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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Wer Sturz des Cäsarismus.

Es war nicht nur eine Dynastie, welche in der weltgeschichtlichen Kata¬
strophe von Sedan zusammenbrach, sondern ein Regierungssystem, das lange
auf Europa schwer gelastet hatte. Das Regiment Napoleons III. hatte mit
der orientalisch-russischen Despotie, sowie mit dem patriarchalisch-bureaukrati¬
schen Absolutismus deutscher Staaten vor 1848 nur das gemein, daß in
letzter Instanz stets der persönliche Wille des Souveräns entschied, die Art
aber, wie das zweite Kaiserthum seine unumschränkte Macht begründete, war
ihm durchaus eigenthümlich. Der Cäsarismus, den Napoleon I. skizzirr, aber
den erst der Neffe zu einem System ausgebildet, sucht durch ein directes
Votum des Volkes die unbedingte Autorität des Souveräns zu begründen
und dadurch die regelmäßige Nationalvertretung ohnmächtig zu machen.
Das blinde Vertrauen der unwissenden Massen auf einen großen Namen als
Repräsentanten des Ruhmes und der Ordnung wird gebraucht, um die in¬
telligente Kritik der höheren Klassen in Schach zu halten, welche die Wünsche
der Nation kennen und zugleich die Mittel zu beurtheilen wissen, durch welche
dieselben befriedigt werden können. Daher fehlen die verbindenden Mittel¬
glieder des repräsentativen Systems, über der gleichgewalzten Volksoberfläche
erhebt sich als einsame Spitze der Cäsar. Und wie derselbe seine Macht aus
der directen Wahl des Volkes ableitet, so erklärt er sich auch nur der Ge¬
sammtheit des Volkes verantwortlich; zeigt sich bei mangelhaften Erfolgen der
Regierung allgemeinere Unzufriedenheit, so wird an die Massen appellirt
und aus dem Bade des Plebiscits steigt die Autorität des Imperators ver¬
jüngt hervor, das Volk selbst hat zwischen ihm und den Unzusrtedenen
gerichtet.

Wie einfach, wie großartig nahm sich dies System aus, wie erhob der
Träger desselben Frankreich aus den Wirren der Revolution rasch zur lei¬
tenden Macht Europas, welchen Ausschwung nahm die materielle Entwicke¬
lung des Landes unter dieser fürsorglichen Staatsgewalt, mit welcher Ge¬
ringschätzung wurde die unbeholfene parlamentarische Wirthschaft angesehen,
die nur mühsam hinter solchen Erfolgen herhinken konnte!


Grenzboten IV. 1870. 26
Wer Sturz des Cäsarismus.

Es war nicht nur eine Dynastie, welche in der weltgeschichtlichen Kata¬
strophe von Sedan zusammenbrach, sondern ein Regierungssystem, das lange
auf Europa schwer gelastet hatte. Das Regiment Napoleons III. hatte mit
der orientalisch-russischen Despotie, sowie mit dem patriarchalisch-bureaukrati¬
schen Absolutismus deutscher Staaten vor 1848 nur das gemein, daß in
letzter Instanz stets der persönliche Wille des Souveräns entschied, die Art
aber, wie das zweite Kaiserthum seine unumschränkte Macht begründete, war
ihm durchaus eigenthümlich. Der Cäsarismus, den Napoleon I. skizzirr, aber
den erst der Neffe zu einem System ausgebildet, sucht durch ein directes
Votum des Volkes die unbedingte Autorität des Souveräns zu begründen
und dadurch die regelmäßige Nationalvertretung ohnmächtig zu machen.
Das blinde Vertrauen der unwissenden Massen auf einen großen Namen als
Repräsentanten des Ruhmes und der Ordnung wird gebraucht, um die in¬
telligente Kritik der höheren Klassen in Schach zu halten, welche die Wünsche
der Nation kennen und zugleich die Mittel zu beurtheilen wissen, durch welche
dieselben befriedigt werden können. Daher fehlen die verbindenden Mittel¬
glieder des repräsentativen Systems, über der gleichgewalzten Volksoberfläche
erhebt sich als einsame Spitze der Cäsar. Und wie derselbe seine Macht aus
der directen Wahl des Volkes ableitet, so erklärt er sich auch nur der Ge¬
sammtheit des Volkes verantwortlich; zeigt sich bei mangelhaften Erfolgen der
Regierung allgemeinere Unzufriedenheit, so wird an die Massen appellirt
und aus dem Bade des Plebiscits steigt die Autorität des Imperators ver¬
jüngt hervor, das Volk selbst hat zwischen ihm und den Unzusrtedenen
gerichtet.

Wie einfach, wie großartig nahm sich dies System aus, wie erhob der
Träger desselben Frankreich aus den Wirren der Revolution rasch zur lei¬
tenden Macht Europas, welchen Ausschwung nahm die materielle Entwicke¬
lung des Landes unter dieser fürsorglichen Staatsgewalt, mit welcher Ge¬
ringschätzung wurde die unbeholfene parlamentarische Wirthschaft angesehen,
die nur mühsam hinter solchen Erfolgen herhinken konnte!


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[0209] Wer Sturz des Cäsarismus. Es war nicht nur eine Dynastie, welche in der weltgeschichtlichen Kata¬ strophe von Sedan zusammenbrach, sondern ein Regierungssystem, das lange auf Europa schwer gelastet hatte. Das Regiment Napoleons III. hatte mit der orientalisch-russischen Despotie, sowie mit dem patriarchalisch-bureaukrati¬ schen Absolutismus deutscher Staaten vor 1848 nur das gemein, daß in letzter Instanz stets der persönliche Wille des Souveräns entschied, die Art aber, wie das zweite Kaiserthum seine unumschränkte Macht begründete, war ihm durchaus eigenthümlich. Der Cäsarismus, den Napoleon I. skizzirr, aber den erst der Neffe zu einem System ausgebildet, sucht durch ein directes Votum des Volkes die unbedingte Autorität des Souveräns zu begründen und dadurch die regelmäßige Nationalvertretung ohnmächtig zu machen. Das blinde Vertrauen der unwissenden Massen auf einen großen Namen als Repräsentanten des Ruhmes und der Ordnung wird gebraucht, um die in¬ telligente Kritik der höheren Klassen in Schach zu halten, welche die Wünsche der Nation kennen und zugleich die Mittel zu beurtheilen wissen, durch welche dieselben befriedigt werden können. Daher fehlen die verbindenden Mittel¬ glieder des repräsentativen Systems, über der gleichgewalzten Volksoberfläche erhebt sich als einsame Spitze der Cäsar. Und wie derselbe seine Macht aus der directen Wahl des Volkes ableitet, so erklärt er sich auch nur der Ge¬ sammtheit des Volkes verantwortlich; zeigt sich bei mangelhaften Erfolgen der Regierung allgemeinere Unzufriedenheit, so wird an die Massen appellirt und aus dem Bade des Plebiscits steigt die Autorität des Imperators ver¬ jüngt hervor, das Volk selbst hat zwischen ihm und den Unzusrtedenen gerichtet. Wie einfach, wie großartig nahm sich dies System aus, wie erhob der Träger desselben Frankreich aus den Wirren der Revolution rasch zur lei¬ tenden Macht Europas, welchen Ausschwung nahm die materielle Entwicke¬ lung des Landes unter dieser fürsorglichen Staatsgewalt, mit welcher Ge¬ ringschätzung wurde die unbeholfene parlamentarische Wirthschaft angesehen, die nur mühsam hinter solchen Erfolgen herhinken konnte! Grenzboten IV. 1870. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/209>, abgerufen am 22.12.2024.