Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ganz erstaunliche Dinge sind in dem Kreise unserer Erfahrungen in
Folge des Umstandes zu Tage getreten, daß auch bei dem Geschäft der De¬
potverwaltung die bestehende Organisation der freiwilligen Krankenpflege
einen Stand als solchen begünstigt und unbesehens für tauglich erklärt zur
Besorgung dieses Geschäftes, einen Stand, dessen Angehörige im Zweifel ge¬
rade zu diesem sehr wenig romantischen, überaus nüchternen, eisernen Fleiß
und gesunden, unverschrobenen Menschenverstand erfordernden Geschäfte am
allerwenigsten tauglich sind.

Es wird für die große humanitäre Angelegenheit der freiwilligen Ver.
wundetenpflege auch aus den Erfahrungen dieses Krieges wieder manche
werthvolle Frucht erwachsen. Nach meinen Erfahrungen ist das Wichtigste,
was man aus diesem Kriege in der angedeuteten Richtung lernen kann: die
Nothwendigkeit, bei der Auswahl der Personen, welche in der großen,
immer auf's Neue zu schaffenden Organisation zu arbeiten haben, äußerst
vorsichtig zu sein, nicht ferner einem gewissen Stande als solchem irgend
welche Prärogativen einzuräumen oder von ihm irgend welche Functionen in
Beschlag nehmen zu lassen; endlich aber, zwischen der freiwilligen Hilfsthätig-
keit und den entsprechenden Organen der regulären Armee eine innigere Ver¬
bindung herzustellen. Wenn wir uns erst wieder des Friedens erfreuen,
werden diese Nothwendigkeiten, wahrscheinlich neben einer gründlichen Revi¬
sion der Bestimmungen der Genfer Convention, mit allem Ernst in's Auge
zu fassen sein. Inzwischen wird sich das thatsächliche Material zur Beur¬
theilung meiner Vorschläge gewiß von Tag zu Tag mehren.


A. E.


Deutschland und England.

Wir haben wiederholt an dieser Stelle den tiefen Verfall der englischen
Politik betont, welche beim Ausbruch des Krieges nicht den Muth hatte
ihre Meinung zu sagen, kaum wagte, die steigenden Provocationen der im¬
perialistischen Machthaber zu bedauern, und sich herbeiließ, dem König von
Preußen zu empfehlen, dem Ansinnen Grammont's Folge zu leisten. Wir
haben aber auch schon damals behauptet, daß mit dieser traurigen Karthager¬
politik nicht das letzte Wort Englands gesprochen, daß der Kern der Nation
zu gesund sei, um in dem Dogma der Nichtintervention zu verkommen.
Wir freuen uns zu sehen, daß diese Hoffnung nicht getrogen und daß die


Ganz erstaunliche Dinge sind in dem Kreise unserer Erfahrungen in
Folge des Umstandes zu Tage getreten, daß auch bei dem Geschäft der De¬
potverwaltung die bestehende Organisation der freiwilligen Krankenpflege
einen Stand als solchen begünstigt und unbesehens für tauglich erklärt zur
Besorgung dieses Geschäftes, einen Stand, dessen Angehörige im Zweifel ge¬
rade zu diesem sehr wenig romantischen, überaus nüchternen, eisernen Fleiß
und gesunden, unverschrobenen Menschenverstand erfordernden Geschäfte am
allerwenigsten tauglich sind.

Es wird für die große humanitäre Angelegenheit der freiwilligen Ver.
wundetenpflege auch aus den Erfahrungen dieses Krieges wieder manche
werthvolle Frucht erwachsen. Nach meinen Erfahrungen ist das Wichtigste,
was man aus diesem Kriege in der angedeuteten Richtung lernen kann: die
Nothwendigkeit, bei der Auswahl der Personen, welche in der großen,
immer auf's Neue zu schaffenden Organisation zu arbeiten haben, äußerst
vorsichtig zu sein, nicht ferner einem gewissen Stande als solchem irgend
welche Prärogativen einzuräumen oder von ihm irgend welche Functionen in
Beschlag nehmen zu lassen; endlich aber, zwischen der freiwilligen Hilfsthätig-
keit und den entsprechenden Organen der regulären Armee eine innigere Ver¬
bindung herzustellen. Wenn wir uns erst wieder des Friedens erfreuen,
werden diese Nothwendigkeiten, wahrscheinlich neben einer gründlichen Revi¬
sion der Bestimmungen der Genfer Convention, mit allem Ernst in's Auge
zu fassen sein. Inzwischen wird sich das thatsächliche Material zur Beur¬
theilung meiner Vorschläge gewiß von Tag zu Tag mehren.


A. E.


Deutschland und England.

