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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Italien im letzten Kalöjahr 1870.
(Fortsetzung.)

Die achtbarsten italienischen Stimmen verdammten den frivolen Hoch¬
muth Frankreichs, und forderten Italiens Neutralität; nur die Rechte in der
Kammer, welche meinte, daß man die Neutralität nicht werde festhalten kön¬
nen, verlangte den Anschluß an Frankreich; ja einzelne Politiker hielten da¬
durch gerade den Erwerb Roms für sicher. Andere gaben zu bedenken, wie
wenig Italiens Hülfe in die Wagschale falle, da die Finanzen schlecht und
die Anleihen bisher nur auf dem französischen Markt gelungen seien, der jetzt
1"z.'o äomo in Anspruch genommen war; das Heer aber sei nach einem erst
vor wenigen Wochen von dem Kriegsminister gethanen Ausspruch in einer
Verfassung, die weit hinter der moralischen und materiellen Stärke von 1866
zurückbleibe. Zudem würden Mazzinisten und Garibaldianer diese Gelegenheit
nicht ungenützt vorüber gehen lassen. In der italienischen Bevölkerung herrsche
das Gefühl vor, daß Nizza und Mendana die Schuld an Frankreich berich¬
tigt habe, und daß dieses die Antipathie Italiens verdient habe. Die Re¬
gierung scheint auch zuerst zu bewaffneter Neutralität entschlossen gewesen zu
sein, indem sie die zwei verabschiedeten Altersklassen (ca. 60000 Mann) wie¬
der unter die Waffen rief, so daß das Heer bis zur Höhe von 200000 Mann
gebracht ward. Zwei Beobachtungslager wurden gebildet, das eine in Ober-,
das andere in Unter-Italien. An dem unter dem Vorsitz des Königs in
Florenz gehaltenen Ministerrathe, in welchem diese Beschlüsse gefaßt wurden,
nahmen außer den Ministern auch andere politische Persönlichkeiten Theil,
wie der General Lamarmora. Dabei wurde der Fall in Betracht ge¬
zogen, daß der Krieg eine größere Ausdehnung annehmen könnte, bei
welcher Eventualität die Bewahrung der Neutralität eine Unmöglichkeit
würde. Hier war die Ansicht vorherrschend, daß man sich dann doch an
Frankreich anschließe, falls noch andere Mächte ins Feld rücken sollten, da
dieses große Anstrengungen mache, um sich den Beistand Italiens zu sichern.
Um diesen Punkt drehten sich die häufig wiederholten Unterredungen des
Herrn Malaret, Vertreter Frankreichs, mit dem italienischen Minister
des Auswärtigen. Am 20. Juli interpellirte bereits der Abgeordnete Corte
in der Deputirtenkammer die Regierung wegen der Maßregeln, die sie ge¬
troffen habe, um Italien während des Krieges zwischen Preußen und Frank¬
reich einen regelmäßigen Depeschendienst zu sichern. Corte sprach sich für eine
ruhige Haltung des Landes aus, und gegen tumultuarische Straßenkund¬
gebungen. Die Neutralität schließe indessen nicht aus, daß sich das Land


Italien im letzten Kalöjahr 1870.
(Fortsetzung.)

