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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Curat von Angedair beigesellten. Sie alle forderten mit ungestümem Toben
die Freilassung des Küsters und drohten mit der Anwendung von Gewalt,
wobei der hochwürdige Herr wüthend auf den Tisch schlug. Bis zum
Aeußersten sollte es jedoch nicht kommen. Niemand wagte einen Angriff auf
das Haftlocal, worin der Küster von Gensd'armen bewacht wurde. Endlich
nach einer Zögerung von mehr als einer Woche hielt man es doch für an¬
gezeigt, den Gensd'armerieposten in Landeck mit 20 Mann zu verstärken.
Im Gegensatz zu dieser staunenswerthen Aufraffung von Muth erließ die
k. k. Statthalterei, zweifelsohne nicht ohne diesfällige höhere Weisung, einen
Auftrag an alle Schulinspectoren des Landes, den Besuch der Schulen an
jenen Orten zu unterlassen, wo sie voraussichtlich auf Anstünde stoßen könnten.

Diese schwächliche Verfügung befriedigte nach allen Seiten. Den geist¬
lichen Herren auf dem Lande war dadurch aller Anlaß benommen, die eifri¬
gen Weiber aufzuhetzen, den Vätern und Gemeindeausschüssen in den nächt¬
lichen "Plauderstuben" gute Lehren zu geben, oder auch nur durch Ursagen
von Vacanz den Jnspectoren ein Schnippchen zu schlagen, und diese selbst
brauchten sich nicht mehr als "schlaue Füchse" zu rühmen, wenn sie den ge¬
fährlichen ultramontanen Burgen auswichen. Freilich im Wippthal, wo ein
unerschrockener Bezirksrichter waltet, war durch die schnelle Verhaftung eines
dieser geistlichen Hetzer ferneren Comödien der "Plauderstuben" in anderer
Weise vorgebeugt, in der Umgebung von Innsbruck vermochte selbst der
Feuereifer zweier Fanatiker die Schulvisitationen nicht einzustellen, in man¬
chen freisinnigen Gemeinden des Unterinnthals wurden die Jnspectoren sogar
mit Freude empfangen. Auch in ganz Wälschtirol fanden sie nicht den geringsten
Anstand. Um so kläglicher nimmt sich daher immerhin der erwähnte Statt¬
haltereierlaß aus. Doch wer weiß, was uns noch bevorsteht. Vielleicht seh¬
nen wir uns noch oft und heiß zurück nach den Tagen der Freiheit, in denen
es doch allen Parteien gestattet war, nach eigenem Ermessen zu schalten,
wiewohl eben die liberale dabei etwas stiefmütterlich wegkam. Welches
Loos ihr vom Ministerium Potockt beschieden ist, müssen wir abwarten; es
sollte uns aber keineswegs überraschen, wenn die neueste Aera Oestreichs
eines schönen Tages die Greuter und Moriggl für die Ertheilung geheimer
Rathswürden in Vorschlag bringt.




Die Lage in den russischen Wftseeprovinzen.

Daß auch der in diesem Jahre gemachte Versuch, die russische Regierung
zur Anerkennung des beschworenen Landesrechts von Livland zu vermögen,
vergeblich gewesen, die Adresse der livländischen Ritterschaft abgewiesen


Grenzboten II. 1870. 25

Curat von Angedair beigesellten. Sie alle forderten mit ungestümem Toben
die Freilassung des Küsters und drohten mit der Anwendung von Gewalt,
wobei der hochwürdige Herr wüthend auf den Tisch schlug. Bis zum
Aeußersten sollte es jedoch nicht kommen. Niemand wagte einen Angriff auf
das Haftlocal, worin der Küster von Gensd'armen bewacht wurde. Endlich
nach einer Zögerung von mehr als einer Woche hielt man es doch für an¬
gezeigt, den Gensd'armerieposten in Landeck mit 20 Mann zu verstärken.
Im Gegensatz zu dieser staunenswerthen Aufraffung von Muth erließ die
k. k. Statthalterei, zweifelsohne nicht ohne diesfällige höhere Weisung, einen
Auftrag an alle Schulinspectoren des Landes, den Besuch der Schulen an
jenen Orten zu unterlassen, wo sie voraussichtlich auf Anstünde stoßen könnten.

