Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Griese aus Paris und deutsche Antwort darauf.

Was uns Deutschen am schwersten zu Sinne wollte von den wunder¬
baren Erscheinungen dieses Jahres, war die unglaubliche Verblendung, die
hochmüthige und zugleich fanatische Befangenheit unserer Gegner. Wieder
und wieder waren wir geneigt, die irren Reden und wilden Wuthausbrüche
der französischen Journale für die Aeußerungen weniger flach gebildeter, sitten¬
loser Gesellen zu halten. Es ist lehrreich zu sehen, wie drüben der ruhige,
thätige Bürger, der kenntnißreiche Mann, der Deutschland gesehen, in den¬
selben Zauberkrets der Täuschung und der Ungerechtigkeit gebannt lebte.

Der Absender der hier mitgetheilten Briefe ist ein Industrieller in Paris,
ein wohlhabender und sehr gebildeter Mann, ein Familienvater, wie sie dort selten
gefunden werden, ein höchst ehrenwerther Charakter. Er lebte vor fast zwanzig
Jahren eine Zeitlang in dem Hause des Predigers, an den die Briefe gerichtet sind,
um die deutsche Sprache zu lernen und faßte da eine große Vorliebe für deutsches
Wesen und für die deutsche Literatur, aber auch eine rührende Anhänglichkeit
an seinen Lehrer und dessen Familie. Er wünschte sogar, eine Deutsche zu
heirathen und durch eigenthümliche Verhältnisse wurde der Prediger der Ver¬
mittler seiner Verbindung mit einer jungen Französin, deren Vater wenig¬
stens ein Deutscher war und die auch gut deutsch sprach und schrieb, so daß
auch die Kinder früh zum Deutschreden angehalten wurden. Gegenseitige
Besuche und ein ununterbrochener Briefwechsel, französisch und deutsch geführt,
haben das freundschaftliche Verhältniß stets lebendig erhalten, und eben dieses
berechtigte zu einer Antwort, die vielleicht manchmal etwas hart und ver¬
letzend scheinen könnte.

Ihre zwei Briefe sind uns richtig zugekommen. Die freundliche Theil¬
nahme für Alle, die sich darin ausspricht, die zärtliche Besorgniß um unser
Geschick in dieser Zeit, wo das Herz so bedrückt ist, haben uns sehr wohlge¬
than und wir danken Ihnen herzlich dafür. Wir sind hier alle National¬
gardisten , jedoch nur mit Dienst in der Stadt, Felix, mein Bruder und ich.
Herr G., der Vater, der eigentlich über das Alter, das zum Eintritt verpflichtet
(SS Jahre), hinaus ist, tritt freiwillig in die Nationalgarde ein. Viele andere
thun dasselbe; denn die Bevölkerung ist hier wie in ganz Frankreich in höch¬
ster Bestürzung, daß man sie waffenlos den Feinden überliefert hat. Der
junge G. ist in der Mobilgarde und war mit in Chcilons, ist aber ganz
munter zurückgekehrt. Victor D. ist auch in der Nationalgarde, Albert, den
ich vor Kurzem sprach, erwartet jeden Tag seine Einberufung zur Mobil¬
garde.


Grenzboten IV. 1870. 17
Zwei Griese aus Paris und deutsche Antwort darauf.

Was uns Deutschen am schwersten zu Sinne wollte von den wunder¬
baren Erscheinungen dieses Jahres, war die unglaubliche Verblendung, die
hochmüthige und zugleich fanatische Befangenheit unserer Gegner. Wieder
und wieder waren wir geneigt, die irren Reden und wilden Wuthausbrüche
der französischen Journale für die Aeußerungen weniger flach gebildeter, sitten¬
loser Gesellen zu halten. Es ist lehrreich zu sehen, wie drüben der ruhige,
thätige Bürger, der kenntnißreiche Mann, der Deutschland gesehen, in den¬
selben Zauberkrets der Täuschung und der Ungerechtigkeit gebannt lebte.

