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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Are Poesie des Krieges Sei den Kriechen.

Aller Dinge Vater und König ist der Krieg reich dem Spruch eines
griechischen Philosophen. Aber die Auffassungen von seinem Wesen, die Stim¬
mungen, die er erzeugt, die Ideen, welche er im Schooß trägt, wechseln wie
seine Gestalt mit dem Culturleben der Völker, ihren politischen Zielen und
sittlichen Idealen. Man kann sagen, daß der Geist, welcher über den Waffen
schwebt, ein Gradmesser der nationalen Bildung, eine Ausstrahlung der Ge¬
sinnungen eines Zeitalters ist. Wenn nun die Poesie in zwar verklärtem,
aber doch im Wesentlichen treuem Spiegel menschliches Empfinden und Denken
zu sehen vermag, so muß es von Interesse sein, zu untersuchen, welche Ein¬
drücke und Aufgaben die Muse von jenen mächtigsten Erschütterungen des
Völkerlebens empfängt. Keineswegs eingeschüchtert wird sie durch dieselben,
sondern erweckt und befruchtet. Nicht nur zu jenen Soldatenliedern, die, Kin¬
der des Augenblicks, oft wie lose Blätter im Winde verwehen, sondern in
langhaltiger Nachwirkung zur Schöpfung edelster Denkmäler, die Marmor
und Erz überleben. Denn die Kunst, welche dauern soll, bedarf meist Samm¬
lung und Entfernung vom Schauplatz. Nicht das in die Ohren gellende Ge¬
räusch, sondern das nachklingen in erinnerungsreicher Phantasie begeistert,
nicht das blendende Licht des heißen Tages, sondern der Widerschein im in¬
neren Auge erleuchtet sie. So haben die Kriege Karls des Großen, die Kreuz¬
züge, der siebenjährige Krieg, die deutschen Freiheitskämpfe mannigfache Strah¬
len in das Gemüth der Dichter geworfen. Vor allen Völkern aber haben
die Griechen in ihrer Litteratur voraus, daß die Schöpfungen derselben ganz
auf eignem Boden aus den gegebenen Culturverhältnissen heraus sich mit
einer Art von Naturnothwendigkeit organisch entwickelten. Bei ihnen vor¬
züglich, wo die Geschicke des Einzelnen von denen der Gesammtheit so ver¬
schlungen wurden, wo die Poesie sich so lebhaft an das Gemeingefühl wen¬
dete, muß ein so gewaltiger Bahnbrecher wie der Krieg seine Physiognomie
scharf in dieselbe eingedrückt und mitbestimmend auf ihre Entwickelung einge¬
wirkt haben. ^-


Grenzboten I. 1871. 42
Are Poesie des Krieges Sei den Kriechen.