Diese schwächliche Verfügung befriedigte nach allen Seiten. Den geist¬
lichen Herren auf dem Lande war dadurch aller Anlaß benommen, die eifri¬
gen Weiber aufzuhetzen, den Vätern und Gemeindeausschüssen in den nächt¬
lichen „Plauderstuben" gute Lehren zu geben, oder auch nur durch Ursagen
von Vacanz den Jnspectoren ein Schnippchen zu schlagen, und diese selbst
brauchten sich nicht mehr als „schlaue Füchse" zu rühmen, wenn sie den ge¬
fährlichen ultramontanen Burgen auswichen. Freilich im Wippthal, wo ein
unerschrockener Bezirksrichter waltet, war durch die schnelle Verhaftung eines
dieser geistlichen Hetzer ferneren Comödien der „Plauderstuben" in anderer
Weise vorgebeugt, in der Umgebung von Innsbruck vermochte selbst der
Feuereifer zweier Fanatiker die Schulvisitationen nicht einzustellen, in man¬
chen freisinnigen Gemeinden des Unterinnthals wurden die Jnspectoren sogar
mit Freude empfangen. Auch in ganz Wälschtirol fanden sie nicht den geringsten
Anstand. Um so kläglicher nimmt sich daher immerhin der erwähnte Statt¬
haltereierlaß aus. Doch wer weiß, was uns noch bevorsteht. Vielleicht seh¬
nen wir uns noch oft und heiß zurück nach den Tagen der Freiheit, in denen
es doch allen Parteien gestattet war, nach eigenem Ermessen zu schalten,
wiewohl eben die liberale dabei etwas stiefmütterlich wegkam. Welches
Loos ihr vom Ministerium Potockt beschieden ist, müssen wir abwarten; es
sollte uns aber keineswegs überraschen, wenn die neueste Aera Oestreichs
eines schönen Tages die Greuter und Moriggl für die Ertheilung geheimer
Rathswürden in Vorschlag bringt.




Die Lage in den russischen Wftseeprovinzen.

Daß auch der in diesem Jahre gemachte Versuch, die russische Regierung
zur Anerkennung des beschworenen Landesrechts von Livland zu vermögen,
vergeblich gewesen, die Adresse der livländischen Ritterschaft abgewiesen


Grenzboten II. 1870. 25
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[0199] Curat von Angedair beigesellten. Sie alle forderten mit ungestümem Toben die Freilassung des Küsters und drohten mit der Anwendung von Gewalt, wobei der hochwürdige Herr wüthend auf den Tisch schlug. Bis zum Aeußersten sollte es jedoch nicht kommen. Niemand wagte einen Angriff auf das Haftlocal, worin der Küster von Gensd'armen bewacht wurde. Endlich nach einer Zögerung von mehr als einer Woche hielt man es doch für an¬ gezeigt, den Gensd'armerieposten in Landeck mit 20 Mann zu verstärken. Im Gegensatz zu dieser staunenswerthen Aufraffung von Muth erließ die k. k. Statthalterei, zweifelsohne nicht ohne diesfällige höhere Weisung, einen Auftrag an alle Schulinspectoren des Landes, den Besuch der Schulen an jenen Orten zu unterlassen, wo sie voraussichtlich auf Anstünde stoßen könnten. Diese schwächliche Verfügung befriedigte nach allen Seiten. Den geist¬ lichen Herren auf dem Lande war dadurch aller Anlaß benommen, die eifri¬ gen Weiber aufzuhetzen, den Vätern und Gemeindeausschüssen in den nächt¬ lichen „Plauderstuben" gute Lehren zu geben, oder auch nur durch Ursagen von Vacanz den Jnspectoren ein Schnippchen zu schlagen, und diese selbst brauchten sich nicht mehr als „schlaue Füchse" zu rühmen, wenn sie den ge¬ fährlichen ultramontanen Burgen auswichen. Freilich im Wippthal, wo ein unerschrockener Bezirksrichter waltet, war durch die schnelle Verhaftung eines dieser geistlichen Hetzer ferneren Comödien der „Plauderstuben" in anderer Weise vorgebeugt, in der Umgebung von Innsbruck vermochte selbst der Feuereifer zweier Fanatiker die Schulvisitationen nicht einzustellen, in man¬ chen freisinnigen Gemeinden des Unterinnthals wurden die Jnspectoren sogar mit Freude empfangen. Auch in ganz Wälschtirol fanden sie nicht den geringsten Anstand. Um so kläglicher nimmt sich daher immerhin der erwähnte Statt¬ haltereierlaß aus. Doch wer weiß, was uns noch bevorsteht. Vielleicht seh¬ nen wir uns noch oft und heiß zurück nach den Tagen der Freiheit, in denen es doch allen Parteien gestattet war, nach eigenem Ermessen zu schalten, wiewohl eben die liberale dabei etwas stiefmütterlich wegkam. Welches Loos ihr vom Ministerium Potockt beschieden ist, müssen wir abwarten; es sollte uns aber keineswegs überraschen, wenn die neueste Aera Oestreichs eines schönen Tages die Greuter und Moriggl für die Ertheilung geheimer Rathswürden in Vorschlag bringt. Die Lage in den russischen Wftseeprovinzen. Daß auch der in diesem Jahre gemachte Versuch, die russische Regierung zur Anerkennung des beschworenen Landesrechts von Livland zu vermögen, vergeblich gewesen, die Adresse der livländischen Ritterschaft abgewiesen Grenzboten II. 1870. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/199>, abgerufen am 18.12.2024.