Der Absender der hier mitgetheilten Briefe ist ein Industrieller in Paris,
ein wohlhabender und sehr gebildeter Mann, ein Familienvater, wie sie dort selten
gefunden werden, ein höchst ehrenwerther Charakter. Er lebte vor fast zwanzig
Jahren eine Zeitlang in dem Hause des Predigers, an den die Briefe gerichtet sind,
um die deutsche Sprache zu lernen und faßte da eine große Vorliebe für deutsches
Wesen und für die deutsche Literatur, aber auch eine rührende Anhänglichkeit
an seinen Lehrer und dessen Familie. Er wünschte sogar, eine Deutsche zu
heirathen und durch eigenthümliche Verhältnisse wurde der Prediger der Ver¬
mittler seiner Verbindung mit einer jungen Französin, deren Vater wenig¬
stens ein Deutscher war und die auch gut deutsch sprach und schrieb, so daß
auch die Kinder früh zum Deutschreden angehalten wurden. Gegenseitige
Besuche und ein ununterbrochener Briefwechsel, französisch und deutsch geführt,
haben das freundschaftliche Verhältniß stets lebendig erhalten, und eben dieses
berechtigte zu einer Antwort, die vielleicht manchmal etwas hart und ver¬
letzend scheinen könnte.

Ihre zwei Briefe sind uns richtig zugekommen. Die freundliche Theil¬
nahme für Alle, die sich darin ausspricht, die zärtliche Besorgniß um unser
Geschick in dieser Zeit, wo das Herz so bedrückt ist, haben uns sehr wohlge¬
than und wir danken Ihnen herzlich dafür. Wir sind hier alle National¬
gardisten , jedoch nur mit Dienst in der Stadt, Felix, mein Bruder und ich.
Herr G., der Vater, der eigentlich über das Alter, das zum Eintritt verpflichtet
(SS Jahre), hinaus ist, tritt freiwillig in die Nationalgarde ein. Viele andere
thun dasselbe; denn die Bevölkerung ist hier wie in ganz Frankreich in höch¬
ster Bestürzung, daß man sie waffenlos den Feinden überliefert hat. Der
junge G. ist in der Mobilgarde und war mit in Chcilons, ist aber ganz
munter zurückgekehrt. Victor D. ist auch in der Nationalgarde, Albert, den
ich vor Kurzem sprach, erwartet jeden Tag seine Einberufung zur Mobil¬
garde.


