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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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vorgekommen. Vielleicht kriegen wirs hier bald. Du kannst denken, wie ich
drauf begierig bin, denn ich kann den Kerl nicht leiden. Vergib mir dieß-
mal, daß ich so gehütete habe. Noch einmal Tausend Dank für Deine
Briefe und die Portraits! Ganz Dein


Miller.


Kriegsbericht.

In dieser Woche großer Ereignisse gaben die harten Kämpfe auf der
Südostseite von Paris aufs neue zu einer Vergleichung mit den Ereignissen
vor Metz Veranlassung. Es war am 30. Nov. und 2. Dec. sehr blutiges
Ringen, die Sachsen und Würtenberger hatten weitaus den Hauptantheil
an Verlust und Ehre; wie bei Ausfällen aus großen Festungen neuen Stils
unvermeidlich ist, drängten die gesammelten Massen der Belagerten zuerst an
der Aussallstelle die entgegenstehenden deutschen Truppen zurück, bis sie durch
Anzug größerer Massen aufgehalten und zurückgedrückt wurden. Dabei ist
das Zahlenverhältniß erwähnungswerth; nach niedrigster Schätzung zählten
die über die Marne ausfallenden Franzosen 80--100,000 Mann, ihr An-
griff wurde in der Hauptsache durch eine Division (4 Regimenter) der Sachsen
und die würtenbergische Division, zusammen jetzt etwa 22,000 Mann, zurück¬
geschlagen. Aber freilich ist die ungleich größere Güte unsrer Truppen auch
nothwendig, denn das deutsche Heer umfaßt in weitem Ringe mit etwa
220,000 M. die Befestigungen der Riesenstadt, welche doch außer den Natio¬
nalgarten wahrscheinlich mehr als 300,000 M. geschulter Soldaten, im Schutz
ihrer Kanonen, in Besitz von unermeßlichen Kriegsmitteln, zählt. Die Be¬
lagerung von Paris ist also für die Deutschen eine weitaus schwerere Ar¬
beit, als die von Metz, sie ist überhaupt etwas Neues, in dieser Art nicht
Dagewesenes. Und doch haben die Belagerten mit allen Vortheilen, welche
ihnen bei einem Kampf in der Nähe von Paris zustehen, in den letz¬
ten großen Ausfällen durchaus nicht mehr erreicht, als Bazaine vor Metz.
Auch wird sich schwerlich behaupten lassen, daß die Anstrengungen Ducrots,
bet Berücksichtigung jenes Zahlenverhältnisses, energischer waren, als die des
kaiserlichen Generals. Die beabsichtigte Sprengung des Belagerungsringes
hätte, selbst wenn sie gelungen wäre, nur dann einen großen Erfolg
vorbereitet, wenn es der Loirearmee glückte, sich mit den ausfallenden
Truppen zu vereinigen und in einer Reihe von Gefechten die umlagernden
deutschen Corps vor ihrer Vereinigung auseinanderzuwersen, und so die
Belagerung von Paris zu nichte zu machen. Da dies durchaus mißlungen


Grenzboten IV. 187V. Ü5

vorgekommen. Vielleicht kriegen wirs hier bald. Du kannst denken, wie ich
drauf begierig bin, denn ich kann den Kerl nicht leiden. Vergib mir dieß-
mal, daß ich so gehütete habe. Noch einmal Tausend Dank für Deine
Briefe und die Portraits! Ganz Dein


Miller.


Kriegsbericht.

In dieser Woche großer Ereignisse gaben die harten Kämpfe auf der
Südostseite von Paris aufs neue zu einer Vergleichung mit den Ereignissen
vor Metz Veranlassung. Es war am 30. Nov. und 2. Dec. sehr blutiges
Ringen, die Sachsen und Würtenberger hatten weitaus den Hauptantheil
an Verlust und Ehre; wie bei Ausfällen aus großen Festungen neuen Stils
unvermeidlich ist, drängten die gesammelten Massen der Belagerten zuerst an
der Aussallstelle die entgegenstehenden deutschen Truppen zurück, bis sie durch
Anzug größerer Massen aufgehalten und zurückgedrückt wurden. Dabei ist
das Zahlenverhältniß erwähnungswerth; nach niedrigster Schätzung zählten
die über die Marne ausfallenden Franzosen 80—100,000 Mann, ihr An-
griff wurde in der Hauptsache durch eine Division (4 Regimenter) der Sachsen
und die würtenbergische Division, zusammen jetzt etwa 22,000 Mann, zurück¬
geschlagen. Aber freilich ist die ungleich größere Güte unsrer Truppen auch
nothwendig, denn das deutsche Heer umfaßt in weitem Ringe mit etwa
220,000 M. die Befestigungen der Riesenstadt, welche doch außer den Natio¬
nalgarten wahrscheinlich mehr als 300,000 M. geschulter Soldaten, im Schutz
ihrer Kanonen, in Besitz von unermeßlichen Kriegsmitteln, zählt. Die Be¬
lagerung von Paris ist also für die Deutschen eine weitaus schwerere Ar¬
beit, als die von Metz, sie ist überhaupt etwas Neues, in dieser Art nicht
Dagewesenes. Und doch haben die Belagerten mit allen Vortheilen, welche
ihnen bei einem Kampf in der Nähe von Paris zustehen, in den letz¬
ten großen Ausfällen durchaus nicht mehr erreicht, als Bazaine vor Metz.
Auch wird sich schwerlich behaupten lassen, daß die Anstrengungen Ducrots,
bet Berücksichtigung jenes Zahlenverhältnisses, energischer waren, als die des
kaiserlichen Generals. Die beabsichtigte Sprengung des Belagerungsringes
hätte, selbst wenn sie gelungen wäre, nur dann einen großen Erfolg
vorbereitet, wenn es der Loirearmee glückte, sich mit den ausfallenden
Truppen zu vereinigen und in einer Reihe von Gefechten die umlagernden
deutschen Corps vor ihrer Vereinigung auseinanderzuwersen, und so die
Belagerung von Paris zu nichte zu machen. Da dies durchaus mißlungen


Grenzboten IV. 187V. Ü5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/441>, abgerufen am 22.12.2024.