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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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geht, den Bund so viel als möglich auf eigene Einnahmen anstatt auf Matri-
cularbeiträge zu verweisen.

neuestens hat nun zwar wieder von einer kleinen Rückwärtsbewegung
der würtembergischen Regierung verlauten wollen. Man wird aber solchen
Schwankungen keine Bedeutung mehr beilegen dürfen. Vielleicht handelt es
sich um ein kleines Manöver, ausgeführt zur Schonung des bedächtigeren
Bayerns. Nach wie vor ist man überzeugt, daß Würtemberg auf alle Fälle
den Anschluß sucht, und da es ihn sucht, wird es ihn auch finden. Für ein
langes theoretisches Hinundherreden wird im Hauptquartier schwerlich viel
Zeit sein. Und nicht wenig werden die Verhandlungen beschleunigt werden
durch den Entschluß Preußens, den die süddeutschen Bevollmächtigten vorfin¬
den werden, an der Nordbundsverfassung nicht rütteln zu lassen. Nicht darum
handelt es sich, diese Verfassung erst so zu modificiren. daß sie den beilreten-
den Gliedern genehm wird, es handelt sich nur um Zugeständnisse, die ihnen
bei ihrem Eintritt in den Bund gewährt werden können. Das übrige aber
mag die Atmosphäre thun, in welcher diese Verhandlungen stattfinden: das
durch vereinte Macht niedergeworfene Feindesland und das deutsche Heer,
das den Anspruch darauf hat, in ein geeintes Vaterland heimzukehren.




Kriegsbericht.
Schwarzweißroth und die deutsche Frage.

Es war vorauszusehen, daß die Reise des Herrn Thiers den neutralen
Mächten eine willkommene Anregung geben werde, ihre Friedenswünsche den
Kriegssührenden mitzutheilen. Auch Industrie, Handel, Staatseinnahmen
der Neutralen leiden unter dem Kriege; die unerhörten Siege der Deutschen
und der politische und militärische Sturz Frankreichs beunruhigen, das neue
Uebergewicht Preußens wjrd seit dem Tage von Sedan mit starkem Mi߬
trauen, die Hilflosigkeit der Franzosen mit Theilnahme betrachtet. Jedem
Kabinet modificiren sich diese gemeinsamen Empfindungen nach den eigenen
Interessen, im Ganzen hat die Staatenfamilie Europas vorwiegend conserva-
tive Neigungen, sie erträgt auch Lästiges, was sich eingelebt hat, mit langer
Geduld, aber sie betrachtet jede Neuerung mit dem größten Mißtrauen. Fast
alle Regierungen haben sich der Demüthigung des kaiserlichen Frankreichs
gefreut, alle sind der Vergrößerung Deutschlands bis in die Vogesen abge¬
neigt. Wenn jetzt England im Verein mit Oestreich und Italien vorsichtigen
Rath für Waffenstillstand und Einberufung einer Constituante ertheilt, und
der Kaiser von Rußland in directen Schreiben Schonung für Paris erbittet,
so halten wir nicht für leicht, eine solche Lebensäußerung der Großmächte


geht, den Bund so viel als möglich auf eigene Einnahmen anstatt auf Matri-
cularbeiträge zu verweisen.

neuestens hat nun zwar wieder von einer kleinen Rückwärtsbewegung
der würtembergischen Regierung verlauten wollen. Man wird aber solchen
Schwankungen keine Bedeutung mehr beilegen dürfen. Vielleicht handelt es
sich um ein kleines Manöver, ausgeführt zur Schonung des bedächtigeren
Bayerns. Nach wie vor ist man überzeugt, daß Würtemberg auf alle Fälle
den Anschluß sucht, und da es ihn sucht, wird es ihn auch finden. Für ein
langes theoretisches Hinundherreden wird im Hauptquartier schwerlich viel
Zeit sein. Und nicht wenig werden die Verhandlungen beschleunigt werden
durch den Entschluß Preußens, den die süddeutschen Bevollmächtigten vorfin¬
den werden, an der Nordbundsverfassung nicht rütteln zu lassen. Nicht darum
handelt es sich, diese Verfassung erst so zu modificiren. daß sie den beilreten-
den Gliedern genehm wird, es handelt sich nur um Zugeständnisse, die ihnen
bei ihrem Eintritt in den Bund gewährt werden können. Das übrige aber
mag die Atmosphäre thun, in welcher diese Verhandlungen stattfinden: das
durch vereinte Macht niedergeworfene Feindesland und das deutsche Heer,
das den Anspruch darauf hat, in ein geeintes Vaterland heimzukehren.




Kriegsbericht.
Schwarzweißroth und die deutsche Frage.

Es war vorauszusehen, daß die Reise des Herrn Thiers den neutralen
Mächten eine willkommene Anregung geben werde, ihre Friedenswünsche den
Kriegssührenden mitzutheilen. Auch Industrie, Handel, Staatseinnahmen
der Neutralen leiden unter dem Kriege; die unerhörten Siege der Deutschen
und der politische und militärische Sturz Frankreichs beunruhigen, das neue
Uebergewicht Preußens wjrd seit dem Tage von Sedan mit starkem Mi߬
trauen, die Hilflosigkeit der Franzosen mit Theilnahme betrachtet. Jedem
Kabinet modificiren sich diese gemeinsamen Empfindungen nach den eigenen
Interessen, im Ganzen hat die Staatenfamilie Europas vorwiegend conserva-
tive Neigungen, sie erträgt auch Lästiges, was sich eingelebt hat, mit langer
Geduld, aber sie betrachtet jede Neuerung mit dem größten Mißtrauen. Fast
alle Regierungen haben sich der Demüthigung des kaiserlichen Frankreichs
gefreut, alle sind der Vergrößerung Deutschlands bis in die Vogesen abge¬
neigt. Wenn jetzt England im Verein mit Oestreich und Italien vorsichtigen
Rath für Waffenstillstand und Einberufung einer Constituante ertheilt, und
der Kaiser von Rußland in directen Schreiben Schonung für Paris erbittet,
so halten wir nicht für leicht, eine solche Lebensäußerung der Großmächte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/204>, abgerufen am 22.12.2024.