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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Die Verwaltungsrechtspflege in Clsaß-Lothringen.

Seitdem wir ein großes deutsches Staatsleben sich entwickeln sehen,
treten Fragen, die lange erörtert wurden, jedoch nicht zu endgiltiger Ent¬
scheidung gedeihen wollten, in drängender Gestalt auf und erzwingen manch¬
mal unerwartet rasch und leicht ihre Austragung. Die staatlichen Aufgaben
der Gegenwart find zu zahlreich, der unmittelbaren Erfüllung zu bedürftig,
um langwierige Verhandlungen zu gestatten. Nicht die letzte Stelle unter
diesen Fragen, der inneren Bedeutung wie der äußeren Geschichte nach, nimmt
die Verwaltungsrechtspflege ein, eine Frage, die im Laufe des Jahrhunderts in
kürzeren oder längeren Zwischenräumen zur Sprache gekommen ist, um wie¬
der bei Seite gelegt oder blos ungenügend gelöst zu werden. Nächst Baden
hat der norddeutsche Bund zuerst Entscheidendes gethan und in dem am
1. Juli 1871 in Wirksamkeit tretenden Bundesamt für das Heimathswesen
den allerdings kleinen Anfang eines Verwaltungsgerichtshofs geschaffen. Kaum
daß dies aber geschehen, bringt die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens die
Frage in ihrer vollen Ausdehnung zur Anregung und die Wahrscheinlichkeit
spricht dafür, daß sie von dort aus ihrer vollständigen Lösung entgegen¬
geführt wird.

Die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens verpflanzt mit einem Mal die
französische Verwaltungsrechtspflege auf deutschen Boden und bei dem heuti¬
gen Stand der Ansichten über die Verwaltungsrechtspflege kann davon keine
Rede sein, diese Verwaltungsgerichtsorganisation, weil französischen Ur¬
sprungs, beseitigen zu wollen. Hier wie auf anderen Gebieten ist die Re¬
gierungsaufgabe, den deutschen Anschauungen Eingang und Haltung zu ver¬
schaffen, es darf jedoch nur in schonender Weise, ohne Ueberstürzung ge¬
schehen. Da allein, wo die deutsche Anschauung mit der französischen sich
stößt, wo die Grundzüge unserer Staatseinrichtungen berührt werden, wo
unumstößliche Grundsätze in Frage stehen, muß von Anfang ändernd ein¬
gegriffen, muß der Gegensatz deutschen Wesens herausgekehrt werden. Durch
diese Nothwendigkeit wird diese sofortige Aenderung der Zuständigkeit der
elsässisch-lothringischen Verwaltungsgerichte bedingt. Es betrifft die Fälle,
die nach deutschen Begriffen und Vorstellungen vor den bürgerlichen Richter
gehören und, wie erwähnt werden mag, wohl wesentlich an der leidenschaft¬
lichen Verurtheilung der Verwaltungsrechtspflege, an den beinahe zahllosen
Mißverständnissen über sie Schuld haben. Ihre verwaltungsgerichtliche Be¬
handlung widerstrebte mit vollem Recht dem deutschen Rechtsgefühl, die Ab¬
neigung übertrug sich jedoch aus die ganze Rechtseinrichtung, während nur


Die Verwaltungsrechtspflege in Clsaß-Lothringen.

Seitdem wir ein großes deutsches Staatsleben sich entwickeln sehen,
treten Fragen, die lange erörtert wurden, jedoch nicht zu endgiltiger Ent¬
scheidung gedeihen wollten, in drängender Gestalt auf und erzwingen manch¬
mal unerwartet rasch und leicht ihre Austragung. Die staatlichen Aufgaben
der Gegenwart find zu zahlreich, der unmittelbaren Erfüllung zu bedürftig,
um langwierige Verhandlungen zu gestatten. Nicht die letzte Stelle unter
diesen Fragen, der inneren Bedeutung wie der äußeren Geschichte nach, nimmt
die Verwaltungsrechtspflege ein, eine Frage, die im Laufe des Jahrhunderts in
kürzeren oder längeren Zwischenräumen zur Sprache gekommen ist, um wie¬
der bei Seite gelegt oder blos ungenügend gelöst zu werden. Nächst Baden
hat der norddeutsche Bund zuerst Entscheidendes gethan und in dem am
1. Juli 1871 in Wirksamkeit tretenden Bundesamt für das Heimathswesen
den allerdings kleinen Anfang eines Verwaltungsgerichtshofs geschaffen. Kaum
daß dies aber geschehen, bringt die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens die
Frage in ihrer vollen Ausdehnung zur Anregung und die Wahrscheinlichkeit
spricht dafür, daß sie von dort aus ihrer vollständigen Lösung entgegen¬
geführt wird.

