Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Wahrnehmungen auf einem Liebesgabentransport. Schon zweimal hatte einer unserer Mitbürger, Fabrikbesitzer R., seinen Auf der Fahrt nach Frankfurt befanden sich im Zuge gegen 800 Mann Grmzboten IV. 1870. S9
Wahrnehmungen auf einem Liebesgabentransport. Schon zweimal hatte einer unserer Mitbürger, Fabrikbesitzer R., seinen Auf der Fahrt nach Frankfurt befanden sich im Zuge gegen 800 Mann Grmzboten IV. 1870. S9
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Wahrnehmungen auf einem Liebesgabentransport.
Schon zweimal hatte einer unserer Mitbürger, Fabrikbesitzer R., seinen
echten Patriotismus nicht nur dadurch bekundet, daß er in großartigem Ma߬
stabe aus eigenen Mitteln Liebesgaben, besonders warme Kleidung (wollene
Strümpfe, Hemden, Decken u. f. w.) für unsere Krieger draußen beschaffte,
nein, er war auch vornehmlich darum bemüht, diese Wohlthaten in die rechten
Hände gelangen zu lassen. Zu diesem Zwecke hatte er beide Transporte selber
begleitet und an Ort und Stelle, in Metz, selbst vertheilt. Schreiber dieser
Zeilen begleitete ihn, als er zum dritten Male einen mit Gaben beladenen
Waggon an dasselbe Ziel führte, wo unsere Truppen ja der Hülse besonders
bedurften. Er glaubt, daß einige sachliche auf diesem Ausfluge gesammelte
Wahrnehmungen den Lesern d. Bl. willkommen sein dürsten, sollten sie auch
nicht sonderlich Neues enthalten.
Auf der Fahrt nach Frankfurt befanden sich im Zuge gegen 800 Mann
von den verschiedensten Truppentheilen, die von ihren Wunden geheilt
weiteren Kämpfen und Gefahren entgegengingen. Obwohl so mancher an¬
gesichts der rauhen Jahreszeit keineswegs mit genügender warmer Kleidung
versehen war, that das doch ihrem Muth und ihrer Begeisterung nicht Ein¬
trag. Den ganzen Tag über erklangen aus den Wagen Kriegs- und Ab¬
schiedslieder, oder wurden derbe Soldatenwitze mit schallendem Gelächter be¬
antwortet. Trotzdem der Zug als „durchgehender Eilzug" bezeichnet war,
traf er doch erst 5 Stunden zu spät, um Uhr Abends, in Frankfurt ein,
wo nur nach vielen und ganz besonderen Bemühungen die Ueberführung
der Liebesgaben nach dem Main-Neckarbahnhof und von da erst nach drei¬
stündigem Hin- und Herlaufen und Wortwechsel mit den Beamten die Weiter¬
fahrt nach Mannheim erreicht ward. Hier gab es anderen Tages neue Ge¬
duldproben. In Folge der langersehnten Uebergabe von Metz füllten Trans¬
portzüge mit französischen Gefangenen und Güterzüge mit Armeelieferungen
den Bahnhof an, es fehlte an Locomotiven und noch dazu war unser Militärzug
von Frankfurt aus — wie der Mannheimer Bahnhossinspector behauptete, aus
Versehen! — gar nicht angemeldet worden. Vergebens bot der den Zug befestigend
Offizier Bitten und Drohungen auf, um die Weiterbeförderung durchzusetzen.
Auf dem Bahnhofe stand eine Abtheilung französischer Gefangener von so
erbärmlichen Aussehen, daß unsere reconvalescenten Mannschaften mitleidig
ihre Brotbeutel leerten und mit dem Feinde theilten; ja mancher griff selbst
in die spärlich gefüllte Tasche, um für die Verhungerten Brot, Wurst und
Bier zu kaufen. Schon hier machte übrigens Schreiber dieser Zeilen die Er-
Grmzboten IV. 1870. S9
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