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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Fürsten beantragt, im Entstehen. Uns Altpreußen möge man verzeihen, wenn
wir diese Veränderung nicht ganz so ansehen, wie wohl andre Patrioten.
Sie soll opportun sein, auch günstig wirken im deutschen Süden. Wir aber
waren lange gewöhnt zu glauben, daß das Heerkönigthum unserer Hohen-
zollern etwas neues in der Welt und etwas besseres und stolzeres sei, als
die alte Kaiserkrone; es wird darum im Augenblick Manchem unter uns
nicht ganz leicht, die Zuvorkommenheit deutscher Fürsten nach Gebühr zu
würdigen.




"Gemischtes" von der Tafel deutscher Wissenschaft.

1. Kleine Schriften von Dr. Johannes Huber, Leipzig 1871. Duncker und
Humblot. -- 2. (Spinoza's theologisch-politischer Traktat auf seine Quellen geprüft
von or. M. IM, Breslau 1870, Schickler'sche Buchhandlung). -- 3. Sammlung ge¬
meinverständlicher Borträge, herausgg. v. R. Virchow u. Fr. v. Holtzendorff.
V. Serie, Heft 102--113. Berlin 1870. A. Charifius. -- Geologische Wanderungen
durch Altpreußen. Gesammelte Aufsätze v. Julius Schumann, Königsberg 1869.
Hübner u. Matz.

"Gemischtes" nennt man in Salzburg und Tirol den köstlichen Nachtisch von
Bozener oder Meraner Früchten, die bunt durcheinander gemengt, so verschieden auch
ihr duftiger Geschmack sein mag, doch alle durch Saftfülle und süße Reife die
gleiche Sonne und dieselbe menschliche Pflege verrathen. Man achte es nicht für
Spott oder Tadel, wenn wir damit einmal die Sammlungen von kleineren, wohl¬
geschriebenen und leicht lesbaren Aufsätzen vergleichen, womit uns im letzten Jahr¬
zehnt weit häusiger als früher unsre Gelehrten beschenkt haben. Der fremde Name
Essay, der gewöhnlich für sie gebraucht wird, beweist, daß wir Deutschen uns erst
nach ausländischem Vorgänge an diese Gattung geistiger Production gewöhnt haben.
Aber schnell und sicher hat sich die Essayliteratur bei uns eingebürgert, ja so sehr,
daß man bereits Klagen darüber vernehmen kann. Ein befreundeter Verleger sagte
uns jüngst mit Betrübniß, die großen, eigentlich gelehrten Werke fänden nicht mehr
wie sonst rechte Theilnahme im Publicum, Geduld und Energie sie durchzulesen
seien in Abnahme. -- alle Welt verlange nach Essays. Die sprächen zu jeder
Tageszeit an, dienten zur Erholung nach den Stunden des Amtes oder Geschäfts;
wenn sie nur halwege rund und anmuthig gehalten wären, lese man jedesmal einen
gleich von Anfang bis zu Ende, der Buchzeichen und der stillen Wiederbesinnung,
wobei man gestern stehen geblieben, bedürfe es hinfort nicht mehr. Ich traue dem
Manne wohl zu, daß er richtig beobachtet hat; die Buchführung der Verleger bringt


Fürsten beantragt, im Entstehen. Uns Altpreußen möge man verzeihen, wenn
wir diese Veränderung nicht ganz so ansehen, wie wohl andre Patrioten.
Sie soll opportun sein, auch günstig wirken im deutschen Süden. Wir aber
waren lange gewöhnt zu glauben, daß das Heerkönigthum unserer Hohen-
zollern etwas neues in der Welt und etwas besseres und stolzeres sei, als
die alte Kaiserkrone; es wird darum im Augenblick Manchem unter uns
nicht ganz leicht, die Zuvorkommenheit deutscher Fürsten nach Gebühr zu
würdigen.




„Gemischtes" von der Tafel deutscher Wissenschaft.

1. Kleine Schriften von Dr. Johannes Huber, Leipzig 1871. Duncker und
Humblot. — 2. (Spinoza's theologisch-politischer Traktat auf seine Quellen geprüft
von or. M. IM, Breslau 1870, Schickler'sche Buchhandlung). — 3. Sammlung ge¬
meinverständlicher Borträge, herausgg. v. R. Virchow u. Fr. v. Holtzendorff.
V. Serie, Heft 102—113. Berlin 1870. A. Charifius. — Geologische Wanderungen
durch Altpreußen. Gesammelte Aufsätze v. Julius Schumann, Königsberg 1869.
Hübner u. Matz.

„Gemischtes" nennt man in Salzburg und Tirol den köstlichen Nachtisch von
Bozener oder Meraner Früchten, die bunt durcheinander gemengt, so verschieden auch
ihr duftiger Geschmack sein mag, doch alle durch Saftfülle und süße Reife die
gleiche Sonne und dieselbe menschliche Pflege verrathen. Man achte es nicht für
Spott oder Tadel, wenn wir damit einmal die Sammlungen von kleineren, wohl¬
geschriebenen und leicht lesbaren Aufsätzen vergleichen, womit uns im letzten Jahr¬
zehnt weit häusiger als früher unsre Gelehrten beschenkt haben. Der fremde Name
Essay, der gewöhnlich für sie gebraucht wird, beweist, daß wir Deutschen uns erst
nach ausländischem Vorgänge an diese Gattung geistiger Production gewöhnt haben.
Aber schnell und sicher hat sich die Essayliteratur bei uns eingebürgert, ja so sehr,
daß man bereits Klagen darüber vernehmen kann. Ein befreundeter Verleger sagte
uns jüngst mit Betrübniß, die großen, eigentlich gelehrten Werke fänden nicht mehr
wie sonst rechte Theilnahme im Publicum, Geduld und Energie sie durchzulesen
seien in Abnahme. — alle Welt verlange nach Essays. Die sprächen zu jeder
Tageszeit an, dienten zur Erholung nach den Stunden des Amtes oder Geschäfts;
wenn sie nur halwege rund und anmuthig gehalten wären, lese man jedesmal einen
gleich von Anfang bis zu Ende, der Buchzeichen und der stillen Wiederbesinnung,
wobei man gestern stehen geblieben, bedürfe es hinfort nicht mehr. Ich traue dem
Manne wohl zu, daß er richtig beobachtet hat; die Buchführung der Verleger bringt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/443>, abgerufen am 22.12.2024.