Grenzboten IV. 1870. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124843"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zwei Griese aus Paris und deutsche Antwort darauf.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_427"> Was uns Deutschen am schwersten zu Sinne wollte von den wunder¬<lb/>
baren Erscheinungen dieses Jahres, war die unglaubliche Verblendung, die<lb/>
hochmüthige und zugleich fanatische Befangenheit unserer Gegner. Wieder<lb/>
und wieder waren wir geneigt, die irren Reden und wilden Wuthausbrüche<lb/>
der französischen Journale für die Aeußerungen weniger flach gebildeter, sitten¬<lb/>
loser Gesellen zu halten. Es ist lehrreich zu sehen, wie drüben der ruhige,<lb/>
thätige Bürger, der kenntnißreiche Mann, der Deutschland gesehen, in den¬<lb/>
selben Zauberkrets der Täuschung und der Ungerechtigkeit gebannt lebte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_428"> Der Absender der hier mitgetheilten Briefe ist ein Industrieller in Paris,<lb/>
ein wohlhabender und sehr gebildeter Mann, ein Familienvater, wie sie dort selten<lb/>
gefunden werden, ein höchst ehrenwerther Charakter. Er lebte vor fast zwanzig<lb/>
Jahren eine Zeitlang in dem Hause des Predigers, an den die Briefe gerichtet sind,<lb/>
um die deutsche Sprache zu lernen und faßte da eine große Vorliebe für deutsches<lb/>
Wesen und für die deutsche Literatur, aber auch eine rührende Anhänglichkeit<lb/>
an seinen Lehrer und dessen Familie. Er wünschte sogar, eine Deutsche zu<lb/>
heirathen und durch eigenthümliche Verhältnisse wurde der Prediger der Ver¬<lb/>
mittler seiner Verbindung mit einer jungen Französin, deren Vater wenig¬<lb/>
stens ein Deutscher war und die auch gut deutsch sprach und schrieb, so daß<lb/>
auch die Kinder früh zum Deutschreden angehalten wurden. Gegenseitige<lb/>
Besuche und ein ununterbrochener Briefwechsel, französisch und deutsch geführt,<lb/>
haben das freundschaftliche Verhältniß stets lebendig erhalten, und eben dieses<lb/>
berechtigte zu einer Antwort, die vielleicht manchmal etwas hart und ver¬<lb/>
letzend scheinen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_429"> Ihre zwei Briefe sind uns richtig zugekommen. Die freundliche Theil¬<lb/>
nahme für Alle, die sich darin ausspricht, die zärtliche Besorgniß um unser<lb/>
Geschick in dieser Zeit, wo das Herz so bedrückt ist, haben uns sehr wohlge¬<lb/>
than und wir danken Ihnen herzlich dafür. Wir sind hier alle National¬<lb/>
gardisten , jedoch nur mit Dienst in der Stadt, Felix, mein Bruder und ich.<lb/>
Herr G., der Vater, der eigentlich über das Alter, das zum Eintritt verpflichtet<lb/>
(SS Jahre), hinaus ist, tritt freiwillig in die Nationalgarde ein. Viele andere<lb/>
thun dasselbe; denn die Bevölkerung ist hier wie in ganz Frankreich in höch¬<lb/>
ster Bestürzung, daß man sie waffenlos den Feinden überliefert hat. Der<lb/>
junge G. ist in der Mobilgarde und war mit in Chcilons, ist aber ganz<lb/>
munter zurückgekehrt. Victor D. ist auch in der Nationalgarde, Albert, den<lb/>
ich vor Kurzem sprach, erwartet jeden Tag seine Einberufung zur Mobil¬<lb/>
garde.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1870. 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0137] Zwei Griese aus Paris und deutsche Antwort darauf. Was uns Deutschen am schwersten zu Sinne wollte von den wunder¬ baren Erscheinungen dieses Jahres, war die unglaubliche Verblendung, die hochmüthige und zugleich fanatische Befangenheit unserer Gegner. Wieder und wieder waren wir geneigt, die irren Reden und wilden Wuthausbrüche der französischen Journale für die Aeußerungen weniger flach gebildeter, sitten¬ loser Gesellen zu halten. Es ist lehrreich zu sehen, wie drüben der ruhige, thätige Bürger, der kenntnißreiche Mann, der Deutschland gesehen, in den¬ selben Zauberkrets der Täuschung und der Ungerechtigkeit gebannt lebte. Der Absender der hier mitgetheilten Briefe ist ein Industrieller in Paris, ein wohlhabender und sehr gebildeter Mann, ein Familienvater, wie sie dort selten gefunden werden, ein höchst ehrenwerther Charakter. Er lebte vor fast zwanzig Jahren eine Zeitlang in dem Hause des Predigers, an den die Briefe gerichtet sind, um die deutsche Sprache zu lernen und faßte da eine große Vorliebe für deutsches Wesen und für die deutsche Literatur, aber auch eine rührende Anhänglichkeit an seinen Lehrer und dessen Familie. Er wünschte sogar, eine Deutsche zu heirathen und durch eigenthümliche Verhältnisse wurde der Prediger der Ver¬ mittler seiner Verbindung mit einer jungen Französin, deren Vater wenig¬ stens ein Deutscher war und die auch gut deutsch sprach und schrieb, so daß auch die Kinder früh zum Deutschreden angehalten wurden. Gegenseitige Besuche und ein ununterbrochener Briefwechsel, französisch und deutsch geführt, haben das freundschaftliche Verhältniß stets lebendig erhalten, und eben dieses berechtigte zu einer Antwort, die vielleicht manchmal etwas hart und ver¬ letzend scheinen könnte. Ihre zwei Briefe sind uns richtig zugekommen. Die freundliche Theil¬ nahme für Alle, die sich darin ausspricht, die zärtliche Besorgniß um unser Geschick in dieser Zeit, wo das Herz so bedrückt ist, haben uns sehr wohlge¬ than und wir danken Ihnen herzlich dafür. Wir sind hier alle National¬ gardisten , jedoch nur mit Dienst in der Stadt, Felix, mein Bruder und ich. Herr G., der Vater, der eigentlich über das Alter, das zum Eintritt verpflichtet (SS Jahre), hinaus ist, tritt freiwillig in die Nationalgarde ein. Viele andere thun dasselbe; denn die Bevölkerung ist hier wie in ganz Frankreich in höch¬ ster Bestürzung, daß man sie waffenlos den Feinden überliefert hat. Der junge G. ist in der Mobilgarde und war mit in Chcilons, ist aber ganz munter zurückgekehrt. Victor D. ist auch in der Nationalgarde, Albert, den ich vor Kurzem sprach, erwartet jeden Tag seine Einberufung zur Mobil¬ garde. Grenzboten IV. 1870. 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/137>, abgerufen am 22.12.2024.