-


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[0334] Und in der That läßt sich sein Einfluß fast durch alle Gattungen, welche in dem Garten der griechischen Poesie nach und nach gewachsen sind, ver¬ folgen, einzelne derselben sind geradezu durch ihn geschaffen, und jedesmal sind Form und Geist dieser Schöpfungen ein Abglanz des kriegerischen Geistes, der die Zeitgenossen und Landsleute bewegt. Der Krieg im Epos. In der traumhaften Erinnerung der Griechen an die älteste Vorzeit ihrer Heimath verschmolzen sich die Eindrücke elementarer Naturrevolutionen mit den Bildern stürmischer Umwälzungen und Kämpfe zwischen wilden Urbewohnern und überlegenen Ankömmlingen, die Sturz und Erhebung von Fürstengeschlech¬ tern und tiefgreifende Wandelungen in der Welt religiöser und sittlicher Ideen zur Folge hatten. Wie die Gesetze des Gleichgewichts und harmonischer Bewe¬ gung der Weltkörper, wie Berg und Thal und der Friede der Landschaft erst aus furchtbarem Aufruhr der Elemente hervorgegangen waren, so war auch Sitte und Ordnung des Menschenlebens in seinen mannigfachen Kreisen, Reinheit des Empfindens, Klarheit des Denkens erst abgerungen einer unbändigen, von blinden Trieben bewegten dämonischen Naturkraft. Gemähnte doch noch oft genug hier ein Unwetter im Gebirge, Erdbeben und Felsensturz, Ueberschwem- mung und Windsbraut, dort ein Ausbruch roher Leidenschaft oder ungezügel¬ ter selbstischer Kraft an die noch grollenden Mächte einer ungebändigten Vor¬ zeit, welche die Phantasie als ungeheure Göttergestalten sich dachte. Als eigentliches Schlachtfeld dieser Kämpfe galt das Thalbecken Thessa¬ liens, rings umschlossen von einem Gebirgskranze, dessen Spitzen sich bis zu einer Höhe von 5 — 6000 Fuß erheben. Nur zwischen den himmelanragen¬ den Häuptern des Olympos und Ossa bricht sich der die Ebene durchströmende Peneios -durch eine enge Felsschlucht, die heilige Tempe, eine Bahn zum Meer. Gesetzlose Willkür in öffentlichen Dingen, Zügellosigkeit, Verrätherei und ein unheimlicher Hang zu Zauberkünsten bei den Weibern, erinnerten noch in späteren Zeiten an die wilde Sage vom Titanenkampf. Söhne des Uranos und der Gala, des Himmels und der Erde, waren sie die Herren des Wassers, der feurigen kreisenden Weltkörper, der Winde und aller bewegenden Kräfte. Aber ihnen machte ein jüngeres Geschlecht die Herrschaft streitig, die Söhne des jüngsten der Titanen, des Kronos, dessen geistigere Natur durch sein Beiwort, „der Krummsinnige", angedeutet ist. Diese heißen die „Geber des Guten": die Segnungen, nicht die Schrecken der Natur liegen in ihrer Hand. Wie Wolken auf den Bergen lagern, die ein¬ ander zu bedrohen scheinen, so führten von zwei gegenüberstehenden Gipfeln (Othrys und Olympos) herab Titanen und Kronossöhne, Zeus an der Spitze, viele Jahre hindurch ihren erbitterten Kampf, der lange unentschie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/334>, abgerufen am 28.06.2024.