Die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens verpflanzt mit einem Mal die
französische Verwaltungsrechtspflege auf deutschen Boden und bei dem heuti¬
gen Stand der Ansichten über die Verwaltungsrechtspflege kann davon keine
Rede sein, diese Verwaltungsgerichtsorganisation, weil französischen Ur¬
sprungs, beseitigen zu wollen. Hier wie auf anderen Gebieten ist die Re¬
gierungsaufgabe, den deutschen Anschauungen Eingang und Haltung zu ver¬
schaffen, es darf jedoch nur in schonender Weise, ohne Ueberstürzung ge¬
schehen. Da allein, wo die deutsche Anschauung mit der französischen sich
stößt, wo die Grundzüge unserer Staatseinrichtungen berührt werden, wo
unumstößliche Grundsätze in Frage stehen, muß von Anfang ändernd ein¬
gegriffen, muß der Gegensatz deutschen Wesens herausgekehrt werden. Durch
diese Nothwendigkeit wird diese sofortige Aenderung der Zuständigkeit der
elsässisch-lothringischen Verwaltungsgerichte bedingt. Es betrifft die Fälle,
die nach deutschen Begriffen und Vorstellungen vor den bürgerlichen Richter
gehören und, wie erwähnt werden mag, wohl wesentlich an der leidenschaft¬
lichen Verurtheilung der Verwaltungsrechtspflege, an den beinahe zahllosen
Mißverständnissen über sie Schuld haben. Ihre verwaltungsgerichtliche Be¬
handlung widerstrebte mit vollem Recht dem deutschen Rechtsgefühl, die Ab¬
neigung übertrug sich jedoch aus die ganze Rechtseinrichtung, während nur


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[0224] Die Verwaltungsrechtspflege in Clsaß-Lothringen. Seitdem wir ein großes deutsches Staatsleben sich entwickeln sehen, treten Fragen, die lange erörtert wurden, jedoch nicht zu endgiltiger Ent¬ scheidung gedeihen wollten, in drängender Gestalt auf und erzwingen manch¬ mal unerwartet rasch und leicht ihre Austragung. Die staatlichen Aufgaben der Gegenwart find zu zahlreich, der unmittelbaren Erfüllung zu bedürftig, um langwierige Verhandlungen zu gestatten. Nicht die letzte Stelle unter diesen Fragen, der inneren Bedeutung wie der äußeren Geschichte nach, nimmt die Verwaltungsrechtspflege ein, eine Frage, die im Laufe des Jahrhunderts in kürzeren oder längeren Zwischenräumen zur Sprache gekommen ist, um wie¬ der bei Seite gelegt oder blos ungenügend gelöst zu werden. Nächst Baden hat der norddeutsche Bund zuerst Entscheidendes gethan und in dem am 1. Juli 1871 in Wirksamkeit tretenden Bundesamt für das Heimathswesen den allerdings kleinen Anfang eines Verwaltungsgerichtshofs geschaffen. Kaum daß dies aber geschehen, bringt die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens die Frage in ihrer vollen Ausdehnung zur Anregung und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sie von dort aus ihrer vollständigen Lösung entgegen¬ geführt wird. Die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens verpflanzt mit einem Mal die französische Verwaltungsrechtspflege auf deutschen Boden und bei dem heuti¬ gen Stand der Ansichten über die Verwaltungsrechtspflege kann davon keine Rede sein, diese Verwaltungsgerichtsorganisation, weil französischen Ur¬ sprungs, beseitigen zu wollen. Hier wie auf anderen Gebieten ist die Re¬ gierungsaufgabe, den deutschen Anschauungen Eingang und Haltung zu ver¬ schaffen, es darf jedoch nur in schonender Weise, ohne Ueberstürzung ge¬ schehen. Da allein, wo die deutsche Anschauung mit der französischen sich stößt, wo die Grundzüge unserer Staatseinrichtungen berührt werden, wo unumstößliche Grundsätze in Frage stehen, muß von Anfang ändernd ein¬ gegriffen, muß der Gegensatz deutschen Wesens herausgekehrt werden. Durch diese Nothwendigkeit wird diese sofortige Aenderung der Zuständigkeit der elsässisch-lothringischen Verwaltungsgerichte bedingt. Es betrifft die Fälle, die nach deutschen Begriffen und Vorstellungen vor den bürgerlichen Richter gehören und, wie erwähnt werden mag, wohl wesentlich an der leidenschaft¬ lichen Verurtheilung der Verwaltungsrechtspflege, an den beinahe zahllosen Mißverständnissen über sie Schuld haben. Ihre verwaltungsgerichtliche Be¬ handlung widerstrebte mit vollem Recht dem deutschen Rechtsgefühl, die Ab¬ neigung übertrug sich jedoch aus die ganze Rechtseinrichtung, während nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/224>, abgerufen am 22.12.2024.