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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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keit der Gesellschaft nach Musik verlangt und die Paare sich lustig im Kreise
drehen. Der linde Mondscheinabend lockt die erhitzten Paare in den Garten
hinaus. Arm in Arm wandelt man zwischen den Bäumen und Gebüschen
in vertraulichem Gespräch; man möchte, es nähme nie ein Ende. Unter fröh¬
lichem Zuruf und dem letzten Klingen der Gläser scheiden zu später Stunde
die Freunde, um bald in der Ortenau oder in Philippsburg das trauliche Zu¬
sammensein zu wiederholen.

In Straßburg dasselbe freie, sinnlich genießende Leben. Auch hier muß
man, um gern gesehen zu sein, wacker zu walzen wissen. --

(Fortsetzung folgt.)




Die Hardinen-Oredigten der Iran Joctor Aratemiecher.
Stenographische Aufzeichnungen
von
Ernst Eulenspiegel, höherer Schulamtscandidat.
V o r in e r k.

Ein dem verehrlichen Publicum gänzlich unbekannter junger Autor muß
demselben vorgestellt werden; und wenn er Niemand findet, der dies über¬
nimmt, so muß er es selbst thun. Dies ist mein Fall.

Ich heiße Ernst Eulenspiegel. Hätte ich nicht das Unglück gehabt, schon
im neunten Jahre meine trefflichen Eltern -- Gott habe sie selig -- zu ver¬
lieren und dann zum Vormund einen unordentlichen Mann zu bekommen,
welcher die Familienpapiere verloren und verkrümelt hat, so wäre ich im
Stande, mich als directen Nachkommen meines im Jahre 13S0 in Möllen
bei Lübeck verstorbenen großen Ahn Tyll zu legitimiren. So aber fehlen mir
die Papiere; und wer mir es nicht auf das Wort glauben will, dem kann ich
nicht helfen. Gegenwärtig halte ich mich als Candidat des höhern Schulamtes
in Berlin auf, und da ich arm und auch noch nicht bis zu jenem Punkte der
Erziehungsgelahrtheit durchgedrungen bin, wo dieselbe beginnt, einträglich zu
werden, so habe ich mich auf die Stenographie geworfen, welche gegenwärtig
ein gesuchter Artikel ist und zur Noth es vermag, ihren Mann zu ernähren.

Bei Erlernung dieser Kunst stieß ich auf eine Schwierigkeit. Es ist
nämlich zwar ziemlich leicht, sich die Regeln derselben einzuprägen, allein die
Hauptsache ist die Praxis oder die Uebung. Da ist es denn nöthig, daß
man Jemanden hat, der Einem den Gefallen thut, ohne Unterlaß zu sprechen,
damit man bei der Aufzeichnung seiner geflügelten Worte Gelegenheit habe,


keit der Gesellschaft nach Musik verlangt und die Paare sich lustig im Kreise
drehen. Der linde Mondscheinabend lockt die erhitzten Paare in den Garten
hinaus. Arm in Arm wandelt man zwischen den Bäumen und Gebüschen
in vertraulichem Gespräch; man möchte, es nähme nie ein Ende. Unter fröh¬
lichem Zuruf und dem letzten Klingen der Gläser scheiden zu später Stunde
die Freunde, um bald in der Ortenau oder in Philippsburg das trauliche Zu¬
sammensein zu wiederholen.

In Straßburg dasselbe freie, sinnlich genießende Leben. Auch hier muß
man, um gern gesehen zu sein, wacker zu walzen wissen. —

(Fortsetzung folgt.)




Die Hardinen-Oredigten der Iran Joctor Aratemiecher.
Stenographische Aufzeichnungen
von
Ernst Eulenspiegel, höherer Schulamtscandidat.
V o r in e r k.

Ein dem verehrlichen Publicum gänzlich unbekannter junger Autor muß
demselben vorgestellt werden; und wenn er Niemand findet, der dies über¬
nimmt, so muß er es selbst thun. Dies ist mein Fall.

Ich heiße Ernst Eulenspiegel. Hätte ich nicht das Unglück gehabt, schon
im neunten Jahre meine trefflichen Eltern — Gott habe sie selig — zu ver¬
lieren und dann zum Vormund einen unordentlichen Mann zu bekommen,
welcher die Familienpapiere verloren und verkrümelt hat, so wäre ich im
Stande, mich als directen Nachkommen meines im Jahre 13S0 in Möllen
bei Lübeck verstorbenen großen Ahn Tyll zu legitimiren. So aber fehlen mir
die Papiere; und wer mir es nicht auf das Wort glauben will, dem kann ich
nicht helfen. Gegenwärtig halte ich mich als Candidat des höhern Schulamtes
in Berlin auf, und da ich arm und auch noch nicht bis zu jenem Punkte der
Erziehungsgelahrtheit durchgedrungen bin, wo dieselbe beginnt, einträglich zu
werden, so habe ich mich auf die Stenographie geworfen, welche gegenwärtig
ein gesuchter Artikel ist und zur Noth es vermag, ihren Mann zu ernähren.

Bei Erlernung dieser Kunst stieß ich auf eine Schwierigkeit. Es ist
nämlich zwar ziemlich leicht, sich die Regeln derselben einzuprägen, allein die
Hauptsache ist die Praxis oder die Uebung. Da ist es denn nöthig, daß
man Jemanden hat, der Einem den Gefallen thut, ohne Unterlaß zu sprechen,
damit man bei der Aufzeichnung seiner geflügelten Worte Gelegenheit habe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/26>, abgerufen am 28.06.2024.