Die achtbarsten italienischen Stimmen verdammten den frivolen Hoch¬
muth Frankreichs, und forderten Italiens Neutralität; nur die Rechte in der
Kammer, welche meinte, daß man die Neutralität nicht werde festhalten kön¬
nen, verlangte den Anschluß an Frankreich; ja einzelne Politiker hielten da¬
durch gerade den Erwerb Roms für sicher. Andere gaben zu bedenken, wie
wenig Italiens Hülfe in die Wagschale falle, da die Finanzen schlecht und
die Anleihen bisher nur auf dem französischen Markt gelungen seien, der jetzt
1»z.'o äomo in Anspruch genommen war; das Heer aber sei nach einem erst
vor wenigen Wochen von dem Kriegsminister gethanen Ausspruch in einer
Verfassung, die weit hinter der moralischen und materiellen Stärke von 1866
zurückbleibe. Zudem würden Mazzinisten und Garibaldianer diese Gelegenheit
nicht ungenützt vorüber gehen lassen. In der italienischen Bevölkerung herrsche
das Gefühl vor, daß Nizza und Mendana die Schuld an Frankreich berich¬
tigt habe, und daß dieses die Antipathie Italiens verdient habe. Die Re¬
gierung scheint auch zuerst zu bewaffneter Neutralität entschlossen gewesen zu
sein, indem sie die zwei verabschiedeten Altersklassen (ca. 60000 Mann) wie¬
der unter die Waffen rief, so daß das Heer bis zur Höhe von 200000 Mann
gebracht ward. Zwei Beobachtungslager wurden gebildet, das eine in Ober-,
das andere in Unter-Italien. An dem unter dem Vorsitz des Königs in
Florenz gehaltenen Ministerrathe, in welchem diese Beschlüsse gefaßt wurden,
nahmen außer den Ministern auch andere politische Persönlichkeiten Theil,
wie der General Lamarmora. Dabei wurde der Fall in Betracht ge¬
zogen, daß der Krieg eine größere Ausdehnung annehmen könnte, bei
welcher Eventualität die Bewahrung der Neutralität eine Unmöglichkeit
würde. Hier war die Ansicht vorherrschend, daß man sich dann doch an
Frankreich anschließe, falls noch andere Mächte ins Feld rücken sollten, da
dieses große Anstrengungen mache, um sich den Beistand Italiens zu sichern.
Um diesen Punkt drehten sich die häufig wiederholten Unterredungen des
Herrn Malaret, Vertreter Frankreichs, mit dem italienischen Minister
des Auswärtigen. Am 20. Juli interpellirte bereits der Abgeordnete Corte
in der Deputirtenkammer die Regierung wegen der Maßregeln, die sie ge¬
troffen habe, um Italien während des Krieges zwischen Preußen und Frank¬
reich einen regelmäßigen Depeschendienst zu sichern. Corte sprach sich für eine
ruhige Haltung des Landes aus, und gegen tumultuarische Straßenkund¬
gebungen. Die Neutralität schließe indessen nicht aus, daß sich das Land


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[0314] Italien im letzten Kalöjahr 1870. (Fortsetzung.) Die achtbarsten italienischen Stimmen verdammten den frivolen Hoch¬ muth Frankreichs, und forderten Italiens Neutralität; nur die Rechte in der Kammer, welche meinte, daß man die Neutralität nicht werde festhalten kön¬ nen, verlangte den Anschluß an Frankreich; ja einzelne Politiker hielten da¬ durch gerade den Erwerb Roms für sicher. Andere gaben zu bedenken, wie wenig Italiens Hülfe in die Wagschale falle, da die Finanzen schlecht und die Anleihen bisher nur auf dem französischen Markt gelungen seien, der jetzt 1»z.'o äomo in Anspruch genommen war; das Heer aber sei nach einem erst vor wenigen Wochen von dem Kriegsminister gethanen Ausspruch in einer Verfassung, die weit hinter der moralischen und materiellen Stärke von 1866 zurückbleibe. Zudem würden Mazzinisten und Garibaldianer diese Gelegenheit nicht ungenützt vorüber gehen lassen. In der italienischen Bevölkerung herrsche das Gefühl vor, daß Nizza und Mendana die Schuld an Frankreich berich¬ tigt habe, und daß dieses die Antipathie Italiens verdient habe. Die Re¬ gierung scheint auch zuerst zu bewaffneter Neutralität entschlossen gewesen zu sein, indem sie die zwei verabschiedeten Altersklassen (ca. 60000 Mann) wie¬ der unter die Waffen rief, so daß das Heer bis zur Höhe von 200000 Mann gebracht ward. Zwei Beobachtungslager wurden gebildet, das eine in Ober-, das andere in Unter-Italien. An dem unter dem Vorsitz des Königs in Florenz gehaltenen Ministerrathe, in welchem diese Beschlüsse gefaßt wurden, nahmen außer den Ministern auch andere politische Persönlichkeiten Theil, wie der General Lamarmora. Dabei wurde der Fall in Betracht ge¬ zogen, daß der Krieg eine größere Ausdehnung annehmen könnte, bei welcher Eventualität die Bewahrung der Neutralität eine Unmöglichkeit würde. Hier war die Ansicht vorherrschend, daß man sich dann doch an Frankreich anschließe, falls noch andere Mächte ins Feld rücken sollten, da dieses große Anstrengungen mache, um sich den Beistand Italiens zu sichern. Um diesen Punkt drehten sich die häufig wiederholten Unterredungen des Herrn Malaret, Vertreter Frankreichs, mit dem italienischen Minister des Auswärtigen. Am 20. Juli interpellirte bereits der Abgeordnete Corte in der Deputirtenkammer die Regierung wegen der Maßregeln, die sie ge¬ troffen habe, um Italien während des Krieges zwischen Preußen und Frank¬ reich einen regelmäßigen Depeschendienst zu sichern. Corte sprach sich für eine ruhige Haltung des Landes aus, und gegen tumultuarische Straßenkund¬ gebungen. Die Neutralität schließe indessen nicht aus, daß sich das Land

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/314>, abgerufen am 22.07.2024.