Wir haben wiederholt an dieser Stelle den tiefen Verfall der englischen
Politik betont, welche beim Ausbruch des Krieges nicht den Muth hatte
ihre Meinung zu sagen, kaum wagte, die steigenden Provocationen der im¬
perialistischen Machthaber zu bedauern, und sich herbeiließ, dem König von
Preußen zu empfehlen, dem Ansinnen Grammont's Folge zu leisten. Wir
haben aber auch schon damals behauptet, daß mit dieser traurigen Karthager¬
politik nicht das letzte Wort Englands gesprochen, daß der Kern der Nation
zu gesund sei, um in dem Dogma der Nichtintervention zu verkommen.
Wir freuen uns zu sehen, daß diese Hoffnung nicht getrogen und daß die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124769"/>
          <p xml:id="ID_177"> Ganz erstaunliche Dinge sind in dem Kreise unserer Erfahrungen in<lb/>
Folge des Umstandes zu Tage getreten, daß auch bei dem Geschäft der De¬<lb/>
potverwaltung die bestehende Organisation der freiwilligen Krankenpflege<lb/>
einen Stand als solchen begünstigt und unbesehens für tauglich erklärt zur<lb/>
Besorgung dieses Geschäftes, einen Stand, dessen Angehörige im Zweifel ge¬<lb/>
rade zu diesem sehr wenig romantischen, überaus nüchternen, eisernen Fleiß<lb/>
und gesunden, unverschrobenen Menschenverstand erfordernden Geschäfte am<lb/>
allerwenigsten tauglich sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_178"> Es wird für die große humanitäre Angelegenheit der freiwilligen Ver.<lb/>
wundetenpflege auch aus den Erfahrungen dieses Krieges wieder manche<lb/>
werthvolle Frucht erwachsen. Nach meinen Erfahrungen ist das Wichtigste,<lb/>
was man aus diesem Kriege in der angedeuteten Richtung lernen kann: die<lb/>
Nothwendigkeit, bei der Auswahl der Personen, welche in der großen,<lb/>
immer auf's Neue zu schaffenden Organisation zu arbeiten haben, äußerst<lb/>
vorsichtig zu sein, nicht ferner einem gewissen Stande als solchem irgend<lb/>
welche Prärogativen einzuräumen oder von ihm irgend welche Functionen in<lb/>
Beschlag nehmen zu lassen; endlich aber, zwischen der freiwilligen Hilfsthätig-<lb/>
keit und den entsprechenden Organen der regulären Armee eine innigere Ver¬<lb/>
bindung herzustellen. Wenn wir uns erst wieder des Friedens erfreuen,<lb/>
werden diese Nothwendigkeiten, wahrscheinlich neben einer gründlichen Revi¬<lb/>
sion der Bestimmungen der Genfer Convention, mit allem Ernst in's Auge<lb/>
zu fassen sein. Inzwischen wird sich das thatsächliche Material zur Beur¬<lb/>
theilung meiner Vorschläge gewiß von Tag zu Tag mehren.</p><lb/>
          <note type="byline"> A. E.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutschland und England.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_179" next="#ID_180"> Wir haben wiederholt an dieser Stelle den tiefen Verfall der englischen<lb/>
Politik betont, welche beim Ausbruch des Krieges nicht den Muth hatte<lb/>
ihre Meinung zu sagen, kaum wagte, die steigenden Provocationen der im¬<lb/>
perialistischen Machthaber zu bedauern, und sich herbeiließ, dem König von<lb/>
Preußen zu empfehlen, dem Ansinnen Grammont's Folge zu leisten. Wir<lb/>
haben aber auch schon damals behauptet, daß mit dieser traurigen Karthager¬<lb/>
politik nicht das letzte Wort Englands gesprochen, daß der Kern der Nation<lb/>
zu gesund sei, um in dem Dogma der Nichtintervention zu verkommen.<lb/>
Wir freuen uns zu sehen, daß diese Hoffnung nicht getrogen und daß die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Ganz erstaunliche Dinge sind in dem Kreise unserer Erfahrungen in Folge des Umstandes zu Tage getreten, daß auch bei dem Geschäft der De¬ potverwaltung die bestehende Organisation der freiwilligen Krankenpflege einen Stand als solchen begünstigt und unbesehens für tauglich erklärt zur Besorgung dieses Geschäftes, einen Stand, dessen Angehörige im Zweifel ge¬ rade zu diesem sehr wenig romantischen, überaus nüchternen, eisernen Fleiß und gesunden, unverschrobenen Menschenverstand erfordernden Geschäfte am allerwenigsten tauglich sind. Es wird für die große humanitäre Angelegenheit der freiwilligen Ver. wundetenpflege auch aus den Erfahrungen dieses Krieges wieder manche werthvolle Frucht erwachsen. Nach meinen Erfahrungen ist das Wichtigste, was man aus diesem Kriege in der angedeuteten Richtung lernen kann: die Nothwendigkeit, bei der Auswahl der Personen, welche in der großen, immer auf's Neue zu schaffenden Organisation zu arbeiten haben, äußerst vorsichtig zu sein, nicht ferner einem gewissen Stande als solchem irgend welche Prärogativen einzuräumen oder von ihm irgend welche Functionen in Beschlag nehmen zu lassen; endlich aber, zwischen der freiwilligen Hilfsthätig- keit und den entsprechenden Organen der regulären Armee eine innigere Ver¬ bindung herzustellen. Wenn wir uns erst wieder des Friedens erfreuen, werden diese Nothwendigkeiten, wahrscheinlich neben einer gründlichen Revi¬ sion der Bestimmungen der Genfer Convention, mit allem Ernst in's Auge zu fassen sein. Inzwischen wird sich das thatsächliche Material zur Beur¬ theilung meiner Vorschläge gewiß von Tag zu Tag mehren. A. E. Deutschland und England. Wir haben wiederholt an dieser Stelle den tiefen Verfall der englischen Politik betont, welche beim Ausbruch des Krieges nicht den Muth hatte ihre Meinung zu sagen, kaum wagte, die steigenden Provocationen der im¬ perialistischen Machthaber zu bedauern, und sich herbeiließ, dem König von Preußen zu empfehlen, dem Ansinnen Grammont's Folge zu leisten. Wir haben aber auch schon damals behauptet, daß mit dieser traurigen Karthager¬ politik nicht das letzte Wort Englands gesprochen, daß der Kern der Nation zu gesund sei, um in dem Dogma der Nichtintervention zu verkommen. Wir freuen uns zu sehen, daß diese Hoffnung nicht getrogen und daß die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/63>, abgerufen am 22.12.2024.