Aller Dinge Vater und König ist der Krieg reich dem Spruch eines
griechischen Philosophen. Aber die Auffassungen von seinem Wesen, die Stim¬
mungen, die er erzeugt, die Ideen, welche er im Schooß trägt, wechseln wie
seine Gestalt mit dem Culturleben der Völker, ihren politischen Zielen und
sittlichen Idealen. Man kann sagen, daß der Geist, welcher über den Waffen
schwebt, ein Gradmesser der nationalen Bildung, eine Ausstrahlung der Ge¬
sinnungen eines Zeitalters ist. Wenn nun die Poesie in zwar verklärtem,
aber doch im Wesentlichen treuem Spiegel menschliches Empfinden und Denken
zu sehen vermag, so muß es von Interesse sein, zu untersuchen, welche Ein¬
drücke und Aufgaben die Muse von jenen mächtigsten Erschütterungen des
Völkerlebens empfängt. Keineswegs eingeschüchtert wird sie durch dieselben,
sondern erweckt und befruchtet. Nicht nur zu jenen Soldatenliedern, die, Kin¬
der des Augenblicks, oft wie lose Blätter im Winde verwehen, sondern in
langhaltiger Nachwirkung zur Schöpfung edelster Denkmäler, die Marmor
und Erz überleben. Denn die Kunst, welche dauern soll, bedarf meist Samm¬
lung und Entfernung vom Schauplatz. Nicht das in die Ohren gellende Ge¬
räusch, sondern das nachklingen in erinnerungsreicher Phantasie begeistert,
nicht das blendende Licht des heißen Tages, sondern der Widerschein im in¬
neren Auge erleuchtet sie. So haben die Kriege Karls des Großen, die Kreuz¬
züge, der siebenjährige Krieg, die deutschen Freiheitskämpfe mannigfache Strah¬
len in das Gemüth der Dichter geworfen. Vor allen Völkern aber haben
die Griechen in ihrer Litteratur voraus, daß die Schöpfungen derselben ganz
auf eignem Boden aus den gegebenen Culturverhältnissen heraus sich mit
einer Art von Naturnothwendigkeit organisch entwickelten. Bei ihnen vor¬
züglich, wo die Geschicke des Einzelnen von denen der Gesammtheit so ver¬
schlungen wurden, wo die Poesie sich so lebhaft an das Gemeingefühl wen¬
dete, muß ein so gewaltiger Bahnbrecher wie der Krieg seine Physiognomie
scharf in dieselbe eingedrückt und mitbestimmend auf ihre Entwickelung einge¬
wirkt haben. ^-


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[0333] Are Poesie des Krieges Sei den Kriechen. Aller Dinge Vater und König ist der Krieg reich dem Spruch eines griechischen Philosophen. Aber die Auffassungen von seinem Wesen, die Stim¬ mungen, die er erzeugt, die Ideen, welche er im Schooß trägt, wechseln wie seine Gestalt mit dem Culturleben der Völker, ihren politischen Zielen und sittlichen Idealen. Man kann sagen, daß der Geist, welcher über den Waffen schwebt, ein Gradmesser der nationalen Bildung, eine Ausstrahlung der Ge¬ sinnungen eines Zeitalters ist. Wenn nun die Poesie in zwar verklärtem, aber doch im Wesentlichen treuem Spiegel menschliches Empfinden und Denken zu sehen vermag, so muß es von Interesse sein, zu untersuchen, welche Ein¬ drücke und Aufgaben die Muse von jenen mächtigsten Erschütterungen des Völkerlebens empfängt. Keineswegs eingeschüchtert wird sie durch dieselben, sondern erweckt und befruchtet. Nicht nur zu jenen Soldatenliedern, die, Kin¬ der des Augenblicks, oft wie lose Blätter im Winde verwehen, sondern in langhaltiger Nachwirkung zur Schöpfung edelster Denkmäler, die Marmor und Erz überleben. Denn die Kunst, welche dauern soll, bedarf meist Samm¬ lung und Entfernung vom Schauplatz. Nicht das in die Ohren gellende Ge¬ räusch, sondern das nachklingen in erinnerungsreicher Phantasie begeistert, nicht das blendende Licht des heißen Tages, sondern der Widerschein im in¬ neren Auge erleuchtet sie. So haben die Kriege Karls des Großen, die Kreuz¬ züge, der siebenjährige Krieg, die deutschen Freiheitskämpfe mannigfache Strah¬ len in das Gemüth der Dichter geworfen. Vor allen Völkern aber haben die Griechen in ihrer Litteratur voraus, daß die Schöpfungen derselben ganz auf eignem Boden aus den gegebenen Culturverhältnissen heraus sich mit einer Art von Naturnothwendigkeit organisch entwickelten. Bei ihnen vor¬ züglich, wo die Geschicke des Einzelnen von denen der Gesammtheit so ver¬ schlungen wurden, wo die Poesie sich so lebhaft an das Gemeingefühl wen¬ dete, muß ein so gewaltiger Bahnbrecher wie der Krieg seine Physiognomie scharf in dieselbe eingedrückt und mitbestimmend auf ihre Entwickelung einge¬ wirkt haben. ^- Grenzboten I. 1871. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/333>, abgerufen am 28.06.2024.